Der Spürsinn des kleinen Doktors. Georges Simenon

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Der Spürsinn des kleinen Doktors - Georges  Simenon Red Eye

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malte sich aus, wie Drouin durch die heißen Straßen von Rochefort irrte, sich ins kühle Dunkel kleiner Bistros schlich und darauf wartete, dass es dämmerte.

      »Meiner Meinung nach«, verkündete der Assessor, »haben wir es hier mit einem Eifersuchtsverbrechen zu tun. Zwei Männer und eine Frau. Die uralte Geschichte von den beiden Hähnen und der Henne. Vermutlich lebten sie alle drei hier, aber das Opfer hatte sich wohl versteckt? Haben Sie sein Foto über Bildfunk nach Paris geschickt, Kommissar?«

      »Wir werden noch heute Abend erfahren, wer es ist.«

      Zum Glück hatte der kleine Doktor keine vollständige Autopsie vornehmen müssen, bei dieser Hitze wäre das nicht angenehm gewesen. Man hatte den Mann ausgezogen – ein ungewöhnlich kräftiger Mann, der am linken Unterarm eine Tätowierung hatte: eine barbusige Frau.

      Die interessanteste Feststellung war, dass der Tod am Abend zuvor zwischen zehn und zwölf Uhr eingetreten war. Ein Messerstich mitten ins Herz hatte den Unbekannten getötet, aber vorher war er noch mit den Fäusten bearbeitet worden.

      Das ließ vermuten, dass der Mann nicht überrumpelt worden war. Soweit man das beurteilen konnte, hatte es einen Kampf gegeben. Die Gegner hatten zunächst mit nackten Fäusten gekämpft. Dann hatte einer von ihnen ein Messer ergriffen.

      Die Szene hatte sich in der Küche abgespielt, denn im Schlafzimmer hätte sie Spuren hinterlassen. Außerdem hatte man zwischen den kleinen roten Fliesen winzige Glassplitter gefunden.

      Drouin hatte also, ehe er ging, nicht nur die Leiche begraben, sondern auch sorgfältig aufgeräumt. Dann dieser Anruf! Man musste immer wieder darauf zurückkommen.

      Es ist nicht gerade üblich, wenn man jemanden getötet und begraben hat, einen Arzt zu rufen.

      »Nun, Herr Bürgermeister, Sie wissen absolut nichts über die Bewohner dieses Hauses? Sie kennen Ihre Gemeindekinder also nicht?«

      »Was soll ich dazu sagen? Mit dem Papierkram befasst sich der Lehrer, ich unterschreibe nur. Der Mann hat sich unter dem Namen Drouin angemeldet, während die Frau sich gar nicht angemeldet hat. Ich habe angenommen, sie seien nicht verheiratet, und habe deshalb nicht darauf bestanden. Solche Sachen gehen uns nichts an.«

      Die Augen des kleinen Doktors funkelten immer noch. Er wusste, so einfach war es nun auch wieder nicht. Und genauso verbissen, wie er beim Bridge war, stellte er weiter Überlegungen an, und sobald er wieder am toten Punkt angelangt war, begann er von vorn.

      Er sah Drouin vor sich mit seiner grauen Hose, dem gelben Pullover, dem kurzen Bart des surrealistischen Malers. Und im Haus mit der Pfeife, denn er rauchte Pfeife, und da er groß war, musste er sich bücken, wenn er durch die niedrige Tür ging.

      Die junge Frau war immer nur halb angezogen, und ihr sonnengebräunter Körper glich einer saftigen Frucht.

      Er ertappte sich dabei, wie er vor sich hin murmelte:

      »Gut, gut!«

      Er versuchte sich ihr Leben vorzustellen, wie sie sich hier im Haus bewegten, und es schien ihm, sobald ihm das gelänge, würde er alles verstehen.

      »Sie waren nur zu zweit … Das steht fest … Auch wenn der Assessor von einer Ehe zu dritt faselt … Die Atmosphäre im Haus war die Atmosphäre eines Ehepaars mitten in den Flitterwochen, das an nichts anderes denkt als an Liebe.

