Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig страница 138

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

Скачать книгу

dem Schweigen, das Unausgesprochene beginnt ihn zu quälen. Er schließt sich ein in sein Zimmer: zum erstenmal ist er allein mit seinem Gewissen. Er beginnt sich zu fragen nach der Wahrheit und wandert die lange Nacht den langen Weg nach Damaskus mit seiner Seele. Stück für Stück reißt er die Hüllen der Lüge von sich los, mit denen er sich umgürtet, bis er nackt vor sich selber steht. Tief in die Haut haben sich die Vorurteile gefressen, blutend muß er sie losreißen, das Vorurteil des Vaterlands, der Gemeinsamkeit, bis er erkennt: nur eines ist wahr, nur eines ist heilig – das Leben. Ein Fieber des Suchens verzehrt ihn und der ganze alte Mensch verzehrt sich in ihm: im Morgengrauen ist er ein anderer. Er ist genesen.

      Hier beginnt nun die eigentliche Tragödie, jener Kampf, den Rolland immer als den einzig wesentlichen des Lebens, ja als das Leben selbst empfindet: das Ringen eines Menschen um seine eigene, ihm persönlich zugehörige Wahrheit. Clerambault macht seine Seele frei von all dem, was durch den ungeheuren Druck der Zeit gewaltsam in sie eingeströmt war, aber nur die erste Stufe ist dies Wissen um die Wahrheit: wer um sie weiß und sie verschweigt, wird schuldiger als der Unbewußte in seinem Irrtum. Jede Erkenntnis bleibt wertlos, solange sie nicht in Bekenntnis verwandelt wird, es genügt nicht, wie Buddha, mit schweigender Lippe und starrem Auge wissend und doch kühl über den Wahn der Welt hinwegzusehen: in tiefer Stunde gedenkt Clerambault jenes anderen indischen Heiligen, des Bodhisatwa, der geschworen, erst dann ins Abseits zu gehen, wenn er die Welt und die Menschen von ihren Leiden erlöst habe. Und in dem Augenblicke, da er beginnt den Menschen helfen zu wollen, beginnt auch sein Kampf mit den Menschen.

      Nun wird er plötzlich »l’un contre tous«, der Eine gegen Alle, aus den brüchigen, unsichern Menschen erwächst der Charakter, der heroische Mensch. Er ist einsam wie Johann Christof, einsamer sogar, denn jenen umrauscht noch Musik und in den Ekstasen der Schöpfung steigert sich dem Genie Wille und Kraft. Der ungeniale Clerambault hat niemand als sich selbst, seine Freunde verlassen ihn, seine Familie schämt sich seiner, die öffentliche Meinung fällt über ihn her, die ganze menschliche Masse stürzt sich gegen den Vorwitzigen, der sich ihr frei entwinden will und frei bleiben von ihrem Wahn. Das Werk, das er verteidigt, ist ein unsichtbares: seine Überzeugung. Je weiter er geht, umso kälter überfällt ihn Einsamkeit, desto heißer umstrickt ihn Haß, bis er schließlich, ein Märtyrer der Wahrheit, mit dem Leben seinen Glauben bezahlt.

      Ein Roman aus der Zeit, eine Abrechnung mit dem Krieg scheint diese »Geschichte eines freien Gewissens« dem ersten Blick zu sein; aber wie der Johann Christof ist dies Lebensbild unendlich mehr: ein Kampf, nicht für oder wider ein Einzelnes des Lebens, sondern ein Kampf um das Ganze des Lebens, eine Abrechnung mit der Welt, wie sie nie ein Künstler restloser vollzogen hat. Nur ist von der naiven stürmischen Gläubigkeit Johann Christofs etwas dahin geschwunden, der lodernde Enthusiasmus des Schöpfers ist gedämpft zur tragischen Weisheit des Erkennenden. Johann Christof rief noch: »Das Leben ist eine Tragödie. Hurra!«, hier fehlt jenes rauschende aufspringende »Hurra«. Die Erkenntnis ist leidenschaftlicher geworden, aber reiner, klarer, logischer, sie hat sich vergeistigt und verklärt. Denn gerade im Kriege ist Rollands Glaube an die Menschheit als Masse tragisch erschüttert worden. Noch ist der Lebensglaube in ihm stark und aufrecht, aber er ist nicht mehr Menschheitsglaube. Rolland hat erkannt, daß die Menschheit betrogen sein will, daß sie Freiheit zu ersehnen nur vorgibt, in Wirklichkeit aber glücklich ist, sich von jeder geistigen Verantwortung zu lösen und sich in die warme Knechtschaft eines Massenwahns zu flüchten. Er hat erkannt, daß eine Lüge, die sie begeistert, ihr teurer ist als eine Wahrheit, die sie ernüchtert; und Clerambault drückt sein ganzes Gefühl der Resignation und Hingabe aus, wenn er sagt: »Man kann den Menschen nicht helfen, man kann sie nur lieben.« Das Vertrauen für die Massen, die »leicht verführbaren«, ist einem tiefen Mitleid für die Menschheit gewichen, und wieder – zum wievielten Male! – wendet sich des ewig Gläubigen ganze Begeisterung zu den großen Einsamen, die für die Menschheit leben und an ihr zugrunde gehen, zu den Heroen jenseits der Zeiten und jenseits der Völker. Was Rolland einst im Beethoven gezeigt, im Michelangelo und später im Johann Christof, das erhebt nun die Gestalt seines Clerambault zu der schönsten tragischen Form: daß er für alle wirkt, aus der tiefsten Wahrheit seiner Natur, notwendigerweise der »l’un contre tous«, der Eine gegen Alle sein muß. Aber man braucht das Bildnis des wahren Menschen, um die Menschheit zu heben, man braucht den Helden, um daran glauben zu können, daß der Kampf um das Leben einen Sinn und eine Schönheit hat: nie hat ein Werk scheinbarer Resignation darum reiner dem ewigen Idealismus seines Schöpfers gedient.

