Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 77
»War das nicht der Thorsteiner? Wie ist das möglich?« Aber der Fürst zieht vor, ihre Frage zu überhören, und nun sind sie schon in den Räumen, die er für sie bestellt hat. Es sind nicht die besten Zimmer, die sind schon vergeben, aber die Fürstin findet vorderhand nichts auszusetzen. Sie darf nur ihren Reisemantel abwerfen, sie hat schon Toilette gemacht.
»Nun also, Fried, was macht die arme Rosmarie heute, sie wird noch elender geworden sein.«
»Du wirst dich sehr verwundern, wenn du sie siehst, Charlotte.« »Ich kann es mir schon denken, größer und fahler als irgend ein Mensch sonst. Diese unglückselige Länge.«
»Sie ist sehr schön geworden.«
»Schön, die Rosmarie?«
»Sie schlägt damit vollständig aus der Art. Wie ein Schwan im Hühnerhof wird sie unter den andern Brauneckern aussehen. Ich muß ein Bild von ihr haben.«
Die Fürstin starrt ihren Mann an. Was hat er denn nur? Etwas ganz Fremdes, fast Fröhliches ist an ihm!
»Es macht die große Freude, Charlotte, die verschönt auch, und du hast recht gesehen, der Thorsteiner ist da.«
»Der Thorsteiner – er ist dir nachgereist?«
»Er war schon da, als ich kam.«
»Fried, was soll das heißen, ich bin sprachlos, ich verstehe dich nicht mehr.«
»Nun also, die Rosmarie ist Braut, seit gestern. Und wen sie liebt und immer geliebt hat, das weißt du ja auch; du hast ihn ja mit seinem Blütenzweig gesehen.«
Die Fürstin stieß eine fast gellende Lache aus.
»Der Ruinengraf! Der Harro Thorstein, der mit seinen Schildereien handelt, und die Rosmarie! Ja will er sie denn? Sie war ihm doch so lästig mit ihrer lächerlichen Verliebtheit, schon als kleines Mädchen!«
»So wird sie wohl mit Rosmarie gehandelt haben,« denkt der Fürst.
»Es wird das beste sein, Charlotte, du suchst dich so bald als möglich mit dem Gedanken auszusöhnen. Harro ist mir stets sehr wert gewesen, und ich war ihm immer dankbar für seinen Beistand.« »Du willst sagen, er habe sich, als Rosmarie allein mit dieser Person, dieser Miß Granger, war, an sie wieder herangepirscht. Nun, ein Goldvogel ist ja die Rosmarie für einen armen Raubritter wie den Thorsteiner!«
Der Fürst stand mit dem Rücken gegen das Fenster, und sein Gesicht hatte einen merkwürdig starren Ausdruck angenommen, den sie gar nicht an ihm kannte.
»Ja, hast du dir denn nicht überlegt, was die Vettern, was deine Schwester dazu sagen werden, daß du die einzige Tochter einem Abenteurer gibst?«
»Zu welch verschiedenen Dingen der gute Harro, dessen Leben so offenbar neben dem unsrigen hergegangen ist, sich entwickelt hat. Ein Raubritter ... – ein Abenteurer –«
»Von seinem Leben in Paris – wie es die Herren Künstler mit ihren Modellen treiben, das weiß man ja, – wirst du auch nichts erfahren haben. Und jetzt in Rom – du glaubst doch nicht, daß die Rosmarie, die sich ihm schamlos in den Weg warf ...«
»Beendigen wir dies Gespräch, Charlotte! Erhole dich ein wenig von deiner Reise und suche dich mit dem Gedanken auszusöhnen. Harro Thorstein schien dir früher nicht unangenehm zu sein; du mußt dich jetzt, da er doch ein Glied der Familie wird, mit ihm aussöhnen.«
»Fried, du verbirgst mir irgend etwas! Meinst du, ich hätte es dir nicht sofort angesehen, wie ich aus dem Zuge stieg? Dieser Mensch hat sich hier eingeschlichen, hat Rosmarie kompromittiert, unmöglich gemacht – du kannst nicht mehr anders!«
»Strenge deine Phantasie nicht gar zu sehr an, auf das Richtige kommst du in Ewigkeit nicht. Und jetzt bitte ich dich, mich zu entschuldigen, ich habe mit Harro zu sprechen.«
Und dabei ging er so ruhig hinaus, als ob ihr Gespräch aufs liebenswürdigste geschlossen hätte.
