Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг

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Rücken, ich weiß es, nennen sie mich einen zahnlosen, alten Affen.«

      »Hast Du niemals etwas anderes begehrt?«

      »Ja – ja – tausend Mal. Einen strammen Rücken, ein fest durchgedrücktes Knie, flinke Hand und scharfes Auge noch einmal – und das Mark, das den Mann macht. O, die alten Tage – die guten Tage meiner Stärke!«

      »Stärke ist Schwäche.«

      »Dazu ist sie geworden; aber fünfzig Jahre früher hätte ich mich anders zeigen können,« grollte der alte Soldat, dem Pony seine Spornspitze in die magere Flanke treibend.

      »Aber ich weiß einen Strom von großer Heilkraft.«

      »Gunga-Wasser habe ich getrunken fast bis zur Wassersucht. Alles was ich davon hatte, war eine Diarrhoe, aber kein bißchen Stärke.«

      »Es ist nicht Gunga. Der Fluß, den ich weiß, wäscht jeden Flecken von Sünde ab. Ersteigt man das jenseitige Ufer, ist man der Befreiung gewiß. Ich kenne Dein Leben nicht, Dein Antlitz aber ist das Antlitz der Ehrbaren und Gefälligen. Du hast an Deinem Wege festgehalten. Du hast Treue erwiesen, als es schwer war sie zu erfüllen, in dem schwarzen Jahr, aus welchem ich mich nun auch anderer Erzählungen entsinne. Betritt jetzt den Mittleren Pfad, der der Pfad zur Befreiung ist. Höre das höchst Vortreffliche Gesetz und folge nicht mehr Träumen nach.«

      »Rede denn, alter Mann,« der Soldat lächelte, halb salutierend, »in unserem Alter sind wir alle Schwätzer.«

      Der Lama kauerte nieder im Schutze eines Mangobaumes, dessen Schatten schachbrettartig über sein Gesicht spielten: der Soldat saß steif auf seinem Pony, und Kim, nachdem er sich versichert hatte, daß keine Schlangen da waren, legte sich in den gabelförmigen Einschnitt der Wurzelwindung.

      Ringsumher einschläferndes Summen von kleinen Lebewesen im heißen Sonnenschein, ein Girren von Tauben, ein schläfriges Knarren von Wassertreträdern auf den Feldern. Der Lama begann, langsam und eindrucksvoll. Nach zehn Minuten glitt der alte Soldat von seinem Pony, um, wie er sagte, besser zu hören, setzte sich und wickelte die Zügel um sein Handgelenk. Des Lamas Stimme ward unsicher, die Pausen wurden länger. Kim beobachtete ein graues Eichhörnchen. Als das kleine, buschige Bündelchen Pelzwerk, dicht an einen Zweig gepreßt, nicht mehr sichtbar war, waren Prediger und Auditorium fest eingeschlafen, des allen Soldaten scharf geschnittener Kopf auf seinen Arm gebettet, der des Lama an den Baumstamm gelehnt, wo er sich abhob wie gelbes Elfenbein. Ein nacktes Kind trippelte herbei, stierte alle an und machte in einem plötzlichen Impuls von Ehrfurcht eine feierliche, kleine Verbeugung vor dem Lama – nur war das Kind so Kurz und fett, daß es seitwärts umpurzelte, und die zappelnden, plumpen Beinchen machten Kim laut lachen. Das Kind, erschrocken und zornig, schrie gellend.

      »Ho! Ho!« rief der Soldat, auf seine Füße springend, »was ist los? Welche Ordres? … Es ist … ein Kind! Ich träumte, es wäre Alarm. Kleines – Kleines – schreie nicht. Habe ich geschlafen? Das war wirklich unhöflich!«

      »Ich fürchte mich! Ich fürchte mich!« brüllte das Kind.

      »Was ist da zu fürchten? Zwei alte Männer und ein Knabe? Wie willst Du jemals ein Soldat werden, Prinzchen?«

      Der Lama war ebenfalls erwacht, nahm aber keine besondere Notiz von dem Kinde, sondern Klapperte mit seinem Rosenkranz.

      »Was ist das?« rief das Kind, mitten im Schrei innehaltend. »Solche Dinger habe ich noch nicht gesehen. Gieb sie mir.«

      »Aha,« machte lächelnd der Lama, und eine Schlinge von Perlen über das Gras ziehend, sang er:

      Dies ist ‘ne Handvoll Cardamom,

       Dies ein Stück Ghi (Butter) dazu,

       Dies ist Hirse, Pfeffer und Reis:

       Nun schmausen wir, ich und Du!«

      Das Kind kreischte vor Freude und haschte nach den dunklen, schimmernden Perlen.

