Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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»Jawohl.«
»Doch stieß er, soviel ich weiß, nur einen unartikulierten Schrei aus!«
»Ja.«
»Den Sie für einen Hilferuf hielten?«
»Ja. Er erhob die Hände.«
»Es kann aber auch ein Ruf der Überraschung gewesen sein. Vielleicht veranlaßte ihn Ihr unerwarteter Anblick, die Hände emporzuheben.«
»Das kann sein.«
»Kam es Ihnen vielleicht nur so vor, als ob er nach rückwärts gerissen worden sei?«
»Er verschwand ganz plötzlich.«
»Er kann auch zurückgesprungen sein. Sie sahen doch sonst niemand im Zimmer?«
»Nein, aber jener entsetzliche Mensch hat zugegeben, daß er dort war, und der Malaie stand an der Treppe.«
»Ganz recht. Und Ihr Gemahl hatte, soviel Sie sehen konnten, seine gewöhnlichen Kleider an?«
»Ja, aber ohne Kragen und Krawatte. Ich sah seinen bloßen Hals ganz deutlich.«
»Hat er je einmal von der Swandamstraße gesprochen?«
»Niemals.«
»Konnten Sie je Zeichen von Opiumgenuß an ihm entdecken?«
»Niemals.«
»Ich danke Ihnen, Frau St. Clair. Dies sind die Hauptpunkte, über die ich vollständig im reinen sein wollte. Lassen Sie uns nun etwas zu Abend speisen, dann wollen wir uns zurückziehen, denn morgen wird es einen unruhigen Tag für uns geben.«
Ein großes behagliches Zimmer stand für uns bereit, und bald lag ich in den Federn, denn ich war müde von dieser Nacht voll Abenteuer. Sherlock Holmes dagegen war ein Mensch, der tage-, ja eine ganze Woche lang in rastloser Tätigkeit ausharren konnte, solange ihn ein ungelöstes Problem beschäftigte. Er beleuchtete es dann nach allen Seiten, wälzte es hin und her, war unermüdlich, das Beweismaterial neu zu ordnen, bis er die Lösung endlich gefunden oder sich überzeugt hatte, daß die Beweismittel ungenügend waren. Es wurde mir bald klar, daß er sich auch heute zu einer Nachtsitzung vorbereitete. Nachdem er Rock und Weste abgelegt hatte, hüllte er sich in seinen großen blauen Schlafrock und zog im Zimmer umher, auf der Jagd nach Kissen, die er sich von Bett, Sofa und Armstühlen zusammenlas. Damit baute er sich eine Art orientalischen Diwan, auf den er sich mit gekreuzten Beinen niederließ, und vor ihm lag ein Paket Rauchtabak und Streichhölzer. Bei dem matten Lampenschein sah ich ihn dort sitzen, eine alte Tonpfeife im Munde, die Augen wie geistesabwesend auf die Zimmerdecke gerichtet, von blauen Rauchwolken umhüllt, schweigend, unbeweglich, die scharf geschnittenen Gesichtszüge vom Lichte beschienen. So saß er da, als ich in Schlaf versank, und so saß er noch, als ein Ausruf mich weckte, und die Sommersonne bereits in unser Zimmer schien. Noch stak ihm die Pfeife im Munde, noch kräuselte sich der Rauch empor, und der Raum war von dichtem Tabaksqualm erfüllt; aber von dem Häufchen Rauchtabak, das ich in der Nacht gesehen hatte, war nichts mehr vorhanden.
»Bist du wach, Watson?« fragte er.
»Ja.«
»Bereit zu einer Morgenfahrt?«
»Gewiß.«
»Dann kleide dich an. Niemand rührt sich noch, doch weiß ich, wo der Stallknecht schläft, und den kleinen Wagen wollen wir schon herausbekommen.« Dabei lachte er in sich hinein, seine Augen funkelten; der ganze Mann schien völlig ausgewechselt zu sein und nicht mehr der düstere Denker der verflossenen Nacht. Beim Ankleiden sah ich auf die Uhr. Kein Wunder, daß sich noch niemand rührte. Es war erst fünfundzwanzig Minuten nach vier Uhr. Kaum war ich fertig, als Holmes mit der Nachricht zurückkam, daß jetzt angespannt werde.
