Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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sein, nie das Leiden der Welt um ein neues Leiden zu vermehren, keinen neuen Grund eines Hasses dem schon brennenden Strom noch hinzuzufügen. Zwei neue Aufgaben sind für die selteneren freien Geister möglich… die eine, zu versuchen, das eigene Volk über seine Irrtümer zu belehren… Diese Aufgabe ist aber nicht die meine, nicht diejenige, die ich mir gestellt habe. Meine Aufgabe ist, den feindlichen Brüdern Europas nicht das Böse, sondern das Gute, das sie haben, zu zeigen, das, was sie auf eine weisere und liebevollere Menschheit hoffen lassen kann.«

      In den neuen Aufsätzen, die Rolland nun veröffentlicht – meist in kleinen Revuen, denn die großen Zeitungen haben sich ihm längst versagt – und die dann in den »Précurseurs« gesammelt sind, ist ein neuer Ton. Der Zorn ist einem großen Mitleid gewichen; wie den Soldaten aller Armeen im dritten Kriegsjahr ist Rolland etwas von dem fanatischen Elan der Leidenschaft gebrochen und durch ein stilleres, noch beharrlicheres Bewußtsein der Pflicht ersetzt. Er ist vielleicht noch vehementer, noch radikaler in seinen Anschauungen, aber menschlich milder in seinen Betrachtungen; was er schreibt, reicht nicht mehr in den Krieg hinein, sondern gleichsam über ihn hinaus. Er deutet in die Ferne, überfliegt die Jahrhunderte zu vergleichender Erkenntnis und sucht nun zum Trost einen Sinn in dem Sinnlosen. Für ihn ist die Menschheit ganz im Sinne der Goetheschen Idee in der ewigen Spirale des Aufstiegs, wo auf immer höherer Stufe zum alten Punkte die Stunde wiederkehrt, unablässige Entwicklung mit unablässigem Rückfall. So versucht er zu zeigen, daß selbst diese tragische Stunde vielleicht Vorbote einer neueren und schöneren ist.

      Diese Aufsätze der »Précurseurs« kämpfen nicht mehr gegen Anschauungen und gegen den Krieg, sie zeigen nur die Kämpfer für das andere Ideal in allen Ländern, jene »Pfadfinder der europäischen Seele«, wie Nietzsche die Verkünder der geistigen Einheit nannte. Auf die Massen zu hoffen, ist zu spät. In dem Anruf an die »hingeschlachteten Völker« hat er nur Mitleid für die Millionen, die willenlos fremden Zwecken dienen und deren fromme Opfertat keinen anderen Sinn hat als die Schönheit des heroischen Opfers. Seine Hoffnung wendet sich einzig zu den Eliten, zu den seltenen freien Menschen, die die ganze Welt erlösen, in großen Bildern der Seele, in denen spiegelnd alle Wahrheit erscheint, unwirksam freilich für die Zeit, aber doch dauernd als Zeugnis ihrer Allgegenwart in allen Zeiten. Diese Menschen vereint er im Bild, und den meisterhaften Analysen fügen sich noch Schattenrisse vergangener Zeiten ein, ein Porträt Tolstois, des Ahnherrn der menschlichen Freiheit im Kriege, und seines alten Lieblings aus den Jugendjahren, des weisen Joniers Empedokles.

      Der große Weise Griechenlands, dem er als Zwanzigjähriger sein erstes Drama gewidmet, tröstet nun den gereiften Mann. Rolland zeigt, daß vor dreitausend Jahren schon ein Dichter innerhalb einer blutrünstigen Zeit erkannt hat, daß die Welt »in einem ewigen Umschwung vom Haß zur Liebe und von der Liebe zum Haß« ist, daß es immer ein ganzes Zeitalter des Kampfes und des Hasses gibt und ebenso unabänderlich wie die Jahreszeiten dann neuen Aufschwung zu reineren Zeiten. Mit einer großen Geste zeigt er, daß vom Sänger der sizilianischen Musen bis zum heutigen Tage die Weisen immer um die menschliche Wahrheit wußten und doch ohnmächtig waren gegen den Wahn der Welt, daß aber die Wahrheit so von Hand zu Hand in unendlicher Kette durch die Zeiten gleitet und unverlierbar und unzerstörbar ist.

      Und so leuchtet auch hier über der dunkelsten Resignation seiner Jahre noch ein mildes Licht von Hoffnung, sichtbar freilich nur den Erlesenen, die den Blick vom Zeitlichen ins Unendliche zu heben wissen.

      »Liluli« und »Pierre et Luce«

       Inhaltsverzeichnis

      Der Ethiker, der Menschenfreund, der Europäer hatte in diesen fünf Jahren zu den Völkern gesprochen, der Dichter war scheinbar verstummt. Und es mochte manchem vielleicht verwunderlich erscheinen, daß Rollands erstes dichterisches Werk, das er noch vor dem Kriegsende vollendete, eine sarkastische, witzige Komödie »Liluli« war. Aber gerade diese Heiterkeit entspringt den untersten Tiefen des Leidens: mit der Ironie hat Rolland – um einen Ausdruck der Psychoanalytiker zu übernehmen – den ohnmächtigen Schmerz über die eigene Wehrlosigkeit gegen den Wahnsinn der Welt, die Verzweiflung seiner zernichteten Seele gleichsam »abzureagieren« versucht. Vom Pol der gestauten Empörung springt der Funke über ins Gelächter: auch hier, wie in allen Werken Rollands, ist der eigentliche Wille, sich frei zu machen von einer Empfindung. Schmerz wird Gelächter, Gelächter wieder zu Bitterkeit aus einem kontrapunktischen Gefühl, das eigene Ich gegen die Schwere der Zeit in Schwebe zu halten. Wo der Zorn ohnmächtig ist, bleibt noch der Spott lebendig: wie ein brennender Pfeil fliegt er über die dunkle Welt.

