Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle

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Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle

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zu unterbrechen. Wir waren schon verschiedene Meilen gefahren und gelangten an den äußern Gürtel der Vorstadtvillen, als sich Holmes aufraffte, die Achseln zuckte und seine Pfeife in Brand steckte mit der Miene eines Menschen, der mit sich zufrieden ist, im Bewußtsein, daß er tut, was in seinen Kräften steht.

      »Dir ward die schöne Gabe des Schweigens verliehen, Watson«, sagte er, »und das macht dich zu einem geradezu unschätzbaren Gefährten. Auf Ehre, für mich ist es von größtem Wert, jemand zu haben, gegen den ich mich aussprechen kann, denn meine eigenen Gedanken sind nicht gerade ergötzlicher Art. Eben überlegte ich mir, was ich dem guten Frauchen wohl sagen sollte, wenn sie mir heute Abend entgegentritt.«

      »Du vergissest, daß ich ja von gar nichts weiß.«

      »Es bleibt jetzt gerade noch Zeit genug, bis wir nach Lee kommen, um dir die Einzelheiten des Falles zu erzählen. Er sieht sich lächerlich einfach an, und doch weiß ich nicht, was ich damit anstellen soll. Fäden gibt es in Menge, aber das richtige Ende vermag ich nicht zu finden. Laß dir also die Sache klar und deutlich auseinandersetzen, Watson, möglich, daß dir vielleicht ein Licht aufgeht, wo für mich alles dunkel ist.«

      »So fange nur an.«

      »Vor einigen Jahren, oder genauer gesagt, vor sechs Jahren, kam ein Herr, Namens Neville St. Clair, nach Lee, der allem Anscheine nach in sehr guten Verhältnissen war. Er bezog eine große Villa, legte geschmackvolle Gärten an und lebte in jeder Beziehung auf großem Fuße. Allmählich gewann er Freunde in der Nachbarschaft und heiratete vor drei Jahren die Tochter eines dort ansässigen Bierbrauers, die ihn seitdem mit zwei Kindern beschenkt hat. Einen eigentlichen Beruf hatte er nicht, doch war er bei verschiedenen Unternehmungen beteiligt und ging in der Regel des Morgens zur Stadt und kehrte des Abends mit dem 5 Uhr 14-Zuge wieder zurück. Herr St. Clair ist jetzt siebenunddreißig Jahre alt, ein Mann von soliden Lebensgewohnheiten, ein guter Ehegatte, zärtlicher Vater und bei allen beliebt, die ihn kennen. Ich kann noch hinzufügen, daß, soweit es sich ermitteln ließ, seine ganze Schuldenlast sich zur Zeit auf achtundachtzig Pfund und zehn Schilling beläuft, während sein Bankguthaben zweihundertundzwanzig Pfund beträgt. Es liegt darum auch kein Grund zur Annahme vor, daß ihn etwa Geldsorgen bedrückt hätten.

      Am letzten Montag fuhr Herr Neville St. Clair etwas früher als gewöhnlich zur Stadt, nachdem er zuvor geäußert, daß er zwei wichtige Geschäfte zu erledigen habe, und daß er seinem Söhnchen einen Baukasten mitbringen wolle. Am selben Morgen, ganz kurz nach St. Clairs Weggang, erhielt seine Frau die Drahtnachricht, daß ein von ihr erwartetes Paketchen von beträchtlichem Werte auf dem Postamt der Aberdeen-Schiffsgesellschaft abgeholt werden könne. Wenn du dich in deinem London gut auskennst, dann weißt du, daß die Geschäftsräume dieser Gesellschaft in der Fresnostraße liegen, die in die Obere Swandamstraße mündet, wo du mich heute nacht getroffen hast. Frau St. Clair nahm ihr zweites Frühstück ein und ging dann nach der Stadt, machte einige Einkäufe, holte ihr Paketchen auf dem Schiffsamte und ging genau um 4 Uhr 35 Minuten durch die Swandamstraße wieder zurück, der Bahnstation zu. Bist du mir so weit gefolgt?«

      »Das ist alles völlig klar.«

      »Du erinnerst dich vielleicht noch, daß es am Montag außerordentlich heiß war. Frau St. Clair ging darum langsam und sah sich, in der Hoffnung, einen Wagen zu entdecken, nach allen Seiten um, denn es kam ihr in dieser Umgebung nicht recht geheuer vor. Während sie so die Swandamstraße entlang schritt, hörte sie plötzlich einen Schrei und war starr vor Schrecken, als sie ihren Mann aus einem Fenster des zweiten Stocks auf sie niederblicken und ihr zuwinken sah. Das Fenster stand offen, so daß sie sein Gesicht ganz deutlich erkennen konnte, das nach ihrer Schilderung entsetzlich aufgeregt gewesen sein muß. Nachdem er ihr heftig mit der Hand gewinkt hatte, verschwand er so plötzlich vom Fenster, daß es ihr schien, als ob eine unwiderstehliche Macht ihn von hintenher weggerissen habe. Ein eigentümlicher Umstand entging ihrem raschen Blicke nicht: obwohl ihr Mann denselben dunklen Rock trug, wie bei seinem Weggang von Hause, so hatte er doch weder Kragen noch Krawatte an.