»Ich muß eine meiner Theorien erproben«, sagte er, indem er seine Stiefel anzog. »Watson, meiner Ansicht nach siehst du hier einen der größten Esel in ganz Europa vor dir stehen. Ich verdiene einen Fußtritt, daß ich von hier bis Charing-Croß fliege. Aber den Schlüssel zu dieser Geschichte glaube ich jetzt gefunden zu haben.«
»Und wo ist er?« fragte ich lächelnd.
»Im Badezimmer«, erwiderte er. »Jawohl, ich scherze nicht«, fuhr er fort, als er mein ungläubiges Gesicht sah. »Soeben war ich dort und habe ihn hier in dieser Ledertasche mitgenommen. Vorwärts, mein Junge, wir wollen sehen, ob er nicht zum Schloß paßt.«
So leise als möglich schlichen wir die Treppe hinab und traten hinaus in die klare Morgensonne. Auf der Straße stand unser Gefährt mit dem halbangekleideten Stallknecht, der den Gaul hielt. Rasch stiegen wir ein, und fort ging’s auf der Londoner Straße. Vereinzelte Bauernwagen, die Gemüse nach der Weltstadt brachten, machten zwar einigen Lärm, aber die zahlreichen Landhäuser zu beiden Seiten des Weges lagen still und leblos da, wie eine in Traum versunkene Stadt.
»Dieser Fall ist doch in mancher Beziehung recht merkwürdig«, sagte Holmes und trieb sein Pferd zum Galopp an. »Blind wie ein Maulwurf bin ich gewesen, das muß ich gestehen, doch ist es immer noch besser, man wird erst spät klug, als gar nicht.«
In der Stadt sahen eben die ersten Frühaufsteher mit verschlafenen Augen zum Fenster heraus, als wir durch die Straßen des Surreyviertels fuhren. Durch die Waterloo-Brückenstraße hinab kamen wir über den Fluß, wandten uns dann zur Rechten und gelangten in die Bowstraße. Sherlock Holmes war auf der Polizei wohlbekannt, und die beiden Schutzleute vor der Tür begrüßten ihn. Einer hielt das Pferd, während der andere uns hineinführte.
»Wer hat Dienst?« fragte Holmes.
»Wachtmeister Bradstreet.«
»Ei, guten Tag, Bradstreet, wie geht’s?«
Ein großer, stattlicher Beamter kam in Dienstmütze und Uniform den mit Steinfliesen belegten Gang herab.
»Könnte ich ein paar Worte mit Ihnen sprechen, Bradstreet?«
»Gewiß, Herr Holmes. Treten Sie nur hier in mein Zimmer ein.«
Es war ein kleiner büromäßig ausgestatteter Raum, ein riesiges Hauptbuch lag auf dem Tisch, und ein Telephon ragte aus der Wand hervor. Der Wachtmeister setzte sich an sein Pult.
»Womit kann ich dienen, Herr Holmes?«
»Ich komme wegen jenes Bettlers, des Boone, wissen Sie, des Menschen, der im Verdacht steht, bei dem Verschwinden des Herrn Neville St. Clair aus Lee beteiligt zu sein.«
»Ja, der wurde eingebracht und soll noch weiter verhört werden.«
»Das ist mir gesagt worden. Haben Sie ihn hier?«
»Ja, in einer Zelle.«
»Ist er ruhig?«
»Ja, der macht wenig Mühe, aber ein schmutziger Kerl ist er.«
»Schmutzig?«
»Freilich, und kaum können wir ihn dazu bringen, daß er sich die Hände wäscht, ein Gesicht hat er, so schwarz wie ein Kesselflicker. Nun, sobald einmal das Verfahren im Gang ist, bekommt er sein regelrechtes Gefängnisbad, und meiner Treu, wenn Sie