Der Spürsinn des kleinen Doktors. Georges Simenon

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Der Spürsinn des kleinen Doktors - Georges  Simenon Red Eye

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      »Ja.«

      Ein Blick zum Bürgermeister, der zuhörte, sich aber auf all das keinen Reim machen konnte.

      »Waren Sie dort?«

      »Ja.«

      »Und … Wie soll ich sagen? Haben Sie nichts …«

      »Von wo telefonieren Sie?«

      Verlegenes Schweigen.

      »Ich verstehe. Gut.«

      »Sie verstehen? Also …«

      »Ja!«

      »Sie haben ihn …«

      »Ja.«

      »Das hätte ich mir denken müssen. Und Sie … Sie haben … Antworten Sie mir offen … Ich ahne, was Sie über mich denken … Vielleicht werde ich später mit Ihnen darüber sprechen können … Ist die Polizei …«

      »Ja, sie ist benachrichtigt.«

      »Hallo, Doktor … Sind Sie noch am Apparat? Ist … ist …«

      In diesem Augenblick hörte man ein Knistern in der Leitung. Das Fräulein vom Amt schaltete sich ein:

      »Hallo, Rochefort … Fertig?«

      »Trennen Sie nicht!«, rief Drouin erregt. »Hallo, Doktor …«

      »Ja.«

      »Sind Sie noch am Apparat? Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis …«

      Der kleine Doktor wandte sich dem Bürgermeister zu, der noch zuhörte und immer weniger verstand.

      »In einer Stunde«, sagte Dollent schließlich, »werden alle Bahnhöfe, alle Busse überwacht werden.«

      »Ich danke Ihnen. Kann ich Sie noch einmal anrufen?«

      »Das Telefon wird auch überwacht werden.«

      »Dann … Moment! Bleiben Sie am Apparat. Ich habe noch eine Frage … Es könnte sein, dass heute Nacht eine verletzte Person zu Ihnen kommt … Verstehen Sie mich?«

      »Ja.«

      »Dass sie ganz allein kommt. Dass sie wirklich Ihres Beistands bedarf …«

      Schweigen. Anna horchte von Zeit zu Zeit an der Tür und wurde immer ungeduldiger.

      »Sagen Sie … Wie ist das mit dem Berufsgeheimnis?«

      »Es gibt da keine Vorschrift. Ich kann aussagen oder schweigen. Ich habe das mit meinem Gewissen abzumachen. Wenn ich finde, dass die betreffende Person …«

      »Wozu werden Sie sich entschließen?«

      »Ich kann Ihnen nichts versprechen. Es kommt ganz darauf an …«

      Ein Auto auf dem Hof. Leute aus La Rochelle. Kriminalbeamte und die Vertreter der Staatsanwaltschaft.

      »Wenn das Leben dieser Person, die unschuldig ist …«

      Anna hatte die Tür geöffnet.

      Die Herren traten sich die Schuhe auf der Strohmatte ab.

      Der kleine Doktor legte lieber auf.

      »Guten Tag, Herr Assessor.«

      »Guten Tag, Doktor … Man sagt mir … Aber Sie waren doch gerade am Telefon …«

      »Ach, nur ein Patient … Treten Sie bitte ein. Anna, bringen Sie den Herren einen Armagnac …«

      Es blieb ihm nicht verborgen, dass der Bürgermeister ihm einen seltsamen Blick zuwarf.

      II Der Kommissar mag keine Ironie

      Meine Meinung, Herr Assessor, wenn ich mir erlauben darf, sie Ihnen auseinanderzusetzen, ist die folgende …«

      Der Kommissar verstummte, blickte ins Leere, als verfolgte er den Flug einer Fliege. Aber es war keine Fliege, die er in der heißen Luft betrachtete, sondern das Gesicht des kleinen Doktors und vor allem dessen freudig funkelnde Augen.

      »Nur zu. Ich bin ganz Ohr, Herr Kommissar.«

      »Entschuldigen Sie, aber ich frage mich, ob für manche Ohren …«

      Der Assessor hatte verstanden. Es war nicht das erste Mal, seit man am Tatort war, dass der Kommissar, bestimmt ein braver Mann, aber einer von der feierlichen, anstrengenden Sorte, auf die Anwesenheit des kleinen Doktors anspielte.

      Der Assessor und der Arzt kannten sich, weil sie öfter zusammen Bridge spielten. Sie waren beide noch jung. Und doch, auch der Staatsanwalt war ein wenig erstaunt über Dollents Gebaren.

      Etwa zehn Mann waren in der Maison-Basse und im Garten. Der Gendarm von Esnandes, der neben der grüngestrichenen Gartentür stand, hinderte die Neugierigen daran, hereinzukommen, was ihn keine Mühe kostete, denn es waren kaum mehr als die mit der Untersuchung betrauten Herren. Es war sehr heiß. Nirgends auch nur ein bisschen Schatten; alle bewegten sich wie in Zeitlupe.

      Bis auf den kleinen Doktor, den man noch nie so lebhaft erlebt hatte.

      »Ich sagte also, Herr Assessor … Sobald wir die Identität des Opfers kennen, werden wir …«

      Dollent beherrschte sich. Auch wenn es schwer war. Zu gern hätte er gesagt:

      »Denkste!«

      Sie taten sich alle schwer, der eine wie der andere. Sie verstanden nichts und würden nie etwas verstehen.

      Es war das erste Mal, dass er Zeuge einer solchen Untersuchung wurde. Er mochte keine Kriminalromane und las auch nicht die Berichte über Verbrechen in der Zeitung.

      Und nun plötzlich hatte er so etwas wie eine Erleuchtung. Alle um ihn herum tappten im Dunkeln, und er hätte ihnen am liebsten ins Gesicht gelacht und zum Beispiel dem dicken Inspektor, der unter der Couch nach Fingerabdrücken suchte, gesagt:

      »Seien Sie nicht kindisch, Inspektor. In Ihrem Alter, noch dazu als Familienvater, kriecht man doch nicht auf dem Boden herum …«

      Gewiss, er hatte selber noch nichts gefunden, aber er war sicher, dass er die Lösung des Geheimnisses finden würde. Er grübelte unentwegt, stellte alle möglichen Überlegungen an.

      »Wenn dieser Mann, dieser Drouin, mich ein erstes Mal angerufen hat … Wenn er mich ein zweites Mal aus Rochefort angerufen hat …«

      Schon amüsant, von lauter Fachleuten umgeben zu sein und sich zu sagen:

      »Ich allein weiß, wo der Mann, den sie unbedingt fassen wollen, in diesem Augenblick ist!«

      Denn er hatte Drouin zu verstehen gegeben, dass seine Personenbeschreibung überallhin gemeldet worden war. Folglich würde der sich nicht vom Fleck rühren. Er war nicht so dumm, sich

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