Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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nicht hier geschähe …«

      Er sah die beiden aufmerksam an.

      »Und auch euch selbst … wenn ich euch ansehe, so kommt mir’s vor, als wäret ihr tausend Werst weit von mir entfernt … Weiß der Kuckuck, warum wir über solche Dinge hier reden! Und wozu fragt ihr mich so aus?« fügte er ärgerlich hinzu; dann schwieg er, biß sich auf die Nägel und versank wieder in seine Gedanken.

      »Was du für ein schlechtes Zimmer hast, Rodja; es sieht wie ein Sarg aus«, sagte Pulcheria Alexandrowna, um das bedrückende Schweigen zu unterbrechen. »Ich bin überzeugt, daß diese Wohnung zu einem großen Teil mit daran schuld ist, daß du so melancholisch geworden bist.«

      »Die Wohnung?« antwortete er zerstreut. »Ja, die Wohnung hat sehr dazu beigetragen, … das habe ich mir auch schon gesagt … Wenn Sie aber wüßten, was für einen interessanten Gedanken Sie da eben ausgesprochen haben, Mama«, fügte er mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu.

      Es war ganz nahe daran, daß diese Gesellschaft, diese seine nächsten Angehörigen, die er nach dreijähriger Trennung wiedersah, dieser vertrauliche Gesprächston neben der vollständigen Unmöglichkeit, über irgendeinen Gegenstand zu sprechen – daß dies alles ihm schließlich geradezu unerträglich wurde. Indes, da war noch eine unaufschiebbare Angelegenheit, die auf die eine oder andre Weise, aber unbedingt heute noch entschieden werden mußte – darüber war er sich schon vorhin, gleich nachdem er aufgewacht war, schlüssig geworden. Jetzt freute er sich über diese Angelegenheit wie über einen Ausweg aus der peinlichen Lage.

      »Was ich noch sagen wollte, Dunja,« begann er in ernstem, trockenem Tone, »ich bitte dich natürlich wegen meines gestrigen Benehmens um Verzeihung; aber ich halte es für meine Pflicht, dich nochmals daran zu erinnern, daß ich von dem, was mir der Hauptpunkt war, nicht abgehe. Entweder ich oder Lushin. Mag ich immerhin ein Schuft sein, aber du darfst es nicht werden. Es ist genug an einem von uns. Wenn du Lushin heiratest, betrachte ich dich sofort nicht mehr als meine Schwester.«

      »Rodja, Rodja! Das ist ja aber ganz dasselbe wie gestern!« rief Pulcheria Alexandrowna bekümmert. »Und warum nennst du dich denn immer einen Schuft? Ich kann das nicht ertragen! Das hast du auch gestern getan!«

      »Bruder«, antwortete Dunja fest und in ebenso trockenem Tone, »in alledem liegt ein Irrtum deinerseits vor. Ich habe heute nacht darüber nachgedacht und den Irrtum herausgefunden. Er besteht darin, daß du anscheinend annimmst, ich brächte mich jemandem und für jemand zum Opfer. So steht es keineswegs. Ich heirate einfach um meiner selbst willen, weil mir mein jetziges Leben gar zu drückend ist; natürlich werde ich mich aber auch freuen, wenn es mir möglich werden sollte, meinen Angehörigen nützlich zu sein; aber das Hauptmotiv zu meinem Entschlusse ist das nicht …«

      ›Sie lügt!‹ dachte er bei sich und biß sich ingrimmig auf die Nägel. ›Sie ist stolz und möchte nicht eingestehen, daß sie einem eine Wohltat erweisen will! Welch ein Hochmut! O diese kleinlich denkenden Menschen! Sie maskieren ihre Liebe als Gleichgültigkeit … Oh, wie ich sie alle hasse!‹

      »Mit einem Worte, ich werde Pjotr Petrowitsch heiraten«, fuhr Dunja fort, »weil ich von zwei Übeln das kleinere wählen möchte. Ich habe den Vorsatz, ehrlich alles zu erfüllen, was er von mir erwartet; also täusche ich ihn nicht … Warum hast du jetzt eben so gelächelt?«

      Sie wurde rot, und in ihren Augen funkelte der Zorn.

      »Du wirst alles erfüllen?« fragte er, boshaft lächelnd.

