Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг

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ist wohlgesprochen. Ich verstehe mich nicht auf heilige Männer, aber Respekt ist immer gut. In heutigen Tagen gibt es keinen Respekt mehr – nicht einmal wenn ein Kommissar-Sahib mich zu besuchen kommt. Aber warum soll einer, dessen Stern ihn zum Kriege leitet, einem heiligen Manne folgen?«

      »Aber er ist ein heiliger Mann«, sprach Kim eifrig. »In Wahrheit und in Rede und in Tat heilig. Er ist wie die andern. So einen sah ich noch nie. Wir sind keine Wahrsager, noch Gaukler oder Bettler.«

      »Du nicht, das kann ich sehen; den andern kenne ich nicht. Er marschiert aber gut.«

      In der ersten Morgenfrische trabte der Lama vorwärts mit langen, gemächlichen, kamelartigen Schritten. Er war in tiefer Meditation, mechanisch seinen Rosenkranz bewegend.

      Sie wanderten weiter auf der durchfurchten, abgenutzten Landstraße, die sich zwischen großen, dunkelgrünen Mangowäldern hinzog, ostwärts, matt schimmernd die schneegekrönten Häupter des Himalaya. Ganz Indien war an der Arbeit auf den Feldern unter dem Geknarre von Wasser-Rädern, dem Schreien der Pflüger hinter ihren Ochsen und dem Lärm der Krähen. Das Pony selbst fühlte den belebenden Einfluß und setzte sich in eine Art von Trab, als Kim eine Hand auf den Zügel legte.

      »Es reut mich, daß ich dem Schrein nicht eine Rupie hinterließ«, sprach der Lama bei der letzten seiner einundachtzig Perlen.

      Der alte Soldat brummte in seinen Bart. Der Lama wurde seiner erst jetzt gewahr.

      »Suchst auch Du den Fluß?« frug er, sich zu ihm wendend.

      »Der Tag ist neu«, war die Antwort. »Was nutzt mir ein Fluß weiter, als vor Sonnenuntergang mein Pferd zu tränken? Ich kam, um Dir einen Richtweg nach der Großen Heerstraße zu weisen.«

      »Das ist eine Höflichkeit, deren man gedenken soll, o Mann des guten Willens. Aber wozu das Schwert?«

      Der alte Soldat blickte so verlegen wie ein Kind, das man bei einem Schabernack überrascht.

      »Das Schwert,« sagte er, daran herumtappend, »oh, das war ein Einfall von mir – ein Einfall eines alten Mannes. Es ist wahr, der Polizeibefehl ist: daß kein Mann in ganz Hind Waffen tragen darf, aber« – sein Gesicht klärte sich auf und er klapste auf die Degenscheide – »aber alle Konstabler hier herum kennen mich.«

      »Es ist kein guter Einfall«, sprach der Lama. »Welchen Vorteil bringt es, Menschen zu töten?«

      »Sehr wenig, so viel ich weiß. Aber wenn böse Menschen nicht hier und da totgeschlagen würden, wäre es eine schlimme Well für waffenlose Träumer. Ich spreche nicht ohne Wissen, ich, der ich das Land von Delhi bis nach Süden mit Blut gewaschen sah.

      »Welcher Wahnsinn war das denn?«

      »Die Götter allein, die ihn als Heimsuchung sandten, wissen es. Ein Wahnsinn fraß sich in das Heer ein, und es wandte sich gegen seine Offiziere. Das war das erste Unheil; aber es wäre nicht hoffnungslos gewesen, hätten sie dann die Hände still gehalten. Aber sie verfielen darauf, die Weiber und die Kinder der Sahibs zu töten, und da kamen die Sahibs von jenseits des Meeres und zogen sie zur strengsten Rechenschaft.«

      »Irgend so ein Gerücht drang zu mir einst, vor langer Zeit. Sie nannten das Jahr das schwarze Jahr, wie ich mich entsinne.«

      »Welche Art von Leben hast Du geführt, um das Jahr nicht zu kennen? Ein Gerücht – in der Tat! Die ganze Erde wußte es und zitterte.«

      »Unsere Erde bebte nur einmal – an dem Tage, als der höchst Vortreffliche Erleuchtung empfing.«

      »Ach was! Delhi wenigstens sah ich zittern, und Delhi ist der Nabel der ganzen Welt.«

      »So wandten sie sich gegen Frauen und Kinder? Das war eine schlechte Tat, für welche sie der Strafe nicht entgehen konnten.«