      Sie war nicht der Typ Frau, die sich von einem tätowierten Kerl wie dem, dessen Leiche unter einem Laken auf dem Tisch lag, umarmen lässt.«

      Dollent zuckte zusammen. Eine Stimme, die eines Polizisten, sagte:

      »Das hier habe ich gerade gefunden, Herr Kommissar …«

      Fast hätte der Arzt es ihm entrissen. Es war eine winzige Tüte mit einem weißen Pulver darin. Schon hatte der Arzt seinen Finger mit Spucke befeuchtet, ihn in das Pulver getaucht und sich ein wenig davon auf die Zunge getan.

      Der Kommissar sah ihm missmutig dabei zu, die Stirn mehr denn je gerunzelt.

      »Es gibt hier noch etwas anderes, das gefunden werden muss«, erklärte Dollent dann gebieterisch, als ob man ihn mit der Leitung der Untersuchung betraut hätte. »Aber zunächst einmal möchte ich wissen, wo Sie das Tütchen gefunden haben.«

      »Das ist ja das Merkwürdige. Es war ganz hinten im Schrank versteckt, zwischen der Unterwäsche der Dame.«

      »Dann werden Sie unter den persönlichen Dingen des Mannes vermutlich eine kleine Schachtel finden, auf dem der Name eines Medikaments steht.«

      Der Inspektor blickte seinen Chef an: Sollte er tun, was man ihm sagte?

      Der Kommissar zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen:

      »Was soll ich da machen? Er befiehlt, und niemand protestiert … Suchen Sie, wenn Sie wollen!«

      Bei jenen, die an solchen Ermittlungen beteiligt sind, findet man etwas von der gleichen krankhaften Freude, die die Leute auf Auktionen dazu treibt, in alten Sachen zu wühlen und die Schubfächer von Schränken oder Kommoden zu öffnen.

      Man dringt plötzlich mit vollem Recht in das Leben eines Hauses ein, bemüht sich, hinter seine Geheimnisse zu kommen. Der tapsigste Polizist beginnt in feiner Damenwäsche zu stöbern, und bis hin zur Korrespondenz gibt es nichts, in das er nicht seine Nase stecken dürfte.

      So stellte man fest, dass, auch wenn die junge Frau (von der man nichts wusste, nicht einmal den Namen) meist nur spärlich bekleidet war, sie doch ziemlich viele Kleider besaß, die zwar nicht luxuriös, aber von guter Qualität und sehr geschmackvoll waren.

      Drouin dagegen besaß fast nichts, sofern er nicht einen Koffer mitgenommen hatte, was unwahrscheinlich war, da er zu Fuß nach La Rochelle hatte gehen müssen. Die graue Hose war bestimmt seine einzige, im Schrank hing keine andere, dagegen fand man einen verwaschenen gelben Rollkragenpullover in einem Schrank mit schmutziger Wäsche. Man hatte auch seine Sandalen gefunden, was vermuten ließ, dass er mit seinem einzigen Paar festen Schuhen weggegangen war.

      Er war ein gebildeter junger Mann, das zeigten die Bücher in den Regalen.

      »Ich wette …«, sagte der kleine Doktor plötzlich.

      Während die Polizisten das Oberste zuunterst kehrten, um die kleine Schachtel zu finden, hatte er nachgedacht und auf einen Tontopf gestarrt, der fast ein Pfund Tabak enthielt.

      »Suchen Sie in dem Tabak … Es würde mich wundern, wenn …«

      Von da an betrachtete man ihn nicht nur neugierig, sondern auch respektvoll. Der Inspektor, der die Hand in den Tabaktopf steckte, zog sie nämlich nicht leer wieder heraus. Er hatte eine kleine Schachtel in der Hand. Ohne hinzusehen, nannte Dollent den Namen des Medikaments.

      »Sie muss halb voll sein«, fuhr er fort.

      Er entdeckte eine völlig neue Form der Zufriedenheit. Um nichts in der Welt hätte er noch gewünscht, dass man ihn am Mittag nicht angerufen hätte. Er jubilierte und betrachtete verstohlen den mürrischen Kommissar und den Assessor, der sich als Mann von Welt gab.

      »Sie können sicher sein, in dieser Schachtel ist nichts weiter als doppeltkohlensaures Natron.«

      Um der Wahrheit Genüge zu tun, muss hinzugefügt werden, dass

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