Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
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Endlich kehrte der Lama Zurück. Ein Gebirgler trug ihm eine wattierte Decke nach und breitete sie sorgfältig am Feuer aus.
»Sie verdient zehntausend Großkinder,« dachte Kim. »Nichtsdestoweniger würden ohne mich solche Gaben nicht gekommen sein.«
»Eine tugendhafte Frau – und eine weise.« Der Lama ließ sich schlaff nieder, Glied bei Glied, wie ein schwerfälliges Kamel. »Die Welt ist voll von Barmherzigkeit für die, die den Weg wandeln.« Er warf die größere Hälfte der Decke über Kim.
»Und was sagte sie?« Kim wickelte sich in seinen Teil der Decke.
»Sie legte mir manche Frage vor und warf manches Problem auf – die meisten aber waren nichtige Märchen, welche sie von teufeldienerischen Priestern gehört, die vorgeben, dem Weg zu folgen. Einige beantwortete ich, von anderen sagte ich, daß sie töricht wären. Viele tragen das Kleid, aber wenige verharren auf dem Weg.«
»Wahr. Das ist wahr.« Kim sagte es gedankenvoll, um etwas anvertraut zu bekommen.
»Abgesehen von ihrem Mangel an Erkenntnis, ist sie sehr gut gesinnt. Sie wünscht sehr, daß wir mit ihr nach Buddh Gaya gehen, da, wie ich verstand, viele Tagereisen südwärts ihre Straße auch die unsrige ist.«
»Und?«
»Ein wenig Geduld! Auf dieses erwiderte ich, daß meine Suche allem vorginge. Sie hatte manche törichte Fabel vernommen, aber die große Wahrheit von meinem Strom hatte sie nie gehört. So sind die Priester von den Vorbergen! Sie kannte den Abt von Lung-Cho, aber sie wußte nichts von meinem Fluß, nicht die Geschichte des Pfeils.«
»Und?«
»Ich sprach deshalb von der Suche und von dem Weg und von verdienstvollen Dingen; sie aber begehrte nichts weiter, als daß ich mit ihr ginge und Gebete verrichte für einen zweiten Sohn.«
»Aha! Wir Frauen denken doch an nichts weiter als an Kinder,« sagte Kim schläfrig.
»Nun, da unsere Straße für eine Weile dieselbe ist, glaube ich nicht, daß wir irgendwie von unserer Suche abweichen, wenn wir sie begleiten, wenigstens so weit bis – ich habe den Namen der Stadt vergessen.«
»Ohe!« rief Kim, sich wendend und einen von den einige Meter entfernten Ooryas in scharfem Flüsterton anredend, »wo ist das Haus Eures Gebieters?«
»Etwas hinter Saharunpore, zwischen den Fruchtgärten.« Er nannte das Dorf.
»Das ist der Name,« sagte der Lama. »So weit wenigstens Können wir mit ihr gehen.«
»Fliegen gehen nach Aas,« sagte der Oorya mit unterdrückter Stimme.
»Für die kranke Kuh eine Krähe, für den Kranken Mann ein Brahmine.« Kim richtete das Sprichwort ganz harmlos an die Schattenwipfel der Bäume.
Der Oorya grunzte und war still.
»Also gehen wir mit ihr. Heiliger?«
»Gibt es einen Grund dagegen? Ich kann doch zur Seite treten und alle Flüsse prüfen, über welche die Straße führt. Sie wünscht, daß ich mitkomme. Sie wünscht es sehr.«
Kim erstickte ein Lachen unter der Decke. Wenn erst die mächtige Dame ihre natürliche Scheu vor einem Lama überwunden hatte, hielt er es für wahrscheinlich, daß man ihr gerne zuhören konnte.
Er schlief beinahe schon, als er den Lama plötzlich das Sprichwort zitieren hörte: »Den Gatten der Geschwätzigen wird eine große Belohnung in Zukunft.« Dann hörte Kim ihn dreimal schnupfen und schlummerte, noch lachend, ein.
