Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle

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Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle

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mein Geheimnis bei ihm wohl verwahrt blieb.

      Sehr bald zeigte es sich, daß ich ganz bedeutende Summen einnahm. Ich glaube kaum, daß jeder Straßenbettler in London siebenhundert Pfund im Jahr zusammenbringen kann – und dies ist weniger als meine Durchschnittseinnahme betrug –, aber mir kam der Umstand zu statten, daß ich mich außergewöhnlich gut herrichten konnte und stets eine schlagfertige Gegenrede bereit hatte, eine Fähigkeit, die mit der Zeit zunahm, so daß ich schließlich zu einer stadtbekannten Persönlichkeit wurde. Eine Menge Kupfermünzen, mit Silberstücken gemischt, flossen mir im Laufe des Tages zu, und schlecht war die Einnahme, wenn sie einmal unter zwei Pfund betrug.

      Mit dem Reichwerden nahm auch der Ehrgeiz zu. Ich bezog ein Landhaus, heiratete sogar, und niemand hatte eine Ahnung von meiner eigentlichen Beschäftigung. Meine gute Frau wußte, daß ich in der Stadt zu tun hatte. Was es aber war, vermutete sie nicht.

      Letzten Montag hatte ich mein Tagewerk eben beendigt und kleidete mich in meinem Zimmer über der Opiumkneipe um, als ich aus dem Fenster sah und zu meinem Staunen und Entsetzen bemerkte, daß meine Frau auf der Straße stand und mich fest ins Auge gefaßt hatte. Ich stieß einen Schrei der Überraschung aus, erhob die Hände, um mein Gesicht zu verhüllen, und stürzte zu dem Wirt, meinem Vertrauten, um ihn anzuflehen, doch ja niemand einzulassen. Wohl hörte ich ihre Stimme von unten, doch wußte ich, daß sie nicht heraufkommen könne. Schnell warf ich meine Kleider von mir, zog mein Bettlergewand an, schminkte mich und stülpte die Perücke auf. Selbst das Auge der eigenen Frau vermochte diese vollständige Verwandlung nicht zu durchschauen. Aber dann fiel mir ein, daß das Zimmer durchsucht werden und die Kleider mich verraten könnten. Eilig riß ich das Fenster auf, und bei dieser heftigen Bewegung öffnete sich eine kleine Wunde wieder, die ich mir an jenem Morgen in meinem Schlafzimmer zugezogen hatte. Dann ergriff ich meinen Rock, beschwerte ihn mit den Kupfermünzen, die ich aus der Ledertasche nahm, in der ich mein Erworbenes wegzutragen pflegte, und schleuderte ihn zum Fenster hinaus, wo er in der Themse verschwand. Die anderen Kleidungsstücke sollten folgen, aber im selben Augenblick hörte ich von der Treppe her das Nahen von Schutzleuten, und wenige Minuten nachher wurde ich zu meiner großen Erleichterung, ich muß es bekennen, anstatt als Neville St. Clair erkannt zu werden, als dessen Mörder festgenommen.

      Es wird wohl kaum weiterer Aufklärungen bedürfen. Ich war fest entschlossen, meine Maske so lange als möglich beizubehalten, und daher also kam meine Vorliebe für das schmutzige Gesicht. Da ich wohl wußte, daß meine Frau entsetzlich in Angst sein würde, zog ich meinen Ring ab und vertraute ihn dem Malaien in einem Augenblick an, als mich gerade kein Polizeimann beobachtete, zugleich mit einem eiligst beschriebenen Fetzen Papier an meine Frau, der ihr sagen sollte, daß kein Grund zur Sorge vorliege.«

      »Dieser Zettel erreichte sie erst gestern«, sagte Holmes.

      »Großer Gott! Welche angstvolle Woche muß sie verbracht haben!«

      »Die Polizei hat den Wirt bewacht«, erklärte der Wachtmeister, »und ich kann mir wohl denken, daß es ihm schwer genug geworden ist, den Brief unbeobachtet zur Post zu bringen. Wahrscheinlich hat er ihn irgend einem Matrosen seiner Kundschaft übergeben, der ihn wohl ein paar Tage lang vergessen haben mag.«

      »Ja, ja,« sagte Holmes mit zustimmendem Kopfnicken, »ohne Zweifel war es so. Doch, sind Sie nie wegen Bettelns belangt worden?«

      »Freilich, oftmals; aber was kümmerte mich eine Geldstrafe?«

      »Doch hiemit muß es nun ein für allemal vorbei sein«, sagte Bradstreet. »Soll die Polizei diese Geschichte tot schweigen, so darf es keinen Hugo Boone mehr geben.«

      »Das habe ich mir selbst bei dem heiligsten Eide, den ein Mann leisten kann, zugeschworen.«