Die Fürstin sah ihm nach, sprachlos, dann sank sie auf einen Stuhl. »Der Harro Thorstein – von allen Menschen! Der soll Rosmarie gehören. Nun, man wird sie ihm auf dem Präsentierteller angeboten haben, und er wird es sich haben gefallen lassen.« –
Es zuckt durch ihre Seele wie ein wildes brennendes Weh. Als ob ihr das Leben alles, alles versagt und es jener andern gegeben habe. »Alles, alles hat sie!« stöhnt sie, und es kam ihr nicht zum Bewußtsein, wie sinnlos das war. Sie ging in ihr Schlafzimmer, schickte ihre Kammerfrau mit ärgerlichen Worten hinaus und warf sich auf ihr Bett. Ein Bild steht ihr vor Augen: Der lange Thorsteiner, wie er mit dem schönsten Lächeln, das seine Elfenbeinzähne aufblitzen macht, zu der kleinen Rosmarie aufsieht, die über ihm auf einer Mauer steht und sich einen Blütenzweig über den Kopf zieht. Sie muß es immer wieder sehen. Wenn er das Lächeln für jemand anders gehabt hätte ... ja ...
Und in immer neuer Bitterkeit dreht und wendet sie ihr jetziges Leben herum, ein müßiges Genußleben mit auf das allergeringste Maß beschränkten Pflichten. Daß das keine Befriedigung gewähren kann, weiß sie nicht. Denn leben nicht andere noch rauschender, noch glänzender und amüsieren sich offenbar trefflich dabei?
Ihrem verlorenen Kinde hatte sie nicht nachgeweint. O nein, als die schlimmsten Tage vorüber waren und die lockende Freiheit sich zeigte, da hatte sie in der Tiefe ihres Herzens nur aufgejubelt. Es mochte wohl nicht ganz unbegründet gewesen sein, daß sie ihren Zustand als werdende Mutter so quälend und beängstigend empfand, vielleicht hätte sie einmal die Geburt eines lebensfähigen Kindes mit ihrem eigenen Leben bezahlen müssen. Das war aber nun vergessen.
Jetzt warf sie sich weinend und wimmernd herum: »Mein Sohn, mein Kind! Wenn ich es hätte, müßte ich mir dann eine solche Nichtachtung gefallen lassen? Daß man über mich hinwegsieht, als wäre ich gar nicht da, die wichtigsten Dinge beschließt und mir nachher allergnädigst mitteilt, daß ich mich damit abzufinden habe. Aber das ist Rosmaries Einfluß. Sie ist wieder Herr geworden über den schwachen Vater. Die Heuchlerin! Wie wird sie jetzt triumphieren. Von ihrer Untat ist wohl gar keine Rede mehr. Sie hat sich hinausgelogen, und mit solchem Erfolg, daß es nun wohl heißen wird, sie, die unglückliche und beraubte Mutter habe das alles erfunden!«
Mit unsäglicher Bitterkeit wühlen ihre Gedanken darin.
Und schön soll Rosmarie geworden sein! Die arme Fürstin muß sich schon die glänzenden Siege vorstellen, die Rosmarie erleben wird. Sie kennt ja die Welt. Wenn der Thorsteiner Prinzgemahl geworden ist und auf einem der Braunecker Schlösser lebt, so wird seine Ruinenvergangenheit nur mehr ein Gesprächsthema für Stiftsdamen und männliche und weibliche Klatschbasen werden. Die »Welt« wird sich nicht daran kehren. Wird auf seine Feste gehen, seines Schwiegervaters köstliche Weine trinken, ein wenig medisieren und im übrigen der schönen Frau den Hof machen.
Alles, was sie selbst besitzt, ist plötzlich wertlos geworden, wie ein armes Stückchen Glas neben einem Diamanten.
Und das allerbitterste ist: Rosmarie hat den Diamanten. Ach, der unerträgliche Triumph, den sie jetzt verstehen wird, auszustrahlen!
Die Fürstin hat sich im Leben nicht so todunglücklich gefühlt.