      »Viele versuchten es wohl, aber mit sehr wenig Nutzen. Ich war damals in einem Kavallerie-Regiment. Es wurde vernichtet. Von 680 Säbeln blieben – wie viele denkt Ihr wohl? drei übrig, ihr Salz zu essen, und davon war ich einer.«

      »Um so größer das Verdienst.«

      »Verdienst! Wir betrachteten es nicht als Verdienst in jenen Tagen. Mein Volk, meine Freunde, meine Brüder fielen von mir ab. Sie fügten: »Die Zeit der Englischen ist erfüllt. Laßt jeden von uns eine kleine Habe für sich heraus schlagen.« Aber ich hatte mit den Männern von Sobraon, von Chillianwallah, von Moodkee und von Ferozeshah geredet. Ich sagte: »Wartet ein wenig, der Wind wird sich drehen. Bei diesem Werk ist kein Segen.« In jenen Tagen ritt ich siebzig Meilen mit einer englischen Mem-Sahib und ihrem Kindchen auf meinem Sattelsitz. Oh, Wunder! War das ein Pferd! Ich brachte sie in Sicherheit und zurück kam ich zu meinem Offizier – dem einen, der nicht getötet war von unsern Fünfen. »Gib mir Arbeit,« sprach ich, »denn ich bin von meiner eigenen Sippe ausgestoßen und das Blut meiner Vettern ist naß auf meinem Degen.« »Sei beruhigt,« sagte er. »Viel Arbeit liegt vor. Wenn dieser Wahnsinn vorüber ist, wartet die Belohnung.«

      »Aye! Eine Belohnung wartet, wenn der Wahnsinn vorüber, in Wahrheit!« murmelte der Lama halb zu sich selbst.

      »In jenen Tagen behingen sie nicht jeden, der zufällig eine Kanone donnern gehört, mit Medaillen. Nein! In neunzehn regelrechten Schlachten war ich: in sechsundvierzig Reiter-Scharmützeln und in kleinen Plänkeleien ohne Zahl. Neun Wunden trage ich: eine Medaille und vier Spangen und das Zeichen eines Ordens; denn meine Kapitäne, die jetzt Generäle sind, erinnerten sich meiner, als die Kaiseri-Hind (Kaiserin von Indien) fünfzig Regierungs-Jahre vollendet hatte und das ganze Land froh war. Sie sprachen: »Gebt ihm den Orden von Britisch Indien.« Ich trage ihn nun an meinem Hals. Ich habe auch mein Iaghir (Besitz) von der Hand des Staates – eine freie Gabe an mich und die Meinen. Die Männer aus der alten Zeit – sie sind nun Kommissäre – kommen hoch zu Pferde über die Felder zu mir geritten, so daß das ganze Dorf es sieht, und wir reden von unsern alten Scharmützeln und der Name von einem toten Mann bringt uns auf den andern.«

      »Und dann?« sagte der Lama.

      »Oh, nachher gehen sie fort, aber nicht ehe das ganze Dorf sie gesehen hat.«

      »Und am Ende – was wirst Du tun?«

      »Am Ende werde ich sterben.«

      »Und dann?«

      »Laß die Götter das einrichten. Ich habe sie nie mit Gebeten gequält; ich denke, sie werden mich auch nicht quälen. Sieh! Ich habe in meinem langen Leben gemerkt, daß alle, welche die da oben ewig mit Klagen und Rapporten und Brüllen und Heulen belästigen, ganz plötzlich und in Eile abberufen werden, gerade so wie unser Oberst die lockerzungigen Bauernburschen vom niedern Land, die zu viel schwatzten, wegholen ließ. Nein, ich habe die Götter nie belästigt. Sie werden das bedenken und mir einen ruhigen Platz geben, wo ich mich in den Schatten meiner Lanze werfen und warten kann, bis ich meine Söhne bewillkommene – ich habe nicht weniger als drei, Ressaldar-Majore alle – bei den Regimentern.« (Risaldar, eingeborener Befehlshaber eines Risala.)

      »Und diese ebenfalls, gebunden an das Rad, gehen von Leben zu Leben – von Verzweiflung zu Verzweiflung,« murmelte der Lama leise, »heiß, hastig, ruhelos.«

      »Ei ja!« Der alte Soldat kicherte. »Drei Ressaldar-Majore in drei Regimentern. Spieler ein bißchen – aber das bin ich auch. Sie müssen gut beritten sein; und man kann die Pferde nicht nehmen, wie man in alten Tagen die Weiber nahm. Nun, nun, mein Besitz kann für alles zahlen. Siehst Du, es ist ein wohlbewässerter

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