      »Bis zu einer bestimmten Grenze. Pjotr Petrowitschs ganzes Verhalten und die Art seiner Werbung haben mich sofort erkennen lassen, was er nötig hat. Er ist ja gewiß von seinem eigenen Werte überzeugt, vielleicht zu sehr; aber ich hoffe, daß er auch mich zu schätzen weiß … Warum lachst du wieder?«

      »Und du, warum wirst du wieder rot? Du lügst, Schwester, du lügst absichtlich, nur aus weiblichem Eigensinn, lediglich um mir gegenüber deine Behauptung aufrechtzuerhalten … Du kannst Lushin nicht achten: ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen. Folglich verkaufst du dich für Geld, und folglich handelst du unter allen Umständen unwürdig, und ich freue mich, daß du wenigstens noch darüber erröten kannst!«

      »Das ist nicht wahr, ich lüge nicht!« rief Dunja, die nun ihre Kaltblütigkeit völlig verlor. »Ich würde ihn nicht heiraten, wenn ich nicht überzeugt wäre, daß er mich achtet und schätzt; ich würde ihn nicht heiraten, wenn ich nicht fest davon überzeugt wäre, daß auch ich ihn achten kann. Zum Glück kann ich mich zuverlässig davon überzeugen, und sogar heute noch. Und eine solche Heirat ist nicht, wie du dich ausdrückst, eine Schuftigkeit! Und selbst wenn du recht hättest, wenn ich mich wirklich zu einer Schuftigkeit entschlossen hätte – ist es dann nicht eine Unbarmherzigkeit von dir, so mit mir zu sprechen? Warum verlangst du von mir einen Heroismus, der vielleicht in dir selbst nicht steckt? Das ist Despotismus, das ist Vergewaltigung! Wenn ich jemand zugrunde richte, so doch nur mich allein … Ich habe noch keinen Menschen gemordet! … Was siehst du mich denn so an? Warum bist du so blaß geworden? Rodja, was fehlt dir? Liebster Rodja!«

      »Herrgott! Sie hat ihn bis zur Ohnmacht gebracht!« schrie Pulcheria Alexandrowna auf.

      »Nein, nein … Dummes Zeug … Es ist nichts … Mir wurde nur ein bißchen schwindlig. Von Ohnmacht ist nicht die Rede! … Ihr immer mit euren Ohnmachten! … Hm! ja, … was wollte ich doch noch sagen? Ja: wie willst du dich denn heute noch davon überzeugen, daß du ihn achten kannst und daß er dich schätzt, wie du sagtest? Du sagtest ja wohl: heute? Oder habe ich mich verhört?«

      »Mama, zeigen Sie ihm doch Pjotr Petrowitschs Brief«, sagte Dunja.

      Pulcheria Alexandrowna reichte mit zitternden Händen den Brief hin. Er ergriff ihn höchst gespannt. Aber ehe er ihn entfaltete, blickte er auf einmal seine Schwester wie verwundert an.

      »Sonderbar«, sagte er langsam, wie von einem neuen Gedanken überrascht, »warum ereifre ich mich eigentlich so? Wozu dieser ganze Lärm? Mag sie doch heiraten, wen sie will!«

      Er sagte das scheinbar nur für sich, sprach aber dabei ganz laut und blickte eine Weile seine Schwester an, als ob er ganz erstaunt wäre.

      Endlich faltete er den Brief auseinander, immer noch mit derselben Miene einer eigentümlichen Verwunderung; dann begann er ihn langsam und aufmerksam zu lesen und las ihn zweimal durch. Pulcheria Alexandrowna befand sich in heftiger Unruhe; alle erwarteten sie etwas Besonderes.

      »Eines setzt mich in Verwunderung«, begann er, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, und reichte den Brief der Mutter wieder hin, wandte sich aber mit seinen Worten nicht direkt an einen der Anwesenden, »er führt doch Prozesse, ist Rechtsanwalt, und auch seine Art zu reden zeigte so eine geschäftliche Routine – aber was schreibt er für einen ungebildeten Stil!«

      Alle gerieten in Bewegung; sie hatten etwas ganz anderes erwartet.

      »So schreiben doch diese Leute alle!« warf Rasumichin kurz hin.

      »Hast du den Brief gelesen?«

      »Ja.«

      »Wir haben ihn ihm gezeigt, Rodja; wir haben ihn vorhin um Rat gefragt«, fügte Pulcheria Alexandrowna verlegen zur Erklärung hinzu.

      »Es ist im Grunde der übliche Gerichtsstil«, unterbrach sie Rasumichin. »Gerichtliche Schriftstücke werden noch heutzutage so abgefaßt.«

      »Gerichtsstil? Ja, ganz richtig, Gerichtsstil, Geschäftsstil, das ist’s. Nicht gerade sehr ungebildet, aber auch nicht gerade sehr geschmackvoll; Geschäftsstil!«

      »Pjotr Petrowitsch macht

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