      So fügt Rolland an die Gestalten seiner irdischen Kämpfer noch die erhabenste, die irdisch-religiöse: die des Märtyrers seiner Überzeugung. Aus bürgerlicher Welt, aus dem Mittelmaß eines Menschen wächst diese Tragödie, und gerade dies ist die wunderbare moralische Größe, die von diesem Buche der Trauer ausgeht, die Tröstung, daß es jedem, und auch dem einfachsten Menschen, nicht bloß dem Genius gestattet sei, stärker zu sein als die Welt wider ihn, wenn er seinen Willen aufrecht hält, frei zu sein gegen alle und wahr gegen sich selbst. Freiheit und Gerechtigkeit, die beiden Urkräfte, die Rolland zum wirkenden Menschen seiner Zeit gemacht haben, erhebt er in dem Bildnis dieses Menschen zur höchsten Lebendigkeit, zur Lebendigkeit einer moralischen Tat, die weder die Welt noch der Tod zu zerstören vermag.

      Die letzte Mahnung

       Inhaltsverzeichnis

      Fünf Jahre lang hatte Romain Rolland im Kampf gegen den Wahnwitz der Zeit gestanden. Endlich bricht die feurige Kette um den gefolterten Leib Europas. Der Krieg ist zu Ende, der Waffenstillstand geschlossen. Die Menschen morden einander nicht mehr, aber ihre tragische Leidenschaft, der Haß, wütet weiter. Romain Rollands prophetische Erkenntnis feiert einen düstern Triumph: sein Mißtrauen gegen die Sieger, in Dichtung und Warnung immer wieder bekundet, wird noch übertroffen von einer rachsüchtigen Wirklichkeit: »Nichts widersteht dem Waffensieg schwerer als ein selbstloses Menschheitsideal, nichts ist schwieriger als im Triumph vornehm zu bleiben« – furchtbar bewährt sich dies sein Wort an der Zeit. Vergessen sind die schönen Worte vom »Sieg der Freiheit und des Rechts«, die Konferenz zu Versailles bereitet neue Vergewaltigung und neue Erniedrigung. Wo der einfältige Idealismus das Ende aller Kriege gesehen, erkennt der wahre Idealismus, der über die Menschen zu den Ideen blickt, neue Saat neuen Hasses und neuer Gewalttat.

      Noch einmal in letzter Stunde erhebt Rolland die Stimme zu dem Menschen, der damals den Hoffenden als letzter Vertreter des Idealismus, als Anwalt einer absoluten Gerechtigkeit galt, zu Woodrow Wilson, der, umjauchzt von der Erwartung von Millionen, in Europa gelandet ist. Der Historiker weiß, »daß die Weltgeschichte eigentlich nichts ist als eine Kette von Beweisen, daß der Sieger jeweils übermütig wurde und damit den Keim zu neuen Kriegen legte«. Nie war, so fühlt er, moralische statt militärischer, aufbauende statt zerstörender Politik mehr vonnöten als nach dieser Weltkatastrophe, und der Weltbürger, der den Krieg schon zu erretten suchte von dem Stigma des Hasses, ringt jetzt um das Ethos des Friedens. Zu dem Amerikaner spricht der Europäer hinüber in beschwingtem Anruf: »Sie allein, Herr Präsident, von allen, denen die zweifelhafte Ehre zufiel, die Geschicke der Völker zu leiten, besitzen universelle moralische Macht. Alles bringt Ihnen Vertrauen entgegen; so erfüllen Sie diese pathetische Hoffnung! Fassen Sie die entgegengebreiteten Hände und vereinigen Sie sie… Fehlt dieser Vermittler, so werden die menschlichen Massen uneinig, ohne Gegengewicht unvermeidlich dem Exzeß anheimfallen, das Volk der blutigen Anarchie, die Parteien der Ordnung blutiger Reaktion… Erbe Washingtons und Abraham Lincolns, führen Sie in Ihrer Hand nicht die Sache eines Volkes, sondern aller Völker. Berufen Sie die Vertreter aller Völker zu einem Kongreß der Menschheit und leiten Sie ihn mit der ganzen Autorität, die Ihnen die hohe moralische Verantwortung und die mächtige Zukunft des gewaltigen Amerika verbürgt. Sprechen Sie, sprechen Sie zu allen! Die Welt dürstet nach einer Stimme, die die Grenzen der Nationen und Klassen überschwingt… Möge Sie die Zukunft mit dem Namen des Versöhners grüßen können.«

      Prophetischer Anruf, aber wiederum verklungen in den Schreien der

Скачать книгу