Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

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Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри

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es den Lesern weismachen wollen, so würde es nicht Tausende und Abertausende von armen, roten Männern geben, welche, hungernd und frierend, ihre Blöße kaum bedecken können und als körperlich und moralisch heruntergekommene Bettler und Vagabunden vor den Thüren derer herumstreichen, von denen sie um alles, was sie früher besaßen, gebracht worden sind.

      Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß die Kunde von Indianern, welche solche Geheimnisse gekannt haben, in allen Fällen eine Unwahrheit gewesen ist. Oh nein; ich selbst habe ja auch Rote gekannt, und zu diesen gehörte mein Winnetou, welche, wenn sie Gold brauchten, genau wußten, wo sie es zu holen hatten; aber das waren nicht gewöhnliche Männer, sondern sie gehörten alten, hervorragenden Familien an, in denen derartige Geheimnisse vom Vater auf den Sohn vererbten und niemals einem andern Familien-oder Stammesmitgliede, am allerwenigsten aber einem Weißen mitgeteilt wurden. Man muß nämlich wissen, daß der Sinn für Familienangehörigkeit, also der Stolz auf eine ungewöhnliche Abkunft, dem Indianer nicht etwa etwas Unbekanntes ist. Dieser Sinn wird ihnen allerdings sehr häufig abgesprochen; aber wer das thut, verrät dadurch nur seine Unkenntnis und plappert gedankenlos Behauptungen nach, welche von den Unterdrückern der roten Rasse vorgebracht worden sind, um ihr grausames Vergehen in einem weniger verwerflichen Lichte erscheinen zu lassen. Es giebt unter den roten Stämmen berühmte Familien, denen anzugehören eine große Ehre ist. Daran kann der Umstand, daß die Indianer sonst keine Familiennamen besitzen, gar nichts ändern. Es ist da bei ihnen genau so wie z. B. bei gewissen Völkern des Altertumes und des heutigen Orientes, die auch keine Familiennamen kannten oder kennen und doch Familien aufzuweisen haben, welche sogar weltgeschichtlich berühmt geworden sind.

      Winnetou konnte eine ganze, lange Reihe berühmter Vorfahren aufzählen, welche alle Häuptlinge gewesen waren. Er kannte ihre Wirksamkeit und jede einzelne ihrer Thaten und hatte von ihnen die Kunde von Placers überkommen, über welche ihn selbst die ausgesuchtesten Martern nicht hätten zum Reden bringen können. Ich war der einzige Mensch, dem er, aber auch nur höchst selten und dann ganz, ganz von weitem, eine leise Andeutung darüber machte. Dazu kam, daß sein überhaupt so unvergleichlich scharfes und geübtes Auge einen ungewöhnlichen Blick für Fundorte edlen Metalles besaß. Ich wußte, daß er auf seinen vielen Wanderungen von einem Stamme zum andern selbst auch Stellen entdeckt hatte, wo Gold oder Silber zu finden war. Er hatte dann oft tage-, ja wochenlang zugebracht, diese Orte unzugänglich zu machen oder wenigstens so zu verbergen, daß ein anderer sich lange Zeit in unmittelbarer Nähe befinden konnte, ohne zu ahnen, daß er an einer Quelle großen Reichtums sitze.

      Solche Stellen waren es, die er aufsuchte, wenn er einmal in die Lage kam, Geld zu brauchen. Im wilden Westen war dies nie der Fall, denn da schoß er sich unterwegs das Fleisch, welches er zur Nahrung brauchte, und konnte darauf rechnen, in jedem befreundeten Lager oder Zelte mit Freuden als Gast aufgenommen zu werden. Aber wenn er ein Fort oder eine sonstige Niederlassung aufsuchen mußte, um Munition zu kaufen, oder wenn er eine weitere Reise nach den »civilisierten« Gegenden unternahm, dann brauchte er Geld, und da versah er sich vorher stets mit einem Vorrate von Nuggets, welche er gegen geprägte Münze oder »mit Zahlen versehenes Papier« umtauschte.

      Daß dann seine Kasse, wenn ich bei ihm war, auch für mich offen stand, brauche ich eigentlich nicht erst zu sagen; aber es kam das nicht sehr häufig vor, denn ich gehöre nicht zu der Art von Menschen, für welche es eine Freundschaft nur giebt, um angezapft zu werden. In der Not um Geld würde ich mich nur an Fremde, nie aber an einen Freund wenden, denn ich weiß aus Erfahrung, welche ich an andern, sonst ganz guten Menschen machte, daß das Borgen ein wahrer Freundschaftsmörder ist. Man sage mir dagegen, was man will, ich behaupte doch: Es sei mir jemand noch so wohlgesinnt, er fühle eine noch so große Hochachtung für mich und er sei von meiner Zahlungsfähigkeit auch noch so felsenfest überzeugt, sobald ich mir hundert oder fünfzig oder auch nur zwanzig Mark von ihm borge, fällt ein wenn auch noch so kleiner Tropfen auf die schönen Schwingen unserer Freundschaft und nimmt, wenn auch nur einige der glänzenden Schuppen weg – – der Schmetterling ist von jetzt an lädiert. Die wahre Freundschaft ist zum größten Opfer, die zwischen Winnetou und mir war sogar zum Opfer des Lebens bereit; diese Opferbereitschaft ist etwas Hohes, Heiliges, das Borgen aber etwas so Alltägliches, Niedriges, trivial Materielles, daß es zwischen Freunden vermieden werden und nur – – zwischen zwei blutarmen Gymnasiasten und dem lieben Franzl in Falkenau vorkommen sollte!

