Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг

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ihre Frauen, wenn sie reisen – und sie sind oft auf Besuch unterwegs – in geziemend verwahrten Abteilungen, mit der Eisenbahn fahren zu lassen und diese Sitte breitet sich aus. Es bleiben aber noch genug vom alten Schlag, die an dem Brauch ihrer Vorfahren festhalten; und vor allem sind es die alten Frauen – konservativer als die Männer – die gegen die Neige ihrer Tage auf Pilgerfahrten ausziehen. Diese, verblüht und nicht begehrt, entschleiern sich, unter gewissen Umständen, ganz gern. Nach ihrer langen Abgeschlossenheit, während welcher sie mit der Außenwelt nur immer in geschäftliche Beziehung kamen, freuen sie sich des Lebens und Treibens der offenen Heerstraße, der Ansammlungen vor den Grabmälern und der nie mangelnden Gelegenheit, mit gleichgesinnten alten Damen zu schwatzen. Oft paßt es einer durch langes Dulden geprüften Familie, daß eine scharfzüngige, eigenwillige alte Dame auf diese Art Indien durchzieht, und eine Pilgerfahrt ist sicher den Göttern wohlgefällig. So kommt es, daß durch ganz Indien, an den entlegensten wie den besuchtesten Plätzen, ihr irgend einer Gruppe ergrauter Diener begegnet, die angeblich zur Aufsicht über eine alte vornehme Dame bestellt sind, welche mehr oder weniger hinter Vorhängen verborgen, in einem Ochsenwagen fährt. Diese Männer sind nüchtern und verschwiegen und wenn ein Europäer oder hochkastiger Eingeborener in der Nähe ist, verwahren sie ihre Schutzbefohlene mit sorgfältigster Vorsicht. Bei gewöhnlichen zufälligen Begegnungen auf der Pilgerfahrt werden diese Vorsichtsmaßregeln allerdings nicht angewendet, denn die alte Dame ist trotz allem leidenschaftlich weltlich und lebt, um Leben zu sehen.

      Kim bemerkte eine bunt verzierte »Ruth« oder Familien-Ochsenkutsche mit einem gestickten Baldachin, auf dem zwei Kuppeln wie bei einem zweihöckerigen Kameel, hervorragten, der just in das Parao gezogen wurde. Acht Männer bildeten sein Gefolge, von denen zwei mit rostigen Säbeln bewaffnet waren – ein sicheres Zeichen, daß sie einer Person von Rang folgten, denn gewöhnliches Volk trägt keine Waffen. Ein außerordentlicher Redestrom von Befehlen, Klagen, Scherzen und, was ein Europäer Schimpfen genannt haben würde, kam hinter den Vorhängen hervor. Hier war zweifellos eine Frau, die zu befehlen gewohnt war.

      Kim betrachtete das Gefolge mit kritischem Blick. Zur Hälfte waren es dünnbeinige, graubärtige Ooryas vom Flachland; die andere Hälfte in Düffelmänteln und Pelzhüten, Hügelleute vom Norden: und diese Mischung erzählte ihre eigene Geschichte, auch ohne daß man das unaufhörliche Gezänke zwischen beiden Abteilungen hörte. Die alte Dame war auf einer Besuchsreise nach dem Süden, vielleicht zu einem reichen Verwandten, wahrscheinlicher noch zu einem Schwiegersohn, der ihr als Zeichen der Achtung eine Eskorte gesandt. Die Hügelleute mochten von ihrem eigenen Volk sein – von Kulu oder Kangra. Offenbar führte sie keine zu verheiratende Tochter mit sich, sonst wären die Vorhänge fest zugeschnürt gewesen und die Wache hätte keinem erlaubt, sich dem Wagen zu nähern. – Eine lebhafte und kühne Dame, dachte Kim, den Harzklumpen in einer, die gekochte Speise in der andern Hand balanzierend und den Lama mit der Schulter vorwärts lotsend. Aus der Begegnung müßte etwas zu machen sein. Der Lama würde ihm nicht helfen, aber als gewissenhafter Chela würde er mit Entzücken für Zwei betteln.

      Dem Wagen so nahe als möglich, legte Kim sein Feuer an, in Erwartung, daß einer von der Eskorte ihn fortweisen würde. Der Lama ließ sich schwerfällig auf die Erde nieder, gleich wie eine Fledermaus, die sich an Frucht schwer gefressen, sich niederläßt, und kehrte zu seinem Rosenkranz zurück.

      »Geh weiter fort, Bettler!« Der Befehl in gebrochenem Hindostanisch, kam von einem Berginder.

