Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Wenn wir in den fertigen Räumen einmal halb so viel Genuß haben werden, wie es mir die Arbeit daran gibt, so werden wir nie nötig haben, länger als eine halbe Stunde zu schmollen.
Ich sehe mit Stolz, daß ich bereits den vierten Bogen ergreife. Nie habe ich noch an irgend wen einen Brief auf die dritte Seite des ersten Bogens gebracht.
Nimm's nicht allzu tragisch. Liebste, um was ich dich gebeten habe. Du sollst ja glücklich sein. Das ist die große Hauptsache. Und zeigt es sich, daß es ohne Schokoladene nicht geht und ohne den ganzen Train, den Du von Kind auf gewöhnt bist, so wird sich das auch finden. Nur in einem kann ich nicht nachgeben. Was meine Arbeit betrifft. Das wirst aber Du am allerwenigsten verlangen.
Leb wohl, Holdseligste, Süßeste! Wenn ich doch einen blauen Himmel malen könnte, so blau, so blau, wie ihn deine Liebe über mein Leben ausgespannt hat.
Dein Harro.
Brief der Fürstin von Brauneck an ihre Freundin Gräfin Effie Thara.
Meine liebe Effie!
Also Du hast auch schon ein Gerücht gehört und fragst nun, wie es denn möglich sei! Nun, ich muß Dir leider alles bestätigen ... Du wirst mir zutrauen, daß es mir darin wie in andern Dingen gegen die Einsicht gegangen ist. Du sagst, die Sache habe die Herrschaften so peinlich berührt, daß Du Dich beeilt habest, sie vorerst zu dementieren, bis sie sich an den Gedanken etwas gewöhnt haben. Nun, ich sehe nicht ein, was dabei herauskommt. Denn an der Sache selbst wird nichts mehr zu ändern sein. Der Fürst ist ganz verändert seither. Ganz eisern starr, und wie ich bemerke, kommt er immer mehr unter den Einfluß dieses zielbewußten Intriganten. Daß ich traurige Tage verlebe, wirst du mir glauben. Ich habe es noch nicht übers Herz gebracht, nach Brauneck zurückzukehren, wo es mir jeden Tag geschehen kann, daß ich diesem Mann begegnen muß. Er sei zwar noch nicht in Brauneck gesehen worden, aber der Fürst reitet ganz offen jede Woche hinüber. Du hast mit Recht gesagt, daß es eine schwer erklärliche Kurzsichtigkeit war, daß wir Rosmarie nicht eine einzige Saison in Berlin gegönnt haben, wo sie doch andere Menschen kennen lernen, überhaupt hätte vergleichen können. Nun ist sie mit ihren neunzehn Jahren, wo andere erst aus der Kinderstube treten, schon fürs Leben festgelegt.
Ja, meine liebe Effie, nur eines möchte ich dazu sagen... Du ahntest nicht, wie schwer es gewesen wäre, Rosmarie nur wenigstens annähernd in eine gesellschaftsfähige Form zu bringen. Ihre Taillenweite beträgt achtundsechzig Zentimeter. Ich sage nichts weiter. Dann ihre Füße. Sie behauptet, nur sandalenähnliches Zeug tragen zu können, und so wandelt sie mit breiten, formlosen Latschen herum. Die Herrschaften sollen gesagt haben, sie habe einen wundervollen königlichen Gang. Wenn ein solcher Gang nur mit diesem Schuhwerk zu erkaufen wäre, so möchte ich darauf verzichten. Die Dame, die Ihrer Majestät Kleider schneidet, verriet mir auf flehendes Bitten ein Geheimnis, wie ich Rosmarie noch in erträgliche Form bringen könnte in kurzer Zeit. Sie müßte wenigstens sechs Wochen lang Tag und Nacht eine Corsage aus allerfeinsten Gummischnürchen tragen, das sei das einzige nach so langer Vernachlässigung. Aber wie brächte ich Rosmarie dazu? Sogar schwerlich nach einer gesellschaftlichen Niederlage, wenn sie die überhaupt merkte. Du ahnst also ein wenig die Schwierigkeiten, die ich mit meiner Tochter habe. Nun, als Künstlerfrau kann sie ja aussehen, wie sie will, und ihrem Manne wird sie ja auch so genügen. Er ist ja ganz verbauert. Es ist eigentlich schade um ihn. Früher war er trotz seiner Wunderlichkeiten doch ein Kavalier. Aber nun dieser lange Umgang mit Künstlern, Modellen oder wer weiß was, es ist ja wohl zu begreifen. Früher pflegte ihm auch etwas anderes zu gefallen. Im Juli soll die Verlobung veröffentlicht werden, bis dahin soll Rosmarie in Baden bei meiner Schwägerin Helene bleiben. Du kennst sie ja und ihre Originalitätssucht und wirst Dich nicht verwundern, daß sie der Sache bei ihrem Bruder auch gar keine Schwierigkeiten machte. Die Gute wird immer dicker und bekommt den Anflug eines tüchtigen Schnurrbärtchens. Augenblicklich steht sie sich sehr gut mit Rosmarie, die ihren Eigentümlichkeiten zu schmeicheln versteht. Darin ist Rosmarie überhaupt groß, sie hat sich sogar an mich gemacht, aber ich durchschaue sie eben doch zu gut und kann zu wenig vergessen, was sie mir alles hinterrücks zuleid getan. Und ins Gesicht. Das beliebt sie aber vollständig vergessen zu haben.
