Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Gesammelte Werke von Johanna Spyri - Johanna Spyri

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      Die Antwort war so kurz gegeben, daß Hedwig nicht weiter fragen mochte, wie groß auch ihre Teilnahme war. Sie waren nun am Hügel angekommen und stiegen schweigend den sonnenbeschienenen Weg hinan. Jetzt zeigte sich die Bank auf der Anhöhe. »Dort ist Ihre Bank«, sagte das Fräulein, »die meinige ist weiter weg und schaut nicht auf diesen bewohnten, lebendig bewegten Talgrund hinab. Die Aussicht ist sehr still dort oben und niemand kommt dahin.«

      »Wir wollen doch zu Ihrer Bank hinaufgehen, wenn es Ihnen lieber ist.«

      Die Wandernden setzten ihren Weg fort, erst eine Strecke weit über trockenes Weideland hin, dann in den Wald hinein, wo die noch blätterreichen Kastanienbäume dunkle Schatten über den moosbedeckten Boden breiteten. Dann führte der schmale Pfad wieder aus dem Walde hinaus, dem steilen Abhang zu, der auf das steinige Flußbett der wilden Gyronne niederschaut. Hier stand die Bank, im Angesicht der dunkel emporragenden Felsen der Dent du Midi, die rauh und zerklüftet nach dieser Seite hin wie drohende Gewalten sich erheben. Vom Abhang bis ins Tal hinunter schloß auf der einen Seite der dichte Wald die Landschaft ab, und sein tief tönendes Rauschen war der einzige Laut, der zu der einsam-stillen Höhe empordrang.

      Die Frauen setzten sich auf die Bank nieder und blickten eine Weile schweigend auf die düsteren Felsenhöhen vor sich.

      Hedwig war noch ganz erfüllt von dem Eindruck des heutigen Morgens. Sie erzählte dem Fräulein die Geschichte des lahmen Kindes und was sie heute mit ihm erlebt hatte. Das Fräulein hörte mit großer Teilnahme zu, und wie Hedwig zu der erfüllten Erwartung und dem überflutenden Glück des Kindes kam, da fuhr ein Freudenstrahl durch die traurigen Augen, der Hedwig einen Augenblick ganz von ihrer Erzählung abzog. Wie wunderbar konnten diese traurigen Augen aufleuchten! Die ganze Persönlichkeit war verwandelt dadurch.

      »Könnte ich doch dem jungen Mann die Hand drücken, ich möchte ihm danken für seine Tat«, sagte das Fräulein mit Wärme; doch schon lag der alte Schatten wieder auf dem schönen Angesicht.

      Hedwig bemerkte, es sei wohl besser, wenn weiter nicht von der Sache gesprochen werde und der Baron nicht höre, daß sie davon erzählt habe; er hatte so deutlich gezeigt, daß er unentdeckt bleiben wollte. Aber den Baron dem Fräulein vorstellen, wollte Hedwig sehr gerne, es würde ihm auch große Freude machen, das wisse sie. Gar zu jung sei er übrigens nicht mehr, setzte Hedwig hinzu, die bemerkt hatte, daß das Fräulein ihn fortwährend als jungen Menschen bezeichnete.

      »Er macht mir einen sehr jugendlichen Eindruck«, erwiderte das Fräulein, »das mag ich gerade so gerne an ihm. Wenn ich ihn so herauslachen höre, oder wenn er so freudeverheißend herumrennt, als wäre das ganze Leben ein endloser Festtag, da schaue ich ihm so gerne zu und denke dabei: Könnte ich doch nur ein einzig Mal mit einem solchen leichten Kinderherzen um mich schauen!«

      »Sollte das Leben schon so schwer auf Ihnen liegen?« fragte Hedwig. »Es tut mir weh, Sie so traurig und gedrückt zu sehen und Ihnen nicht zeigen zu können, wie sehr es mir zu Herzen geht, wie gerne ich etwas für Sie tun möchte.«

      »Eine warme Teilnahme fühlt man sich bald ab, wie die Sympathie des Herzens. Aber« – das Fräulein zögerte – »beide sind so leicht zu verscheuchen.«

      »Doch nicht, indem wir andere wissen lassen, daß wir Leid tragen«, wandte Hedwig ein.

      »Krankheiten, die nicht zu heilen sind, müssen die Menschen abschrecken; Sie kennen wohl keine solchen«, gab das Fräulein zurück und blickte bei diesen Worten fast scheu auf ihre Begleiterin.

      Hedwig entgegnete, sie glaube, alle wahre Teilnahme am Leiden hänge mit dem Einblick in dasselbe nah zusammen. Wer einmal selbst in tiefem Leid gelegen, der könne nie mehr solchem begegnen, ohne es mitzufühlen und das Verlangen zu haben auch mitzutragen, wo dies Erleichterung bringen könnte.

