Trost der Philosophie. Boethius
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Über den Autor
Über den Autor
Anicius Manlius Severinus Boëthius (um 480 – etwa 524) entstammte einer Familie, die sich als eine der ersten des römischen Adels bereits um die Mitte des 4. Jahrhunderts zum Christentum bekannt hat und lange Zeit höchste Ämter im Westen des römischen Reiches besetzte. Der hochgebildete Boëthius erregte das Interesse des Ostgotenkönigs Theoderich, unter dem für Italien eine dreißigjährige Friedenszeit begann, in der Kunst und Wissenschaft eine neue, späte Blüte erfuhren. Boëthius gelangte bis in höchste Ämter: Im Jahre 510 wurde er Konsul und später ranghöchster Minister. In dieser Phase wurde er in einen Hochverratsprozess hineingezogen, der seinen Ursprung in den Gegensätzen zwischen den einflussreichen Ostgoten am Hofe Theoderichs, dem Senat in Rom und dem Kaiser in Byzanz hatte. Die Anhänger Theoderichs erreichten die Absetzung des Boëthius. Vom Amt suspendiert wurde er nach Pavia gebracht, im Sommer 524 zum Tode verurteilt und wahrscheinlich im Herbst 524 hingerichtet.
Zum Buch
Zum Buch
Mit seinem Hauptwerk Trost der Philosophie (Consolatio philosophiae) schuf Boëthius eines der letzten bedeutendsten philosophischen Werke der Spätantike. Es entstand im Jahr 524 und ist einer der wichtigsten Texte der frühchristlichen Philosophie und Theologie, das großen Einfluss auf die spätere Scholastik ausübte. Boëthius verfasste das Werk, während er im Gefängnis saß und auf seine Hinrichtung wartete. Das Buch erzählt, wie ihm in dieser Situation die allegorische Gestalt der Philosophie erscheint. Es entsteht ein Dialog, in dem Boëthius die Rolle des Schülers, die Philosophie die Rolle der Lehrmeisterin spielt. Auf diese Weise wird eine Reihe von grundlegenden philosophisch-theologischen Problemen behandelt, wie etwa die Theodizee, die Definition des Glücks, oder das Problem der Willensfreiheit und insbesondere die Vereinbarkeit von freiem Willen mit der göttlichen Allwissenheit und Vorsehung.
Erstes Buch
Ich, der begeistert und frisch einst fröhliche Weisen geschaffen,
Muss nun, kummergebeugt, singen ein trauriges Lied!
Also geboten es mir die trostlos klagenden Musen;
Ach, mein eigener Sang lockt mir die Tränen hervor.
Denn nur die Musen allein verscheuchte das herbe Geschick nicht;
Treue Begleiter, wie sonst, folgen auch heute sie mir!
Sie, die mit Ruhm geschmückt die fröhliche, goldene Jugend,
Trösten den trauernden Greis, jetzt, da das Glück ihn verließ!
Plötzlich brach es herein, von Leiden beschleunigt, das Alter,
Und es erschien die Zeit, welche den Schmerzen gehört.
Schneeige Weiße bedeckt zu früh die Haare des Hauptes,
Schlaff auch erzittert die Haut um den entkräfteten Leib!
Selig der Tod, wenn er nicht den Lebensfrohen dahinrafft,
Wenn er dem Trauernden naht, der ihn so oft sich gewünscht!
Wehe, wenn er mit taubem Ohr den Beladenen abweist,
Wenn er nicht schließen will, grausam, das Tränende Aug’!
Trügendes Glück umschmeichelte mich mit flüchtigen Gaben:
Da, mit vernichtender Kraft, nahte die Stunde des Leids!
Jetzt, da, veränderten Blicks, so finster das Leben mich anschaut,
Zieht es, erbarmungslos, qualvoll unendlich sich hin!
Weshalb habt ihr so oft mein Schicksal gepriesen, o Freunde?!
Ach, wer im Unglück versank, stand auch im Glücke nicht fest!
Während ich solche Gedanken still für mich im Herzen bewegte und meine jammernde Klage mit dem Schreibgriffel aufzeichnete, da erschien mir zu Häupten eine Frauengestalt von ehrfurchtgebietender Hoheit, mit glühenden Augen von so durchdringender Kraft, wie sie sonst den Menschen nicht eigen ist. Frisch war ihre Gesichtsfarbe und unerschöpft ihre Körperkraft, obgleich sie schon ein so langes Leben hinter sich zu haben schien, dass man sie kaum noch unserem Zeitalter zurechnen konnte. Ihre Gestalt war eine wechselnde. Bald nämlich schrumpfte sie auf das gewöhnliche Maß der Menschen zusammen, bald wieder schien sie mit der Höhe des Scheitels die Wolken zu berühren. Hätte sie das Haupt noch höher erhoben, so wäre sie in den Himmel selbst eingedrungen und den Blicken der Menschen entschwunden. Ihre Kleider waren von den dünnsten Fäden, aber aus unverwüstlichem Stoff, mit der feinsten Kunstfertigkeit gewebt und zwar, wie sie mir später erzählte, das Werk ihrer eigenen Hände. Äußerlich zeigten sie indes die Verschossenheit eines vernachlässigten Alters, verwitterten und verstaubten Gemälden vergleichbar. Im untersten Saum war der griechische Buchstabe P, im obersten ein Th eingewirkt zu lesen, und zwischen beiden wurden gewisse, in Form einer Treppe angeordnete Stufen sichtbar, mittelst deren, wie es schien, ein Aufstieg von dem unteren zu dem oberen Buchstaben stattfinden sollte. – Gewalttätige Hände hatten übrigens das ganze Gewand zerrissen und einzelne Teile davon, deren sie habhaft werden konnten, mit sich fortgenommen. In der rechten Hand trug die Gestalt Bücherrollen, in der linken ein Zepter.
Als