Hier bin ich ja eine Weile vor ihr sicher, ich habe Lenette bei mir, ihre Verlobung ist nur noch eine Frage der Zeit, allerdings erleben wir immer noch manches Aufregende. Ich habe die Pferde da und reite viel, Lenette und ich verkehren viel mit den Schwelms, die hier in der Nähe ihren Sitz haben. Dorthin reite ich, meist in Begleitung des jungen Arno Schwelm, der sehr amüsant ist. Er ist auch ein guter Schütze, und in Schwelm ist eine sehr schöne Schießbahn. Wir schießen oft, und ich komme ihm immer mehr nach. Neulich habe ich ihn sogar übertroffen. Wir schossen lange, ich ohne besonders gute Resultate. Da meinte er, ich schieße zu temperamentlos. Die Scheibe interessiere mich offenbar nicht genug. Ich sollte versuchen mir vorzustellen, daß ich anstatt nach der langweiligen Scheibe nach etwas schieße, was mich bedrohe, oder, lachte er, was ich hasse. Dem Betreffenden schadet es ja nichts. Er hat manchmal solche Einfälle. Du weißt, daß er großes, ja fast unheimliches Glück bei den Frauen haben soll. Von mehreren Duellen, die er gehabt hat, weiß man. Einmal saß er ja ein ganzes Jahr auf der Festung, die Geschichte wird aber nicht weiter erzählt. Er ist sehr hübsch, nur hat er zweierlei Augen, eins blau, eins braun, was seinem Gesicht etwas Zerrissenes gibt. Ich wundere mich, wie außerordentlich eifrig er auf seine täglichen Ritte ist, und ich muß sagen, ohne das Anregende und ein wenig Aufregende seines Umgangs käme ich hier um vor Langeweile und Herzenskummer. Lenettes Fata sind auch manchmal ermüdend mit zu genießen.
Aber ich vergesse zu sagen, daß ich nun nach seiner Anweisung mit Phantasieanschluß schoß und Treffer über Treffer hatte.
Meine neuen Pariser Frühsommerkostüme sind eingetroffen und im ganzen befriedigend. Zu manchem wird man freilich in Brauneck scheel sehen, wo man das Altväterische, Biedere liebt und einen am liebsten auf das Matronenhafte festnagelte. Nun, ich hoffe, nur kurz in Brauneck zu bleiben. Die Luft ist dort so tot und schwer. Jeder Gegenstand von Pietätsstrahlen umgeben und unverrückbar dort, wo er einmal sitzt. Und nicht einmal ein Auto habe ich noch, mit dem ich mich doch schnell einmal dieser Atmosphäre entziehen könnte. Und dann kommen die Verlobungsfeierlichkeiten und vermutlich einige offizielle Empfänge (fürchterlich langweilig und angreifend!). Ach, habe nur ein wenig Mitleid mit Deiner Charlotte.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Goldmarie
Im Braunecker Schloß sind wieder festliche Vorbereitungen im Gange. Die Fürstin ist zurückgekehrt mit der Prinzessin, die sich im letzten Jahre so verändert hat, daß die Leute sie ungläubig anstarren, als sie nun mit ihrer Mutter vorüberfährt. – Kann das die Prinzessin Rosmarie sein, die wunderschöne junge Dame!
Und was noch seltsamer ist, die feinsten Nasen in Brauneck haben nicht bemerkt, was geschehen ist, bis ein schokoladebrauner Lakai bei den Honoratioren die Runde macht und ausrichtet: »Seine