Nur keine Panik. Wolfram Pirchner
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Freunde. Was für ein gewaltiges, starkes Wort.
Ich denke, dass du es bist, der dir helfen kann. Der handeln kann. Der ins Tun kommen muss, um eine Veränderung der Not, der Krise, der Indisposition, des Engpasses zu erreichen. Ich glaube, dass es den »Idealzustand«, zumindest bei erwachsenen Menschen, fast nicht gibt. Diejenigen, die immer wieder betonen, wie glücklich sie sind, wie zufrieden sie sind, wie friedvoll sie mit sich und der Umwelt umgehen, wie sehr sie im Reinen mit sich sind – die das bei jeder Gelegenheit (auch ungefragt) immer wieder loswerden müssen, die sind mir verdächtig. Die wecken ein zumindest leises Unbehagen in mir. Und weißt du warum? Weil ich es ihnen schlicht und einfach nicht glaube. Besonders verdächtig sind mir jene, die nach ihrer Aussage, nach einer kurzen Pause, das Wort »wirklich« hinzufügen. »Ich bin ein sehr zufriedener Mensch. PAUSE. Wirklich!« Da schüttelt es mich innerlich, weil ich mich wie ein Detektiv fühle, der sein Opfer auf frischer Tat ertappt. »Es geht mir sehr gut. PAUSE. Wirklich.« Na bravo, kein Wort glaube ich. Wirklich. Also dinglich, fassbar, greifbar, real, seiend, echt, wahr. Was heißt echt? Authentisch? Ja sicher. Wenn man es nur selber glaubt. Aber es ist ohnehin nicht dein Problem, wenn dich Mitmenschen mit ihren scheinbaren Zuständen überhäufen. Du bist der, der es akzeptiert, der es billigt, bejaht. Ein Freibrief sozusagen für weitere, ganz sicher bald folgende Zustandsinformationen. »Ich bin glücklich. PAUSE. Wirklich.«
Mein Sohn Felix sagte mir vor nicht allzu langer Zeit einen wunderschönen Satz: »Ich bin im Moment absolut sorgenfrei.« Und er hat das Wort »wirklich« nicht angefügt. Er hat es weder ausgesprochen noch gedacht. Ich glaube ihm. Er ist mittlerweile und im Moment absolut sorgenfrei. Das ist ein Superlativ. »Ich bin absolut sorgenfrei« heißt auch »es geht mir in jeder Hinsicht gut«. Da war ich einen Sekundenbruchteil fast so etwas wie neidisch auf ihn. Gott sei Dank hat er es nicht bemerkt und kann keine Gedanken lesen. Oder vielleicht doch? Das möchte ich auch empfinden, dachte ich mir. Absolut sorgenfrei zu sein. Die Mission im Kopf, die Visionen vor mir, die Vergangenheit bewältigt (alleine dieser Ausdruck ist doch schrecklich), mit meinen Lieben ganz im Reinen zu sein, mit mir versöhnt zu sein usw. Sorgenfrei zu sein. Losgelöst und frei von Sorgen und Kümmernissen. Schön. Sehr schön sogar. Ich freue mich sehr für ihn und wünsche ihm sehnlich, dass sein Zustand lange anhalten möge.
Ich bin im Moment absolut sorgenfrei.
Wenn es nicht so läuft wie im Moment bei Felix, wenn dich die Wirrnisse des Lebens ein- und überholen, wenn die Probleme mehr werden, die Sorgen wachsen, die Lebenslasten schwerer werden – was dann? Hast du jemanden, auf den du »zurück-«greifen kannst, Eltern, Geschwister, das familiäre Netz? Mir ist die Familie früher fallweise auf die Nerven gegangen, sehr sogar. Ich hielt es nicht aus, kritisiert zu werden, ich mochte es nicht, dass nicht alles, was ich dachte und sagte (und ich rede und redete viel zu viel …), freudig, gar enthusiastisch aufgenommen wurde, ich mochte die Unterordnungsrituale, die von mir als Heranwachsendem gefordert wurden, nicht. Weder als Kind, schon gar nicht in der Pubertät, und als biologischer Erwachsener hasste ich sie überhaupt. Ich weiß nicht, ob dafür in meiner Vergangenheit eine Ursache zu finden ist. Heute noch kann ich mit Autoritäten schlecht umgehen. Auch wenn die »Betroffenen« mir gegenüber positiv agieren und es möglicherweise auch gut mit mir meinen. Ich hege stets den leisen Verdacht, dass es sich um reine Kommandeure, Anweiser, Befehlsgeber handeln könnte. Hoffentlich meinen sie es gut mit mir.