      »Oha!« rief der alte Soldat, »woher hast Du dieses Lied, Verächter der Welt?«

      »Ich hörte es in Pathankot, wo ich auf einer Türschwelle rastete,« sagte schüchtern der Lama. »Es ist gut, freundlich mit Kindern zu sein.«

      »Wie ich mich erinnere, sagtest Du mir, ehe der Schlaf über uns kam, daß Heirat und Geburt Verdunkler des wahren Lichtes sind. Steine des Anstoßes auf dem Pfade. Füllen in Deinem Lande die Kinder vom Himmel? Ist das so Sitte, ihnen Lieder zu singen?«

      »Kein Mensch ist ganz fehlerlos,« sprach ernsthaft der Lama und zog den Rosenkranz ein. »Lauf nun zu Deiner Mutter, Kleiner.«

      »Hör ihn!« wandle sich der Soldat zu Kim. »Er schämt sich, ein Kind erfreut zu haben. Es ist ein guter Hausvater an Dir verloren, mein Bruder. Heda, Kind!« Er warf ihm eine Kupfermünze zu – »Zuckerwerk ist immer süß.« Und, als die kleine Gestalt im Sonnenschein forthüpfte: »Die wachsen heran und werden Männer. Heiliger, ich bedauere, daß ich mitten in Deiner Predigt einschlief. Vergib mir.«

      »Wir sind beide alte Männer,« sprach der Lama. »Mein ist der Fehler. Ich lauschte Deiner Rede von der Welt und ihrer Torheit und ein Fehler leitete zu dem nächsten.«

      »Hör ihn! Welchen Schaden erleiden Deine Götter durch Dein Spiel mit einem Kinde? Und das Lied hast Du sehr gut gesungen. Laß uns weiter wandern und ich will Dir den Sang von Rikal Seyn vor Delhi singen – den alten Sang?«

      Und sie verließen die schattige Dämmerung der Mango-Gruppe. Die schrille Stimme des alten Soldaten tönte über das Feld, wie er in langgezogener Wehklage die Sage von Rikal Seyn (Nicholson) vortrug – das Lied, das die Leute im Punjab bis zum heutigen Tage singen. Kim war entzückt, und der Lama hörte mit tiefem Interesse zu.

      »Ahi! Rikal Seyn ist tot – er fiel vor Delhi! Lanzen vom Norden, nehmt Rache für Rikal Seyn.« Er tremulierte den Sang bis zu Ende, die Triller schlug er mit der flachen Seite des Degens auf des Pony’s Hinterteil.

      »Und nun Kommen wir auf die große Heerstraße,« sagte er, als Kim sein Lob gesungen halte – der Lama war auffallend schweigsam. »Lang ist es her, daß ich diese Straße geritten bin; Deines Knaben Rede munterte mich dazu auf. Betrachte, Heiliger, die große Heerstraße, die das Rückgrat ist von ganz Hind. Zum größten Teil ist sie, wie hier, beschattet von vier Reihen von Bäumen; die Mittelstraße, ganz hart, nimmt der schwere Verkehr. In den Tagen vor den Eisenbahn-Wagen reisten die Sahibs hier zu Hunderten auf und ab. Jetzt sieht man nur Bauernwagen und dergleichen. Rechts und links ist der gröbere Weg für schwere Fuhrwerke – Getreide und Baumwolle und Bauholz, für Kalk, Häute und Felle. Hier geht man in Sicherheit – denn alle paar Kos weit ist eine Polizeistation. Die Polizisten sind Diebe und Erpresser, ich selbst würde hier mit Kavallerie abpatrouillieren lassen, mit jungen Rekruten unter einem tüchtigen Kapitän, aber sie dulden wenigstens keine Rivalen. Alle Arten und Kasten von Menschen bewegen sich hier. Schau! Brahmanen und Chumars (Schuster), Bankiers und Zimmerleute, Barbiere und Banjä (zur Baischiga-Kaste der Hindu gehörig, die sich des Fleischgenusses enthalten), Bunnias, Pilger und Töpfer – alle Welt kommt und geht. Mir scheint es wie ein Fluß, von dem ich fortgetrieben werde wie ein Klotz nach der Hochflut.«

      Und wahrlich, die große indische Heerstraße bietet ein wunderbares Schauspiel. Sie läuft fünfzehnhundert englische Meilen geradeaus, trägt ohne Gedränge Indiens Handelsverkehr – ein Strom von Leben, wie er nirgendwo sonst in der Welt existiert.

      Sie sahen die grün überwölbte, schattengesprenkelte Länge der

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