      »Hu! Es ist nur ein Pahari« (Gebirgler), sagte Kim über seine Schulter weg. »Seit wann haben die Bergesel ganz Hindostan in Besitz genommen?«

      Die Entgegnung war eine schnell entworfene, brillante Skizze von Kims Stammbaum bis in die dritte Generation.

      »Ah!« Kims Stimme war so süß wie möglich – und den Harzklumpen in Stücke brechend, sprach er: »In meinem Lande nennen wir das den Anfang eines Liebesgesprächs.«

      Ein scharfes Gekicher hinter den Gardinen spornte den Gebirgler zu einem neuen Ausfall.

      »Nicht so übel – nicht so übel,« sagte Kim mit Ruhe, »aber hüte Dich, Bruder! Wir – ich sage wir – könnten uns sonst veranlaßt sehen, Dir einen Fluch zurück zu geben. Und unsere Flüche haben das Geschick, in Erfüllung zu gehen.«

      Die Ooryas lachten, der Gebirgler sprang drohend vorwärts: der Lama erhob den Kopf und brachte so plötzlich seine ungeheure runde Wollmütze in den Schein von Kims angezündetem Feuer.

      »Was ist?« fragte er.

      Der Mann hielt inne, wie zu Stein erstarrt. »Ich« – stammelte er – »ich bin vor einer großen Sünde bewahrt.«

      »Der Fremde hat endlich gemerkt, daß es ein Heiliger ist,« flüsterte einer der Ooryas.

      »He! Warum wird der Bettelbalg nicht gehörig durchgehauen?« rief die alte Dame.

      Der Gebirgler ging zu dem Wagen hin und flüsterte etwas in die Gardine. Es folgte tiefes Schweigen, dann Geflüster.

      »Das geht gut,« dachte Kim und tat, als ob er nichts sähe und hörte.

      »Wenn – wenn – er gegessen hat,« – wisperte der Gebirgler demütig zu Kim, »bittet jemand den Heiligen um die Ehre, mit ihm sprechen zu dürfen.«

      »Wenn er gegessen hat, wird er schlafen,« erwiderte Kim, von oben herab. Er wußte noch nicht recht, welche Wendung das Spiel nehmen würde, war aber entschlossen, den möglichst großen Nutzen daraus zu ziehen. »Jetzt muß ich gehen, ihm sein Essen holen.« Dies Letzte sprach er laut und endete mit einem Seufzer, wie von Erschöpfung.

      »Ich – ich selbst und die andern von meiner Sippe werden das besorgen, wenn – es erlaubt ist.«

      »Es ist erlaubt,« sagte Kim, mehr als je von oben herab. »Heiliger, diese Leute werden uns zu essen bringen.«

      »Das Land ist gut. Alles Land im Süden ist gut – eine große und gewaltige Welt,« murmelte schläfrig der Lama.

      »Laß ihn schlafen,« sagte Kim, »aber sorge dafür, daß wir gut gefuttert werden, wenn er aufwacht. Er ist ein sehr heiliger Mann.«

      Wieder sagte einer der Ooryas etwas Geringschätziges.

      »Er ist kein Fakir. Er ist kein bäuerischer Bettler,« sprach Kim feierlich, sich an die Sterne wendend. »Er ist der heiligste aller heiligen Männer.« »Er ist höher als alle Kasten. Ich bin sein Chela.«

      »Komm hierher!« rief eine spitze Stimme hinter dem Vorhang; und Kim kam, sich wohl bewußt, daß Augen, die er nicht sehen konnte, ihn scharf beobachteten. Ein magerer brauner Finger, mit Ringen beschwert, lag auf der Wagenkante und die Rede ging so:

      »Wer ist der dort?« »Ein außerordentlich heiliger Mann. Er kommt von fern her. Er kommt von Tibet.«

      »Von wo in Tibet?«

      »Von hinter den Schneegipfeln – von einem sehr fernen Platz. Er hat die Kenntnis der Sterne. Er stellt Horoskope; er weiß den Stand der Gestirne bei der Geburt. Aber er bemüht sich nicht für Geld. Er tut es aus Güte und Erbarmen. Ich bin sein Schüler. Ich werde auch Freund der Sterne genannt.«

      »Du bist nicht von den Bergen?«

      »Frage ihn. Er wird Dir sagen, daß ich von den Sternen ihm gesandt wurde, ihm das Ende seiner Pilgerfahrt zu zeigen.«

      »Ach was! Bedenke, Schlingel, daß ich eine alte Frau und nicht ganz und gar eine Närrin bin. Lamas kenne ich wohl und ihnen erweise ich Ehrfurcht: aber Du bist eben

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