Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri

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dem Frühstück sollte sie erfahren, daß sie ihren guten Vorsatz nur zum Teil ausführen könne.

      Als Hedwig ins Eßzimmer eintreten wollte, kam ihr Frau v. L. wieder entgegen.

      »Ich erwartete Sie hier«, sagte sie; »wie konnte ich nur die Hauptsache vergessen, die ich Ihnen mitteilen wollte. Es findet morgen früh, wie jeden Sonntagmorgen, eine Versammlung statt unten am See, ein Gottesdienst der wirklichen Christengemeinde, d. h. der ›Brüder‹. In einer kleinen Stunde können wir mit der Eisenbahn unten sein.«

      »Ich gehe in die Kirche am Sonntagmorgen«, entgegnete Hedwig, »und diejenigen, die mit mir dahin gehen, halte ich alle für wirkliche Christen oder für solche, die es werden wollen, weil sie dahin kommen, und im Werden sind wir ja doch alle begriffen.«

      »Ich will lieber annehmen«, entgegnete Frau v. L. in kurzem Ton, »es fehle Ihnen an der rechten Erkenntnis, als am guten Willen. Suchen Sie jene zu erlangen, ich sage es zu Ihrem Besten.« Damit verließ sie die Veranda. –

      Zu ihrem Erstaunen bemerkte Hedwig am Frühstückstisch sowohl den Baron, als auch alle seine Freunde, die Amerikaner, Hamburger, Sachsen, Irländer und was zum Partieenklub gehörte. Die Morgentour des Barons mußte nur eine Vorbereitung zur Partie des Tages gewesen sein.

      Ohne die allgemeine Morgenbegrüßung, die regelmäßig nach dem Frühstück auf der sonnigen Veranda stattfand, abzuwarten, eilte Hedwig fort, heute einmal ihren Plan auszuführen, zu der Ruine auf dem Waldhügel hinaufzusteigen. Der lahmen Juliette schnell einen Morgengruß zu sagen, wollte Hedwig nicht versäumen; führte auch ihr Weg nicht gerade da vorbei, so konnte sie ja nachher doch schnell über die Wiesen hin aus den Waldweg gelangen. Als sie die Anhöhe hinaufging, von wo sie gewöhnlich schon das Kind in seinem Sessel erblickte, bot sich ihr ein ganz neuer Anblick dar. Nicht das kranke Kind konnte sie sehen, aber eine Menge anderer Kinder, die da herumstanden und sich drängten und pufften; Frauen, die sich ganz aufgeregt gebärdeten, einige Männer, die verwundert dastanden; – was konnte das bedeuten zu einer Zeit, da sonst all' diese Leute bei ihrer Arbeit waren? Sollte der kranken Juliette etwas zugestoßen sein? Hedwig eilte hinzu. Da saß das Kind in seinem Sessel, mitten in all' den lärmenden Kindern und Frauen, umstellt, bedeckt, eigentlich überflutet von einer Fülle von durcheinander geworfenen Gegenständen, so daß Hedwig wie verwirrt stehen blieb; sie wußte absolut nicht, was sie vor sich sah. Die Augen des Kindes leuchteten wie Flammen, das sonst so bleiche Gesichtchen war hochrot, und in fieberhafter Erregung langten die schmalen Hände von einem Gegenstand zum anderen. Als das Kind Hedwig erblickte, rief es, leidenschaftlich mit beiden Armen sie herbeiwinkend: »Kommen Sie! Kommen Sie schnell! Es ist eingetroffen! Es ist alles begegnet!« Hedwig konnte endlich durch den Kinderknäuel vordringend zu dem Sessel gelangen und sah nun die Dinge im einzelnen. So etwas war ihr aber noch nicht vorgekommen: auf-, in- und übereinander lagen Tücher, Bänder, Kleidungsstücke, Schachteln, Bücher, Bilderbogen, Spielzeug, Kuchen und Zuckerwerk. In den Händen der Frauen, der Kinder, noch in Paketen auf dem Boden liegend – überall lag es wie gesät in allen Farben und Formen. Das Kind war vollkommen außer sich. Es klatschte die mageren Händchen zusammen, es schenkte auf alle Seiten; die großen, feurigen Augen schienen sein ganzes, volles Glück einsaugen zu wollen. Die Frauen und Kinder machten ihrer Verwunderung durch solchen Lärm Luft, daß kein Wort zu verstehen war. Hedwig trat nun ganz nahe heran und, die zitternde Hand des Kindes erfassend, sagte sie:

      »Nun, Juliette, willst du mir denn nicht ruhig erzählen, was da geschehen ist? Sieh, ich begreife nichts von allem!«