      »Es gibt Leiden, die kein Recht haben auf solche Teilnahme« – das Fräulein hielt einen Augenblick zögernd inne –; »wie können sie nur ausgesprochen werden vor guten Menschen, die keine Schuld kennen?«

      »Wo sind diese?« fragte Hedwig.

      Das Fräulein schaute sie erstaunt an. Sie schwiegen beide.

       Die Walliser Höhen standen dunkelragend auf dem klaren Abendhimmel; drüben an den grauen Felsen der Dent du Midi verglomm der letzte Strahl der Sonne; nun war sie fort. In den Bäumen im nahen Walde hatte sich der Abendwind gelegt, es wurde völlig still rings um sie her. Ob das kranke Wesen neben ihr nicht wohltuend von der Abendfülle angeweht wurde? dachte Hedwig, ihre Nachbarin anblickend. Diese schaute nicht auf; unverwandt waren ihre Blicke auf den Boden geheftet, sie bemerkte nicht, was um sie, nur was in ihr war. Auf einmal fuhr sie aus ihren Gedanken empor:

      »Wenn ich doch das Kind sehen könnte in seiner Freude! Können wir nicht gleich noch hingehen?« fragte sie bittend. »O könnte ich dem Kinde meine Lebenskraft geben und es gäbe mir sein fröhliches Herz dafür!«

      »So lassen Sie uns schnell gehen«, sagte Hedwig aufstehend; »sonst finden wir das Kind nicht mehr unter dem Baume sitzend. Aber lassen Sie ihm sein fröhliches Herz, der liebe Gott hat wohl auch noch eines für Sie, wenn Sie es von ihm begehren.«

      »Wie dürft' ich!« war die kurze, wie abschließende Antwort.

      Beide wanderten schweigend nebeneinander den Berg hinunter, an den Häusern des Fleckens vorbei nach dem Weg unter den Nußbäumen hin. Hier, im langsamen Aufwärtsgehen, bat Hedwig das Fräulein, ihr doch einmal ihren Familiennamen auszusprechen, sie kenne ihn immer noch nicht genau.

      »Er ist auch so weitläufig«, gab das Fräulein zur Antwort; »ich heiße Alice und mag es sehr gern, wenn Sie mich so nennen wollen.«

      Hedwig und Alice waren bei dem Kirschbaum angekommen; aber da war niemand mehr zu sehen; das Kind mit all seinen Herrlichkeiten war verschwunden. Sonst war es um diese Zeit noch da zu finden, wenn die Luft mild war, wie heute. Jetzt trat die Mutter aus dem Hause; sie hatte die Damen gesehen und kam, sie zu benachrichtigen. Das Kind hatte sich so müde gefreut, daß es plötzlich, noch ganz früh, in seinen Sessel zurückgefallen und in tiefen Schlaf gesunken war. Es mußte mit all seinen Schätzen ins Haus getragen werden, wo es nun fortschlief.

      »Wie glücklich wird das Kind beim Erwachen sein!« sagte Fräulein Alice.

      »Jawohl«, meinte die Frau. So etwas sei auch noch gar nie erlebt worden. Sie kenne ja keinen Menschen, der das hätte tun können; nur an eine Dame habe sie gedacht, weil diese so oft das Kind besuche. Damit schaute die Frau fragend auf Hedwig hin. Diese erklärte aber entschieden, da sei die Frau im Irrtum, die Überraschung sei ihr wohl von jemand gemacht worden, der Teilnahme für die kranke Juliette habe, wenn sie den Wohltäter auch nicht kenne.

      »Dann weiß ich nicht, wie so etwas sein kann«, sagte die Frau, sichtlich aufs neue verwundert. »So hat es unser Herrgott im Himmel selbst einem ins Herz gegeben, daß er eine solche Tat tue.« Nicht nur all das schöne Zeug, das dem Kinde vor Freude darüber fast den Kopf verdrehe, meinte sie, auch so manches gute Stück zum Warmhalten, nun es bald nötig werde, habe der Wohltäter ausgesucht, und ein paar Sachen, die sie schon so lange für die Kinder nötig gehabt hätte und zu denen sie nicht gelangen konnte, das sei ihm auch sicher extra ins Herz gegeben worden, denn der liebe Gott wisse wohl, wie schwer es ihr oft werde mit all den Kindern und Sorgen und zu aller Not noch immer die Mühe und den Kummer um das kranke, bei dem gar kein Gesundwerden abzusehen sei. Die Frau seufzte schwer auf und wischte sich die Augen.

      »Ach Frau«, sagte Fräulein Alice, »Ihr habt es noch gut, Ihr könnt Euch trösten im Gedanken, daß Ihr unverschuldetes Elend leidet; das drückt nicht wie eigene Schuld, und man hat

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