Der diamantene Tagesanbruch erweckte Menschen, Krähen und Ochsen auf einmal. Kim saß aufrecht, gähnte, schüttelte sich und schauerte vor Entzücken. Dies hieß in Wahrheit die Welt sehen: das war Leben, wie es ihm gefiel – Hasten und Schreien, Geklingel von Glocken und Einfangen von Ochsen, und Knirschen von Rädern und Leuchten von Feuern und Kochen von Speisen – und neue Erscheinungen, wohin das neugierige Auge blickte. Der Morgennebel verschwand in einem Silberwirbel, die Papageien, in grünen, schreienden Schwärmen, schossen fort zu einem fernen Fluß, alle Schöpfräder in Hörweite fingen zu arbeiten an. Indien war wach, und Kim, in seiner Mitte, mehr wach und mehr rege als irgend einer, kaute an einem Zweiglein, das er zugleich als Zahnbürste benutzte, denn rechter und linker Hand profilierte er von den Bräuchen des Landes, das er kennen und lieben lernte. Er hatte nicht nötig, sich um Nahrung zu Kümmern, nicht nötig, auch nur ein Cowrie (Scheidemünze in Ostindien) an die gedrängt vollen Buden zu verschwenden. Er war der Schüler eines heiligen Mannes und angenommen von einer eigenwilligen alten Dame. Alles wurde für sie vorbereitet, und wenn sie ehrerbietig eingeladen würden, würden sie niedersitzen und essen. Im Übrigen – Kim kicherte hier beim Zähnebürsten – würde ihre Wirtin das Vergnügen der Reise nur erhöhen. Kritisch inspizierte er ihre Ochsen, als diese schnaufend und grunzend unter dem Joch herankamen. Wenn sie zu schnell gingen – es war nicht wahrscheinlich – würde er einen angenehmen Sitz auf der Deichsel finden? der Lama würde hinter dem Treiber sitzen. Die Eskorte natürlich würde gehen. Die alte Dame, ebenso natürlich, würde viel reden, und nach allem, was er gehört, würde es ihrer Rede nicht an Salz fehlen. Sie war schon jetzt dabei, zu befehlen, anzuordnen, bombastisch zu reden, zu schelten und es muß gesagt werden, ihre Diener wegen Saumseligkeit zu verfluchen.
»Bringt ihr ihre Pfeife. Im Namen der Götter bringt ihr ihre Pfeife und stopft ihren gotteslästerlichen Mund,« rief ein Oorya, ein ungefüges Bündel von Betten zusammenschnürend. »Sie und die Papageien sind sich gleich. Sie Kreischen in der Dämmerung.«
»Die Leit-Ochsen! He! Sieh nach den Leit-Ochsen!« Sie drängten rückwärts und schwenkten ab, als die Axe eines Getreide-Karrens sie bei den Hörnern faßte. »Sohn einer Eule, wohin fährst Du denn?« Dies zu dem grienenden Karrentreiber.
»Oho! Ahi! Ahi! Die da drinnen ist die Königin von Delhi, die auszieht, um einen Sohn zu erbeten. Raum für die Königin von Delhi und ihren Premierminister, den grauen Affen, der an seinem eigenen Schwert hinauf klettert,« rief der Treiber rückwärts über seine hohe Ladung hinweg. Ein anderer, mit Häuten für eine ländliche Gerberei beladener Wagen folgte dicht hinterher, und sein Lenker fügte einige Schmeicheleien hinzu, als die Ruth-Ochsen rückwärts und rückwärts drängten.
Hinter den bebenden Gardinen hervor kam ein Hagel von Schimpfreden. Er hielt nicht lange an, aber an Art und Beschaffenheit, an feurigem und beißendem Charakter überstieg er alles, was Kim bisher gehört. Er sah des Fuhrmanns nackte Brust vor Schreck zusammensinken; der Mann salaamte tief, sprang von der Deichsel und half der Eskorte ihren Vulkan auf die Hochstraße ziehen.