      »Ja, ich glaub's wohl, daß Sie's nicht begreifen«, rief das Kind, außer Atem vor Aufregung; »niemand begreift's, aber es ist alles gekommen, wie ich's erwartete. Am Morgen früh setzte mich die Mutter schon hinaus, denn sie sollten alle früh aufs Feld und erst spät heimkommen; und sie ging noch einmal ins Haus. Und ich schaute nach den Felsen, wo die Sonne fortgeht, und dachte: Wie lange wird's währen, bis sie wieder dort ist! Aber an einem so langen Tag kann man auch etwas erwarten. Und so war ich wieder froh. Und auf einmal kam ein Mann von dort herauf mit großen, weißen Knöpfen auf dem Rock und einer blauen Kappe, und er zog einen Karren, und große, hohe Bündel waren darauf. Und er kam hier heran und fragte: ›Wo ist das lahme Kind?‹ Ich sagte: ›Hier sitze ich‹. Da sagte er: ›Das ist alles für dich!‹ und legte alle Pakete hier zu mir her, eins nach dem anderen. Und ich bekam so starkes Herzklopfen und fragte: ›Wer schickt mir's?‹ Er sagte: ›Das weiß kein Mensch und wird nie ein Mensch wissen.‹ Und er fuhr weg. Nun hatte ich es immer erwartet, es müsse einmal so kommen; aber wie es nun wirklich gekommen war, o da war's noch ganz anders! Und ich zitterte so, daß ich kein Paket aufmachen, nicht einmal der Mutter rufen konnte, so war es mir vor den Atem gekommen; aber sie kam bald, und hier! hier! das war alles in den großen Bündeln.«

      Hedwig mußte nun alles besehen, Stück für Stück, immer entdeckte das glückselige Kind wieder etwas Neues. Einen solchen Festtag hatte es in seinem Leben noch nicht gehabt. Es ließ Hedwigs Hand nicht los, sie mußte dableiben, sie mußte all das wundervolle Spielzeug erklären, die Bilderbücher durchsehen; sie mußte sich mitfreuen, daß die Mutter ein schönes Tuch bekomme und Mariette eines und dann erst noch eins bleibe. Auch alle die Schachteln und Büchschen mußte Hedwig aufmachen – es nahm kein Ende.

       Aber auf einmal legte sich das Kind in seinen Sessel zurück; es war plötzlich stille geworden, die Freude hatte seine Kräfte erschöpft. Hedwig brach zum Fortgehen auf, mußte aber versprechen, morgen wiederzukommen und nachher noch jeden Tag, da wäre ja immer noch was Neues wieder zusammen anzusehen, meinte das Kind. »Jetzt ist die Freude für immer«, sagte es dann, nachdenklich seine großen Augen auf Hedwig richtend. »Jetzt kommt jeden Tag die Freude an dem allen und zuletzt am Ende noch die große Freude vom Käthchen im Himmel.« Das Kind war wieder bleich geworden, aber seine Augen leuchteten fort in heller Freude.

      Hedwig konnte nicht mehr an ihren Gang nach der Waldhöhe denken, sie kehrte zurück, den Weg entlang, wo sie heute früh den Baron gesehen hatte mit seinem hochbeladenen Handkarren. Sie wußte nun, wohin er diesen gesandt hatte und womit er beladen war. Ihm hatte sie von dem Kinde erzählt und von seinem täglichen, wie sie meinte, vergeblichen Erwarten. In welcher Weise hatte er daran gedacht! Ein wenig fühlte sie sich beschämt von ihm. Freilich, es ihm gleichtun konnte nicht jeder. Aber auch wenige, die es konnten, hätten es ihm gleichgetan. In dieses freudenlose Kinderleben einen solchen Sonnenschein zu werfen, dazu brauchte es vor allem ein warmes, teilnehmendes Herz, nicht nur das nötige Metall.

      Dort stand der Baron im Garten. Er wollte wohl nicht, daß man ihn errate, er war ja so verlegen geworden bei ihrem Gruß am Morgen; aber Hedwig konnte nicht anders; sie lief zu ihm hin und streckte ihm bewegt ihre Hand entgegen.

      »O hätten Sie das Fest mit ansehen können! Sie haben das freudenarme Kinderherz in Glückseligkeit getaucht. Das will ich Ihnen mein Leben lang nicht vergessen!«

      Der Baron war ein wenig rot geworden, wohl vor Überraschung, daß er so schnell erkannt worden war; aber in seinen ehrlichen Augen lag ein Ausdruck großer Vergnüglichkeit. –

      Im späteren Nachmittag, als die Sonne schon dem Berggipfel nahte, hinter den sie so früh sich niedersenkte, trat Hedwig aus dem Hause. Sie sah das Fräulein die Treppe des Nebenhauses herunterkommen, bereit zum verabredeten Gange nach dem Rebenhügel.

      »Wohnen Sie hier im Nebenhaus?« fragte Hedwig verwundert.

      »Jawohl«, war die Antwort, »und mein Fenster sieht zu Ihnen hinüber; ich bemerkte: es heute früh, als Sie hinausschauten.«

      »Und ich habe gestern Abend Ihr Licht gesehen, ohne zu wissen, daß es das Ihrige war«, erwiderte Hedwig. »Wie spät erst haben Sie es ausgelöscht!«

      »Ich kann nicht früher einschlafen, meistens auch dann noch nicht, wie spät ich das Licht auch auslösche«, bemerkte das Fräulein.

      »So

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