WASTELAND - Schuld und Sühne. Russell Blake
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Lucas hatte seit dem Kollaps eine Menge Tod gesehen. Ungerührt kehrte er zu Tango zurück und stieg wieder auf. Die Tage der Vernunft, des Geldes, der Ordnung und der rechtlichen Konsequenzen waren vorbei. Was blieb, war die brutale Alternative zwischen Jäger und Gejagtem. Wäre er noch ein Ranger gewesen, hätte er es als seine Aufgabe betrachtet, alle überlebenden Angreifer zu suchen und sie der Gerechtigkeit zuzuführen. Aber dieses Konzept existierte nicht mehr und Gerechtigkeit kam heute aus dem Lauf einer Waffe.
Er ließ seine Stiefel in die Steigbügel gleiten und gab Tango mit dem Zügel einen sanften Klaps auf den Nacken. Das M4 hielt er fest in seiner rechten Hand, während das Pferd seinen Weg hinunter zu der grässlichen Szene suchte. Lucas beobachtete weiterhin die Umgebung und der Lauf seiner Waffe wanderte mit seinen Augen.
Als Lucas näherkam, hüpfte der Geier davon und erhob sich in die Luft, um seinen Kumpanen am Himmel Gesellschaft zu leisten. Erst als Lucas sicher war, dass es keine ungebetenen Gäste gab, stieg er ab und flüsterte in Tangos Ohr: »Bleib.«
Tango blinzelte ihm mit seinen großen, dunklen Augen zu und blieb erwartungsvoll stehen.
Lucas betrachtete die Szene und war abgestoßen vom sinnlosen Verlust an Menschenleben. Er ging zur ersten Leiche und drehte sie auf den Rücken. Drei Einschüsse liefen quer über die Brust des Mannes. Die letzte Kugel hatte ihm die halbe Schulter weggerissen. Seine leeren Augen blickten mit einem überraschten Ausdruck in die Ewigkeit, den Lucas nur zu gut kannte. Er ließ den Mann zurücksinken und ging zum nächsten. Er vergewisserte sich, dass sie wirklich alle tot waren. Lange dauerte es nicht: Die großen Blutlachen unter jedem von ihnen waren Beweis genug. Sie alle hatten das ausgemergelte Aussehen von Männern, deren Ernährung sich nach dem Ende der Zivilisation dramatisch verändert hatte. Das simple Konsumieren von Fertignahrung war ersetzt worden durch die Jagd auf alles, was kreuchte und fleuchte. Er erkannte allerdings, dass sie alle ordentlich geschnittene Haare und gute Ausrüstung hatten. Diese sammelte er hastig ein und legte sie auf einen Haufen, wobei er sich auf Waffen und Munition konzentrierte. Ansonsten fand er nur wenig Tauschartikel, die sich leicht transportieren ließen.
Danach ging er zu den toten Pferden und sah in ihre Satteltaschen. Sie enthielten Plastikbehälter mit Reis, Töpfe, mehr Munition, Kompasse, Trockenfleisch und andere haltbare Nahrungsmittel, dazu die übliche Sammlung von spärlichen Habseligkeiten, die heutzutage als Schätze durchgingen. Er leerte die Satteltaschen aus und sah den Inhalt zügig durch. Er legte alles beiseite, was sich nicht leicht transportieren ließ. Er hatte nur Raum für Sachen von Wert, so wie ein Jagdmesser oder eine AR-15 mit mehreren hundert Schuss Munition, die kostbarer als alles andere zusammen war.
Als er den ersten der toten Angreifer erreichte, verzog er das Gesicht. Der Schädel des Mannes war ein Krater voller Fliegen, die Vorderseite des Kopfes war von einem Schuss zerfetzt worden. Zurück blieben nur sein öliges, schwarzes, zu einem Iro geschnittenes Haar und ein verdreckter, ungepflegter Bart.
»Raider«, murmelte Lucas. Der Iro war das Erkennungszeichen einer der Gangs, welche die Gegend unsicher machten und jeden terrorisierten, auf den sie stießen. Sie waren undisziplinierte Amateure, aber gefährlich wie Skorpione und vollkommen skrupellos. Viele von ihnen waren Berufsverbrecher, die die Städte verlassen hatten, als alles zusammenbrach, und die eine Bande von Halsabschneidern gebildet hatten, die lieber raubten und mordeten statt als Farmer zu schuften. Der Kollaps hatte das Beste und das Schlechteste in den Menschen geweckt. Leider hatte das Schlechte meist überwogen und ihre Gewaltbereitschaft verschaffte ihnen natürlich Vorteile gegenüber den Schwächeren.