      »Liluli« ist das Satyrspiel einer ungeschriebenen Tragödie oder vielmehr jener Tragödie, die Rolland nicht zu schreiben brauchte, weil die Welt sie erlebte. Und es hat den Anschein, als ob sie im Schreiben bitterer, sarkastischer, fast zynischer geworden wäre als launiger Einfall beabsichtigte, daß die Zeit selbst sie gleichsam salziger, brennender, mitleidsloser gestaltet, als der Dichter sie gewollt. In ihrem Mittelpunkt stand jene (zuerst im Sommer 1917) geschriebene Szene der beiden Freunde, die, von Liluli (L’illusion), der spitzbübischen Göttin des Wahns verführt, gegen ihren inneren Willen sich im Kampf vernichten. Das alte Symbol Oliviers und Johann Christofs war in diesen beiden Märchenprinzen gestaltet, und ergreifender Lyrismus schwang aus ihren brüderlichen Worten: Frankreich und Deutschland waren dies, die einander begegneten, beide blind hinter einem Wahn hereilend, zwei Völker vor dem Abgrund, über den sie längst die Brücke der Versöhnung gespannt hatten. Aber die Zeit erlaubte nicht diesen reinen Klang der lyrischen Trauer: immer schärfer, immer spitziger, immer grotesker konstruierte sich im Schaffen die Komödie. Alles, was Rolland vor sich sah, die Diplomatie, die Intellektuellen, die Kriegsdichter (die hier in der lächerlichen Form tanzender Derwische auftreten), die Wortpazifisten, die Idole der Brüderlichkeit, der Freiheit, der Herrgott selbst verzerren sich ihm durch die Tränen zu Fratzen und Karikaturen: mit scharfen Plakatfarben, in grimmigem Riß des Zornes zeichnet er die ganze wahnsinnige Welt. Alles ist gelöst, zersetzt in der bitteren Lauge des Spottes, und den Spott selbst, das lose Lachen, trifft schließlich der zornige Pritschenschlag. Denn Polichinell, der Räsonneur des Stückes, der Vernünftige im Narrenzuge, ist allzu vernünftig; sein Lachen ist feig, weil es die Tat versteckt. Wie er der Wahrheit begegnet – der einzigen Gestalt in diesem Werke, die in tragischer Schönheit, ernst und erschütternd, gestaltet ist –, der armen Gefesselten, wagt er nicht ihr, die er liebt, zur Seite zu stehen. Selbst der Wissende jener kläglichen Welt ist feige, und gegen ihn, den Erkennenden, der nicht bekennt, wendet sich in der stärksten Stelle der Komödie die innere Leidenschaft Rollands. »Du weißt zu lachen«, ruft die Wahrheit, »weißt zu spotten, aber hinter der Hand wie ein Schulbub. Wie deine Großväter, die großen Polichinelle, die Meister der freien Ironie und des Lachens, wie Erasmus und Voltaire bist du vorsichtig, höchst vorsichtig, dein großer Mund ist verschlossen über seinem Lächeln… Aber lacht nur, ihr Lacher! Zur Strafe könnt ihr wohl lachen über die Lüge, die sich in euren Netzen fängt, aber nie, nie werdet ihr die Wahrheit haben… Ihr werdet allein sein mit eurem Lachen im Leeren. Dann werdet ihr mich rufen, aber ich werde euch nicht antworten, ich werde geknebelt sein… Ah, wann kommt das große siegreiche Lachen, das mich mit seinem Dröhnen befreit.«

      Von diesem großen, siegreichen, hinreißenden Lachen konnte Rolland in dieser Komödie nichts geben: aus zu viel Bitternis ist sie entstanden. Sie hat nur tragische Ironie, Notwehr gegen die eigene Ergriffenheit. Obwohl der Rhythmus des Colas Breugnon mit seinen lose schwingenden Reimen bewahrt ist und auch hier die »raillerie«, der kleine gutmütige Spott, sich versucht – wie anders doch klang das Werk aus der seligen Zeit der »douce France« gegen diese Tragikomödie des Chaos! Dort kam die Heiterkeit aus einer vollen, hier aus einer übervollen, einer gepreßten Brust, dort war sie gutmütig, die Jovialität eines breiten Lachens, hier ironisch, aus der Bitterkeit gereizter Empfindung, aus gewaltsamer Irreverenz gegen alles Seiende. Eine Welt, eine zerstörte, geschlagene, vernichtete Welt voll edler Träume und gütiger Visionen starrt zwischen dem alten Frankreich des Colas Breugnon und dem

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