Ja, die soziale Eingebundenheit. Wer hilft dir in der Not, wollte ich wissen. Meine Antwort lautet: Nur du selber hilfst dir – und das nur dann, wenn du dazu bereit bist. Wenn du dir helfen möchtest. Die meisten Menschen denken nur dann über ihr eigenes Schicksal nach, wenn in ihrem Dasein etwas unrund läuft, wenn etwas schiefläuft. Dann tritt das auf, was wir unter dem Terminus »Teufelskreis« kennen, wir denken nach, geraten in die Vergangenheit, und diese zumeist schmerzlichen Erinnerungen lassen die Gegenwart noch beklagenswerter erscheinen. Mittlerweile weiß ich, dass der Teufelskreis dazu da ist, um aus ihm auszubrechen. Ja, das kann man. Beispielsweise, indem man sich angewöhnt, regelmäßig und häufig über sein eigenes Leben, sein Dasein nachzudenken, seine Abläufe zu analysieren, verbunden mit Fragen wie: Was bringt mir das? Gehe ich strategisch nach Plan vor? Habe ich einen Plan? Wohin führt mein Weg? Welche Ziele habe ich? Welche Wünsche gibt es? Wie ist meine Stimmung? Worüber freue ich mich? Wenn ich über meine Ziele, meine Vision(en) nachdenke, dann gerät mein System, also ich, in einen Zustand der inneren Harmonie. Meistens. In einen harmonischen Zustand, der auch im Außen registriert wird – und damit beeinflusst du das gesamte System, also alle, die dich umgeben. Egal, ob privat oder am Arbeitsplatz oder auch dir völlig fremde Menschen. Das ist ganz einfach so, dazu brauche ich keine wissenschaftlichen Beweise anführen.
Übrigens, falls du jetzt (ich sehe die intellektuellen Kritiker vor mir) denkst, das ist wieder so ein halb professioneller Lebensratgeber nach dem Motto »Hilf dir selbst, dann funktioniert dein Leben« oder »Leben leicht gemacht« oder »Wirf den Frust über Bord, die Heilung ist nah«, dann leg mein Buch besser weg. Es ist kein Lebensratgeber. Es ist meine Geschichte und es sind auszugsweise Experten, Maßnahmen, Techniken, Methoden und Schritte erwähnt, die mir gut getan haben und gut tun. Die mir geholfen haben und die ich deshalb hier anführe und ihnen Raum gebe. Das heißt noch lange nicht, dass das alles bei dir auch funktioniert. Die Kernfrage, wenn es einem beschissen geht, ist doch: Geht es mir tatsächlich so schlecht, wie ich mich fühle, oder bewerte ich die ganze Geschichte einfach falsch? Sehe ich mein Leid ausschließlich assoziativ oder bin ich bereit, auch eine dissoziative Haltung einzunehmen? Also von oben, von einem anderen Blickwinkel auf mein Problem zu schauen? Mir selbst zuzuschauen. Die alles überdeckende, mich erdrückende, beengende Sorge, was heißt Sorge, die Sorgenlawine zu betrachten. Mir hat die folgende Geschichte bei der Bewertung meiner Probleme geholfen. Weil sie die Perspektiven ändert. Es ist der fiktive Brief einer Tochter an ihre Eltern, die sich, wie die meisten Eltern, über alles und noch mehr Sorgen machen. Ich habe auch zwei Kinder und mache mir nach wie vor viel zu oft Sorgen. Vielleicht habe ich zu wenig Vertrauen zu den beiden?
Hier der Brief der Tochter:
Liebe Eltern,
seit ich von zu Hause weg auf der Universität bin, war ich, was das Briefeschreiben angeht, sehr nachlässig. Es tut mir leid, dass ich so unachtsam war und nicht schon viel früher geschrieben habe. Nun möchte ich euch auf den neuesten Stand bringen. Aber bevor ihr anfangt zu lesen, nehmt euch bitte einen Stuhl. Bitte lest nicht weiter, bevor ihr euch gesetzt habt! Okay? Also, es geht mir inzwischen wieder einigermaßen. Der Schädelbruch und die Gehirnerschütterung, die ich mir zugezogen hatte, als ich aus dem Fenster des