      Zwar, wenn Winnetou für mich bezahlte, war das kein Borgen zu nennen, und er hatte die Nuggets umsonst; aber auch dieses Wort »bezahlen« hat, wenn es für einen andern, und sei dieser der beste Freund, geschieht, einen andern Klang als wenn man für sich selbst bezahlt. Hätte er mich mit an das Placer genommen und mir erlaubt, soviel Nuggets, wie ich brauchte, einzustecken, dann ja, gut! Aber was er in seiner Tasche hatte, das waren für mich nicht mehr herrenlose Nuggets, sondern das war sein Gold, sein Geld, und wenn er das für mich ausgab, so hatte ich immer das Gefühl, als dürfe ich nicht mit dabei sein, als müsse ich hinausgehen, um es nicht zu sehen. Und dieses Gefühl war es, welches mich dafür sorgen ließ, von seinen Nuggets möglichst unabhängig zu sein.

      Sobald wir nämlich in eine bewohnte Gegend kamen, welche Postverbindung hatte, verwandelte ich mich aus dem Westmanne in den Schriftsteller. Meine Arbeiten wurden von jeder Zeitung gern aufgenommen und meist sofort und gut bezahlt. Diese Honorare waren es, welche mir meine Unabhängigkeit ermöglichten, und diese Zeitungsbeiträge sind es, welche den Reiseerzählungen zu Grunde liegen, mit denen ich seit einiger Zeit vor meine Leser getreten bin. Winnetou fühlte genau wie ich. Es ist ihm nie eingefallen, mir auch nur die geringste Andeutung darüber zu machen, daß dieses Schreiben für Honorar doch ganz überflüssig sei. Er hat sogar oft, wenn die Bezahlung nicht gleich eintreffen wollte, mit mir obgleich wir eigentlich keine Zeit dazu hatten, geduldig gewartet, bis sie kam, und sich dann ebenso darüber gefreut, als ob er selbst der Verfasser, und zwar ein mittelloser Verfasser sei. Ich erinnere mich noch heut mit Vergnügen einer Zurechtweisung, die ein reicher Pflanzer, dessen Knaben ich aus dem Missisippi gezogen hatte, von ihm erfuhr. Dieser Mann wollte, weil er mich wegen meines abgetragenen Prairieanzuges für einen armen Teufel hielt, mich mit einer Geldsumme belohnen; Winnetou aber trat sofort zwischen ihn und mich, blitzte ihn mit seinen Augen zornig an und sagte:

      »Kann man das Leben eines Menschen mit Geld bezahlen? Ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen, und dieser Gentleman ist Old Shatterhand, mein Freund. Er könnte Millionen besitzen, wenn er sie von mir annähme; er mag sie aber nicht. Und du willst ihm diese armseligen Dollars schenken? Stecke sie ein; du brauchst sie selbst!« –

      Also ich war mit Winnetou an den Missouri gekommen, und zwar nach St. Joseph, wo es damals fünf Zeitungen, darunter eine deutsche, gab und die Verbindung mit St. Louis, respektive den Redakteuren der dortigen Zeitungen, eine so gute war, daß ich auf Erfüllung meiner schriftstellerischen Wünsche nicht lange zu warten brauchte. Winnetou hatte sich da von mir getrennt, um, wie bereits gesagt, Nuggets zu holen, denn wir hatten die Absicht, über den Missisippi nach dem Osten zu gehen, wozu wir natürlich Geld brauchten. Das Ziel des Häuptlings kannte ich nicht; er hatte nur gesagt, daß er sich nach Verlauf von zwei Wochen wieder bei mir einstellen werde.

      St. Joseph war damals der westliche Endpunkt der Hannibal-St. Joseph-Eisenbahn und hatte unter seinen 7ooo Einwohnern ungefähr 2ooo Deutsche. Es bedurfte nur der kurzen Benachrichtigung, daß Old Shatterhand da sei, so kamen die Besitzer der Newspapers, um Beiträge von mir zu verlangen. Ich befriedigte sie alle binnen drei Tagen und konnte mir von dem erhaltenen Honorare einen feinen Anzug und Wäsche für unsere Reise nach dem Osten kaufen. Diesen Anzug nahm ich natürlich sogleich in Gebrauch, denn mein Habit aus Elkleder war mir während des Schreibens zu schwer und unbequem. Dann schrieb ich für St. Louis und erbat mir die Honorare nach Weston, wohin ich fahren wollte, um mir dort bis zu Winnetous Rückkehr auch etwas zu verdienen.

      Diese Stadt, deren Einwohner zum dritten Teile Deutsche waren, liegt in einer kulturell sehr reichen Gegend und hatte sich durch die Emigrantenzüge sehr gehoben. Sie besaß damals, glaube ich, fünf Kirchen, darunter zwei deutsche. Die Deutschen befanden sich in den besten Verhältnissen und hatten mehrere Vereine, sogar eine Jägerkompagnie gegründet.

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