      »In diesem Falle halte ich es für wahrscheinlich, daß keinerlei weitere Schritte geschehen werden. Doch sollten Sie je wieder beim Betteln betroffen werden, dann muß alles an den Tag kommen. Ihnen, Herr Holmes, sind wir für Aufklärung der Sache zu großem Dank verpflichtet. Es würde mich interessieren zu erfahren, wie und auf welchem Wege Sie zu Ihren merkwürdigen Schlußfolgerungen gelangten.«

      »Zu den vorliegenden bin ich dadurch gelangt, daß ich mich auf fünf Kissen setzte und eine gute Portion Tabak verrauchte. – Wir wollen jetzt nach der Bakerstraße fahren, Watson, ich denke, wir kommen gerade noch recht zum Frühstück.«

      Die Geschichte des blauen Karfunkels

      (The Blue Carbuncle - 1892)

       Inhaltsverzeichnis

      Am zweiten Tage nach Weihnachten sprach ich vormittags bei meinem Freunde Sherlock Holmes vor, um ihm meine Glückwünsche zum Feste darzubringen. Ich traf ihn in einem purpurroten Schlafrock auf dem Sofa liegend, die lange Pfeife neben sich, ganz begraben unter einem Stoß von Morgenzeitungen. Neben dem Sofa stand ein Holzstuhl, an dessen Lehne ein ruppiger, unappetitlicher steifer Filzhut, an mehreren Stellen eingedrückt und längst nicht mehr gebrauchsfähig, aufgehängt war. Ein Vergrößerungsglas und eine Pinzette auf dem Sitz des Stuhles deuteten an, daß der Hut zum Zweck seiner Untersuchung dort hing.

      »Du bist beschäftigt«, sagte ich. »Ich störe dich vielleicht?«

      »Durchaus nicht. Es ist mir im Gegenteil ganz erwünscht, mit einem guten Bekannten über die Ergebnisse meiner Untersuchung sprechen zu können. Der Gegenstand ist ein ganz alltäglicher« – dabei deutete er mit dem Daumen nach dem alten Hut hin –, »aber die weiteren Umstände, die mit demselben im Zusammenhang stehen, sind nicht ganz uninteressant, ja sogar einigermaßen lehrreich.«

      Ich setzte mich in seinen Armstuhl und wärmte mir die Hände an seinem prasselnden Feuer, denn es war scharfer Frost eingetreten, und die Fenster waren mit einer dicken Eiskruste überzogen. »Vermutlich«, bemerkte ich, »steckt hinter diesem Ding da, so harmlos es aussieht, irgend eine Mordgeschichte und bildet es für dich den Anhaltspunkt zur Entdeckung irgend eines Geheimnisses und zur Bestrafung eines Verbrechens.«

      »Nein, nein! nichts von Verbrechen«, versetzte Holmes lachend, »nur einer jener absonderlichen kleinen Zwischenfälle, wie sie immer vorkommen, wo sich doch Millionen menschlicher Wesen auf einem Raume von wenigen Quadratmeilen drängen. Bei den wechselseitigen Reibungen eines so dichtgeballten Menschenschwarms darf man sich auf alle möglichen Verkettungen von Umständen gefaßt machen, und bietet sich so manches kleine Rätsel zur Lösung dar, das, ohne verbrecherischer Natur zu sein, des Überraschenden und Sonderbaren genug enthält. Wir haben schon mehr dergleichen erlebt. Nun, ich zweifle nicht, daß auch dieser kleine Fall zu dieser unschuldigen Sorte gehören wird. Du kennst doch Peterson, den Kommissionär?«

      »Ja.«

      »Ihm gehört diese Trophäe.«

      »Es ist sein Hut?«

      »Doch nicht, er hat ihn gefunden. Der Eigentümer desselben ist unbekannt. Ich bitte dich jetzt, in dem Hut nicht einen alten, ruppigen Filz, sondern vielmehr einen Prüfstein für unsern Scharfsinn sehen zu wollen. Vor allem also höre, wie derselbe hierher kam; er machte seine Aufwartung am Christfestmorgen in Gesellschaft einer guten, fetten Gans, welche ohne allen Zweifel jetzt gerade in Petersens Küche gebraten wird. Die Sache trug sich folgendermaßen zu: Etwa um vier Uhr am Christfestmorgen ging Peterson – wie du weißt, ein höchst anständiger Bursche – von einer kleinen Lustbarkeit nach Hause, wobei ihn sein Weg durch Tottenham Court Road führte. Vor ihm her ging, wie er beim Schein der Laterne bemerkte, mit etwas schwankenden Schritten ein hochgewachsener Mann, der eine weiße Gans auf der Schulter trug. An der Ecke von Goodge Street bekam er Streit mit ein

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