Lucas hatte das blutige Handwerk der Raider mehr als einmal beobachtet, an den schutzlosen Häusern, die es hier früher einmal gegeben hatte. Wie ein Heuschreckenschwarm hatten sie alles auf ihrem Weg zerstört. Sie töteten jeden, außer jungen Frauen, die sie zu Sklavinnen machten – Gerüchten zufolge ein Schicksal schlimmer als der Tod. Er machte einen weiten Bogen um sie – und sie ließen die Stadt, bei der er wohnte, in Frieden. Sie bevorzugten leichtere Ziele als diese schwer bewaffneten Siedler. Genau wie die Raider hatte auch Lucas einen Ruf, der ihm vorauseilte, sodass sie die Farm, auf der er mit seinem Großvater lebte, in Ruhe ließen.
Drei der anderen Toten waren ebenfalls Raider. Ein weiterer Indikator war ihre Lieblingswaffe, die Kalaschnikow AK-47, deren 7.62 Munition durch Geschäfte mit mexikanischen Banditen leicht zu beschaffen war. Mexiko war während des Krieges gegen die Drogen regelrecht mit Waffen geflutet worden. Man nannte sie auf Spanisch Cuerno de Chivo – das Ziegenhorn – wegen ihres auffällig gekrümmten 30-Schussmagazins. Die meisten waren vollautomatisch, und obwohl sie nicht so präzise waren wie Lucas' M4, hatten sie doch auf einhundert Meter eine mörderische Durchschlagskraft. Lucas sammelte die Sturmgewehre ein. Zwei davon waren die AK-M Variante mit einklappbarer Schulterstütze. Er warf sie auf den Haufen zu den anderen Waffen.
Ein Gurgeln kam von einem der Körper, die er noch nicht untersucht hatte. Er wirbelte in der Hocke herum, das M4 im Anschlag. Der Mann, dessen Iro kanariengelb gefärbt war, war wie die anderen Raider mit einer dreckigen schwarzer Jeans und einem fleckigen T-Shirt gekleidet. Lucas lief zu ihm hinüber, jederzeit bereit zu schießen, aber der Mann war bereits am Ende. Blut aus einer Kopfwunde verkrustete ihm Stirn und Augenlider. Lucas zog die Glock aus seinem Hosenbund und schob die AK mit dem Fuß beiseite, bevor er sich vorsichtig neben ihm hinkniete.
Die Augen des Mannes öffneten sich und er starrte Lucas mit leerem Blick an. Er versuchte zu sprechen, aber alles, was aus seinem Mund kam, war ein Schwall Blut. Dann rollte sein Kopf zur Seite. Sein Todesröcheln dauerte beinahe fünf Sekunden.
Lucas ging seine Sachen durch und fand in der Gesäßtasche des Mannes ein Klappmesser. Es war von guter Qualität und versprach einen guten Handel. Die Glock und ihre zwei Reservemagazine würden ebenfalls ein gutes Geschäft werden, auch wenn er persönlich nicht viel von einer 9mm hielt. Lucas' Philosophie war immer gewesen, dass die momentane Taubheit, die einen Schuss aus seiner Kimber begleitete, durch ihre hohe Durchschlagskraft mehr als aufgewogen wurde.
Nachdem er sich alle Waffen angesehen hatte, traf er eine schnelle Entscheidung und trug die wertvollsten zu Tango hinüber. Lucas belud die Satteltaschen bis zum Bersten mit Waffen und Munition und war enttäuscht, doch wenig überrascht, dass er zwei AK-47 und ein paar Pfund Munition zurücklassen musste.
Entferntes Donnergrollen hallte von den Wänden der Schlucht wider und Lucas wandte sich dem aufziehenden Sturm zu. Er erstarrte, als er eine Gestalt bemerkte, unmittelbar neben einem Felsvorsprung, deren Brust sich hob und senkte und die offensichtlich am Leben war. Er hatte diese Person vorher nicht bemerkt. Wer immer es auch war, hatte sich gut verborgen. Er schnellte hoch und lief im Zickzack auf den gefallenen Schützen zu. Die M4 hielt er im Laufen auf die Gestalt gerichtet.
Als er den Vorsprung erreichte, blieb er verblüfft stehen.
Es war eine Frau.
Bewusstlos und schwer atmend, eine AR-15 war direkt neben ihr zu Boden gefallen.
Aber sie war am Leben, auch wenn sie um jeden Atemzug kämpfte. Ihre Bluse und ihre Hose waren von Blut durchtränkt.
Kapitel 2
Lucas senkte langsam die Waffe, als er sich der Frau näherte und ihren Zustand einschätzte. Sie war in den Oberschenkel und in den oberen Brustkorb getroffen worden. Ihre leichte Schutzweste hatte nicht