Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri страница 113
Eine Mundharmonika war das Herrlichste, was Lippo kannte. Sein Nachbar auf der Schulbank, des Pfeifertonis Toneli, besass eine solche und konnte ganze Lieder darauf blasen, und das war so wundervoll! Wenn die Harmonika für ihn bestimmt wäre! Lippo liess schnell los.
Mit beiden Händen fuhr jetzt Onkel Phipp in seine tiefen Taschen.
Wirklich, da wurde der lange bewunderte und für sich so stark ersehnte Gegenstand herausgezogen. Aber wieviel grösser und schöner sah er aus, als Tonelis kleines Instrument, was musste diese Harmonika für Töne von sich geben können! Jetzt hielt Lippo den Schatz in der Hand, er konnte es nicht glauben; aber Onkel Phipp hatte wirklich gesagt: »Da nimm sie, für dich war die Harmonika bestimmt.«
Auch für die anderen entstiegen allerlei neue Herrlichkeiten den Tiefen der Taschen, und eins der Kinder nach dem andern rannte davon, um seinen Schatz der Mutter zu zeigen. Lippo sah und hörte nichts mehr. In gespannter Erwartung der Melodien, die da ertönen würden, stand er da und entlockte seinem Instrument ganz ohrzerreissende Jammertöne.
»Ja, Lippo, das muss man erst ein wenig lernen, alles muss gelernt sein. Komm, gib her«, sagte Onkel Phipp, »siehst du, so macht man’s.« Jetzt setzte er das Instrument an seinen Mund und fuhr hin und her damit, und nun gab es so lustige Weisen und Klänge von sich, dass Lippo in sprachloser Bewunderung zu seinem Paten aufschaute. Onkel Phipp konnte also alles, auch sogar Harmonika blasen, was doch sonst nur die Buben konnten. Und wie tat er es! Solche Töne konnte gewiss kein anderer Mensch mehr hervorbringen.
Lippo wurde in seiner staunenden Bewunderung gestört durch die lärmende Rückkehr der Geschwister, die den Onkel zum Abendbrot abholten, und nun wurde er inmitten der Schar wie ein Kriegsgefangener unter Siegesgeschrei zu Tisch gebracht.
Die Mutter hatte absichtlich die Zeit des Abendessens etwas früher angesetzt als gewöhnlich. Sie konnte merken, dass der Bruder damit einverstanden war. Wenn aber Onkel Phipp im Sinne hatte, heute die Zeit, die er mit den Kindern zubringen wollte, etwas zu kürzen, so hatte er gar nicht im Sinn, den Kindern an der Unterhaltung etwas abgehen zu lassen. Er brachte im Gegenteil eine solche Menge von lustigen Dingen vor, dass die Kinder meinten, soviel Kurzweil wie heute abend habe der Onkel noch gar nie mitgebracht. Jetzt war’s still geworden im Wohnzimmer. Onkel Phipp sass allein drinnen, seine Schwester erwartend, die mit den Kindern verschwunden war.
»Nun vor allem, Phipp«, sagte sie zurückkehrend und sich zu ihm hinsetzend, »wie machen wir’s mit Bruno? Du hast doch Herrn Knippel bestimmt gesagt, dass er nicht auch für ihn Wohnung bestellen soll?«
»Im Gegenteil, ich habe ihm alle Vollmacht dazu gegeben«, erwiderte der Bruder. »Knippel hat mir auch die Sache so dargestellt, als seist du jedenfalls auch einverstanden damit und herzlich froh, wenn er die Sache auch für dich in die Hand nähme. So dachte ich, es sei ja auch das Einfachste, und so arg wird das Zusammensein der drei Burschen ja auch nicht werden; du musst dir nur nicht gleich das Schlimmste vorstellen. Jetzt habe ich dir aber noch etwas mitzuteilen.«
Es war, als sei es dem Onkel Phipp selber lieb, etwas rasch über den bösen Punkt wegzukommen; er ahnte, dass diese Mitteilung seine Schwester in eine grosse Aufregung bringen würde.
So war es auch. Vor Schrecken über seine ersten Worte hatte sie die letzten nun gar nicht mehr vernommen.