      Überzeugt, daß St. Clair irgend etwas zugestoßen sein müsse, eilte sie die Stufen hinab – denn das Haus war kein andres als die Opiumhöhle, in der du mich heute nacht gefunden hast – lief durch das Vorzimmer und wollte die Treppe, die zum ersten Stock führte, hinaufsteigen, doch da trat ihr jener Malaie, der Schurke, den ich schon einmal nannte, in den Weg, drängte sie zurück und schob sie mit Hilfe eines Dänen, der dort häufig Handlangerdienste tut, hinaus auf die Straße. Voll der wahnsinnigsten Befürchtungen und Sorgen, rannte sie die Straße entlang, und ein glücklicher Zufall wollte es, daß sie in der Fresnostraße auf einige Schutzleute stieß, die unter der Führung eines Wachtmeisters eben die Runde machten. Der Wachtmeister begleitete sie mit zweien seiner Leute zurück, und trotz des hartnäckigen Widerstandes des Hausbesitzers drangen sie zu dem Zimmer durch, in dem St. Clair zuletzt gesehen worden war. Keine Spur mehr von ihm. Ja, im ganzen Stockwerk niemand als ein jämmerlicher Krüppel von abschreckender Häßlichkeit, der hier zu wohnen schien. Er sowohl als der Wirt verschworen sich hoch und teuer, daß den ganzen Nachmittag außer ihnen niemand in diesem vorderen Zimmer gewesen sei. Ihre Beteuerungen schienen so glaubwürdig, daß der Wachtmeister zu glauben geneigt war, Frau St. Clair müsse sich getäuscht haben, als diese plötzlich mit jähem Aufschrei auf ein hölzernes Kästchen zulief, das auf dem Tische stand, und den Deckel aufriß. Eine Menge kleiner Bausteine stürzte daraus hervor. Es war das Spielzeug, das der Vater versprochen hatte mit nach Hause zu bringen.

      Diese Entdeckung, sowie die sichtliche Verlegenheit, die der Krüppel zeigte, überzeugten den Wachtmeister von dem Ernste der Sache. Die Räume wurden sorgfältig untersucht, und alles, was sich ergab, wies auf ein entsetzliches Verbrechen hin. Das vordere Zimmer war ein einfach ausgestatteter Wohnraum und führte in ein kleines Schlafzimmer mit der Aussicht auf die Rückseite einer Werft. Zwischen der Werft und dem Schlafzimmerfenster befindet sich ein schmaler Weg, der während der Ebbe trocken, während der Flut jedoch zum mindesten vier bis fünf Fuß hoch unter Wasser ist. Das Fenster war breit und ließ sich in die Höhe schieben. Bei genauer Besichtigung fanden sich Blutspuren auf dem Fenstersims, und vereinzelte Tropfen waren auf dem Bretterboden des Schlafzimmers sichtbar. Hinter einem Vorhang des Wohnzimmers lagen alle Kleider des Herrn Neville St. Clair auf einem Haufen beisammen, nur der Rock fehlte. Stiefel, Socken, Hut, Uhr – alles fand sich vor, aber kein Merkmal von Gewalttat war daran zu erkennen, und auch sonstige Spuren von Herrn Neville St. Clair fanden sich nicht. Allem Anschein nach mußte er zum Fenster hinausbefördert worden sein, ein anderer Ausweg war nicht zu entdecken, und die verdächtigen Blutspuren am Gesimse ließen wenig Hoffnung übrig, daß er sich durch Schwimmen gerettet haben könnte, denn die Flut stand zur Zeit der Greueltat am höchsten. Und nun zu den Strolchen, die zunächst in die Sache verwickelt schienen. Der Malaie war ein äußerst übel beleumundeter Mensch. Da er aber nach Aussage der Frau St. Clair wenige Sekunden nach ihres Mannes Erscheinen am Fenster am Fuße der Treppe gestanden hatte, so konnte er kaum anders denn als bloße Nebenfigur bei dem Verbrechen angesehen werden. Seine Verteidigung beschränkte sich auf die Behauptung vollständiger Unwissenheit. Er verwahrte sich gegen jegliche Kenntnis von dem Tun und Lassen seines Mieters, Hugo Boones, und erklärte sich außerstande, irgend welche Rechenschaft darüber zu geben, wie die Kleider des vermißten Herrn hierher gekommen wären.

      So viel über den Wirt. Und nun zu dem unheimlichen Krüppel, der im zweiten Stock der Opiumhöhle wohnt, und der sicher das letzte menschliche Wesen war, dessen Auge Neville St. Clair gesehen hat. Er heißt Hugo Boone, und jedermann, der häufig zur City kommt, kennt sein abschreckendes häßliches Gesicht.

      Er ist gewerbsmäßiger Bettler und treibt dabei, um den polizeilichen Verordnungen nachzukommen, einen kleinen Handel mit Streichhölzern. Eine kurze Strecke die Threadneedlestraße abwärts tritt links an der Mauer eine kleine Ecke hervor. Dort läßt sich der Kerl täglich mit gekreuzten Beinen und seinem kleinen Warenvorrat auf dem Schoß nieder, und sein Anblick ist so erbarmungswürdig, daß der reichste Wohltätigkeitsregen in seine fettige Mütze neben ihm auf dem Pflaster niederträufelt. Noch ehe ich ahnte, daß ich einmal von Berufs wegen dieses

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