Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach
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Читать онлайн книгу Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman - Viola Maybach страница 45
Anna spähte durch das Dickicht. »Da liegt was, glaube ich. Oh, Mann, Chris …«
Er nickte. Ihm war selbst mulmig zumute. Sie konnten nicht wissen, was Togo gefunden hatte, und natürlich waren ihnen beiden viele Gedanken durch den Kopf geschossen auf dem mühseligen Weg durch diesen Urwald. Immer wieder gab es Geschichten über grausige Funde …
»Gleich sind wir da, Togo«, rief er.
Der Boxer bellte erneut aufgeregt, verstummte dann aber – und nun hörten sie noch ein anderes Geräusch: Es war eine Art Stöhnen.
Wie angewurzelt blieben sie stehen. Christian spürte sein Herz schneller klopfen, Anna war blass geworden. Dann setzten sie sich, schneller als zuvor, wieder in Bewegung. Gleich darauf hatten sie es geschafft und fanden sich erstaunt auf einer winzigen Lichtung wieder, zu der sich von der anderen Seite aus jemand offenbar Zutritt verschafft hatte: Der Weg war noch zu erkennen an abgebrochenen Zweigen und niedergetrampelten Pflanzen.
Togo sprang an Christian hoch, dann kehrte er zu dem stöhnenden Bündel zurück, das er entdeckt hatte: Es war ein Mann, dessen Hose von Blut getränkt war.
Christian kniete nieder »Können Sie mich hören?«, fragte er.
Die Lider des Mannes flatterten, seine aufgerissenen Lippen bewegten sich, doch er brachte kein Wort heraus.
Anna hatte bereits die Thermoskanne geöffnet und Tee in einen Becher gegossen. »Er liegt hier ja wohl schon länger«, sagte sie. »Er muss halb verhungert und verdurstet sein.«
Christian hob den Kopf des Mannes an, Anna setzte ihm den Becher an die Lippen, doch der Verletzte reagierte nicht. Anna holte also einen Löffel aus ihrer Tasche, goss Tee darauf und schob dem Mann, dessen Kopf Christian wieder anhob, den Löffel in den Mund. Nach etwa zehn Löffeln schluckte der Mann gierig, und Anna versuchte es erneut mit dem Becher, den der Verletzte dieses Mal schnell leerte. Zum Glück hatten sie zuvor nicht alles ausgetrunken, so dass sie ihm insgesamt mehrere Becher einflößen konnten.
Irgendwann öffnete der Mann die Augen und sah sie an. Sein Blick war fiebrig, obwohl er sich kalt anfühlte.
»Wenn er schon länger hier liegt, hat er sich bestimmt eine Lungenentzündung geholt«, sagte Anna. »Und Blut scheint er auch ziemlich viel verloren zu haben. Wir sollten ihm vielleicht etwas unterlegen.«
»Ruf zuerst im Schloss an, wir brauchen Hilfe.«
»Die werden es schwer haben, uns zu finden, Chris«, sagte Anna, holte aber bereits ihr Handy heraus.
Während sie Eberhard Hagedorn in sich überstürzenden Sätzen erklärte, was passiert war, lagerte Christian das verletzte Bein hoch und versuchte, dem Mann seine Jacke unterzuschieben, damit er nicht länger direkt auf dem kalten und feuchten Waldboden lag. Da es keinen Tee mehr gab, flößte er ihm außerdem noch Wasser ein und versuchte es dann mit einem kleinen Stück Brot. Es war wie zuvor: Eine Weile dauerte es, bis der Mann wusste, dass er kauen und schlucken musste, dann jedoch tat er es.
»Sie kommen«, sagte Anna, die ihr Gespräch beendete. »Wir müssen immer wieder miteinander telefonieren, damit wir sie lenken können, aber Herr Hagedorn meinte, das würde bestimmt klappen. Es wird allerdings eine Weile dauern, weil wir ja ziemlich weit vom Schloss entfernt sind.«
»Und Herr Dr. Brocks?«
»Den ruft er an, damit ein Rettungswagen zum Schloss geschickt wird. Er hat gesagt, wir sollen uns keine Sorgen machen, er würde sich um alles kümmern.«
»Wenn Herr Hagedorn das sagt, tut er das auch, Anna.«
Sie nickte. »Und was machen wir jetzt, Chris? Stell dir vor, er stirbt, während wir hier warten …«
»Ich glaube nicht, dass er stirbt. Sieh nur, er isst – und ich glaube, er hat immer noch Durst. Aber wir haben nur noch wenig Wasser.«
»Ich habe auch Durst«, gestand Anna.
»Wir haben alle Durst«, stellte der kleine Fürst fest.
»Er geht vor. Gib ihm, was noch da ist, Chris.«
Der kleine Fürst nickte und flößte dem Mann das restliche Wasser ein.
*
»Ein verletzter Mann, vermutlich angeschossen?«, fragte Sofia ungläubig. »In unserem Wald?«
»Jawohl, Frau Baronin«, erklärte Eberhard Hagedorn und wiederholte, was Anna gesagt hatte.
Baron Friedrich war bereits aufgestanden, sein Sohn Konrad ebenfalls. »Weiß Herr Wenger Bescheid, Herr Hagedorn?«
Robert Wenger war der Stallmeister auf Sternberg.
»Ja, Herr Baron. Er steht mit einigen Pferdepflegern zur Verfügung. Sie können einen gewissen Teil des Weges mit Wagen zurücklegen, ich habe mir das bereits auf einem Plan angesehen.«
»Konny, geh’ zu Herrn Wenger und sag ihm das – er soll die Wagen organisieren. Wir brauchen außerdem Decken, Jod zum Desinfizieren und Verbandszeug …« Konrad stürzte hinaus.
»Vor allem müssen Sie Wasser mitnehmen, Herr Baron, der Mann scheint halb verdurstet zu sein.«
»Danke, Herr Hagedorn.« Friedrich umarmte seine Frau. »Es wird hoffentlich nicht allzu lange dauern, bis wir zurück sind, Sofia.«
»Aber es soll doch so unwegsames Gelände sein, Fritz!«
»Die beiden haben Handys dabei, und Anna konnte ziemlich gut beschreiben, wo sie sind. Wir kommen so schnell wie möglich zurück, dann wird der Mann ins Krankenhaus gebracht und sich hoffentlich bald erholen.«
»Und die Polizei? Muss die nicht benachrichtigt werden?«, fragte Sofia.
»Doch, aber zuerst sollten wir den Mann retten, denke ich.« Friedrich gab Sofia einen Kuss und eilte hinaus.
Wenige Minuten später setzten sich die Wagen in Bewegung.
»Was für eine Geschichte!«, sagte Sofia. »Ein verletzter Mann in unserem Wald – wie ist das möglich, Herr Hagedorn?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen, Frau Baronin. Vielleicht ein Jagdunfall?«
Ihr Blick verriet, wie sehr dieser Gedanke sie entsetzte.
»Sie meinen, jemand hat den Mann aus Versehen angeschossen und sich dann nicht weiter um ihn gekümmert?«
»Vielleicht hat er es nicht gemerkt«, vermutete der Butler. »Solche Unfälle hat es schon gegeben, Frau Baronin.«
»Aber doch nicht bei uns!«, murmelte sie.
»Wenn Sie gestatten, dann rufe ich jetzt Herrn Dr. Brocks an, außerdem brauchen wir einen Rettungswagen.«
Sofia nickte abwesend. Als Eberhard Hagedorn hinausgegangen war, setzte sie sich wieder an den Frühstückstisch