»Wie konntest du mit dies tun, Phipp!« brach sie jetzt in Jammer aus. »Was daraus entstehen wird, sehe ich klar vor mir, ohne mir willkürliche Vorstellungen zu machen. Die geringe Gesinnung der zwei Burschen reizt Bruno fortwährend zum Zorn, zu voller Wut, er kann sich nicht mässigen, es ist ja mein grösster Kummer. Nun sollten die drei täglich, ja fast immer zusammensein, ganz zusammenwohnen, was wird daraus werden? Die Sache ängstigt mich mehr, als du weisst, und ändern kann ich sie nun nicht mehr, da du deine Zustimmung dazu gegeben hast.«
»Siehst du, Maxa, ich konnte nicht anders handeln; Knippel wollte es durchaus haben, und du weisst ja, er wird so bald beleidigt, weil er immer meint, seine Herkunft von unten herauf sei uns im Wege, weil er unsere Gleichgültigkeit gegen sein vieles Geld, das er zusammengebracht hat, nicht begreift. Du musst dich übrigens nicht so beunruhigen, lange wird die Sache nicht währen«, tröstete der Bruder, »es wird ja bald genug irgendeine fürchterliche Prügelszene zwischen den drei stattfinden, dann werde ich gleich einschreiten. Das ist dann ein guter Grund, sie auseinanderzubringen.« Die Aussicht auf eine fürchterliche Prügelszene war kein Trost für Frau Maxa; aber sie erwiderte nichts mehr, sie wusste, dass sie da nichts mehr ändern konnte.
»Nun hab ich dir noch etwas zu erzählen, das wird dich nun gleich wieder heiterer stimmen«, begann der Bruder, jetzt wieder sichtlich erleichtert, dass seine erste Mitteilung abgetan war. »Da kamen erst gestern abend meine zwei Reisegefährtinnen, die Damen aus Hannover, zu mir heraufgestiegen, um, wie sie sagten, meinen Rat in einer Sache zu holen, die ihnen sehr am Herzen liege. Sie hatten die dringende Aufforderung erhalten, sogleich zurückzukehren, da ihre alte Mutter schwer erkrankt sei und sie zu sehen begehre. Nun war das junge Mädchen, das ihnen zur Erziehung anvertraut ist, schon seit einigen Tagen so unwohl, dass sie den Arzt gerufen hatten und nun gestern gleich wiederkommen liessen, um zu wissen, ob mit dem Kinde ohne Gefahr gereist werden könnte. Er erklärte ihnen, davon sei keine Rede und gewiss noch einige Wochen lang nicht. Da sei eine Krankheit im Anzuge und allen Zeichen nach keine schnell vorübergehende, das schleichende Fieber gefalle ihm gar nicht. Nun waren die Damen sehr erschrocken und klagten dem Doktor ihre Verlegenheit. Reisen mussten sie, und zwar beide, die eine könne ja wohl in acht bis vierzehn Tagen wiederkehren; aber während der Zeit sollten sie doch eine vertraute Person und gute Krankenpflegerin für das anvertraute Kind haben, und hier waren sie ja ganz fremd. Nun fand der Doktor, das beste sei, die junge Kranke in das neue Krankenhaus in Sils im Tal zu bringen, da hätte sie die rechte Pflege, und er komme täglich ins Haus. Den Rat nahmen die Damen an, fanden dann aber, besser sei es, mich über das Krankenhaus auch noch zu Rat zu ziehen; die Ärzte seien manchmal für solche Anstalten eingenommen, schon weil sie da ihre Kranken alle beieinander hätten. So möchten sie denn auch noch von mir wissen, was ich ihnen raten würde, ob sie das Töchterchen wohl dahin bringen könnten. Ich sagte ihnen, das Haus sei gut eingerichtet, nur etwas kein, und natürlich seinen eben allerlei Kranke da. Auf meine Frage, ob die Damen vielleicht die Eltern des Töchterchens lieber die Frage entscheiden lassen wollten und ob ich bis dahin eine gute Pflegerin für die Kranke besorgen sollte, erhielt ich die Antwort, Leonore von Wallerstätten sei eine Waise, die Tante, die ihnen das Mädchen übergeben hätte, sei auch gestorben.«
»Phipp, das ist das Kind unserer Leonore, es ist ja kein Zweifel mehr!« rief Frau Maxa in der höchsten Erregung aus. »Oh, Phipp, wie konntest du den Damen das Krankenhaus anraten! Warum hast du doch nicht gleich gesagt, dass du eine Schwester hast, die das Kind augenblicklich in ihr Haus aufnehmen würde?«
»Wie konnte ich denn das tun? Denk doch einen Augenblick nach, Maxa«, sagte der Bruder. »Zu all deinen Kindern und all deinen Ängsten und Kümmernissen sollte ich dir eine Kranke ins Haus bringen mit einem Fieber, das alles Schlimme sein kann, so dass deine fünf sämtlich am Nervenfieber krank werden können; was hättest du mir dann gesagt?«
»Phipp, morgen früh geh ich mit dir nach Sils hinunter; du bringst mich zu den Damen, damit sie wissen, wer ich bin. Ich werde ihnen sagen, als nahe Freundin der seligen Mutter habe ich das Recht, das Kind in mein Haus zu nehmen und es zu pflegen. In deinem kleinen Wagen, der geschlossen werden kann, darf die junge Kranke gewiss die Fahrt hierher machen. Du gehst dann schnell zum Doktor, um ihm zu sagen, was wir im Sinne haben, und schickst uns dann den Wagen. Das tust du mir zu Gefallen, Phipp; es