Der Sufi-Weg. Osho
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Trotzdem sagst du: „Dieses Gesicht ist schön.“ Aber woher willst du das wirklich wissen? Du gehst von deinen vergangenen Erfahrungen aus, indem du dieses Gesicht mit deiner unklaren Vorstellung von Schönheit vergleichst. Aber diese Vorstellung ist nichts als ein Sammelsurium der Vergangenheit. Wenn du die Vergangenheit einmal völlig beiseite lässt, eröffnet sich dir eine ganz andere Art von Schönheit. Eine Schönheit, die nichts mit deinem Vorurteil zu tun hat, die kein Verstandesprodukt, die nicht aufgesetzt ist, die nichts mehr mit Interpretation zu tun hat. Du tauchst einfach in dieses Gesicht ein: hier und jetzt nimmst du zutiefst an diesem Geheimnis teil, an diesem Menschen hier und jetzt. In einem solchen Moment ist dieser Mensch weder schön noch hässlich; alle Werturteile sind verflogen. Ein unbekanntes Mysterium hat sich offenbart, ohne Namen, ohne Urteil. Und nur in Augenblicken solcher Urteilslosigkeit blüht die Liebe auf.
Liebe und Verstand sind unvereinbar. Nur der Sex ist mit dem Verstand vereinbar. Denn der Verstand will Aktion, und Sexualität ist ein Akt. Liebe ist kein Akt; sie ist ein Seinszustand – Liebe existiert auf der Senkrechten.
Wenn du einen Menschen ansehen und mit ihm eins werden kannst, ohne zu urteilen, dass er weder schön noch hässlich ist, weder gut noch böse, weder sündig noch heilig – wenn du ihn nicht beurteilst, sondern einfach nur in die Augen dieses Menschen schaust, ohne ein einziges Urteil zwischen euch treten zu lassen, dann findet plötzlich eine Vereinigung statt, eine Verschmelzung der Energien. Und dieses Einswerden ist schön. Und diese Schönheit unterscheidet sich völlig von jeder anderen Schönheit, die du je kennen gelernt hast.
Ihr kennt nur die Schönheit der Form – das hier ist die Schönheit des Formlosen. Alle Schönheit, die ihr kennt, ist Schönheit des Körperlichen – das hier ist die Schönheit der Seele. Ihr kennt nur die Schönheit der Außenseite – dies ist die Schönheit des Innern. Diese Schönheit ist ewig. Und wenn du sie erst einmal mit einem Menschen erlebt hast, wird sie nach und nach auch mit Dingen möglich. Du schaust ohne jedes Urteil auf eine Blume, und plötzlich liegt das Herz der Blume offen vor dir – wie eine Einladung. Wenn du dich nicht mit Werturteilen dazwischendrängst, wird alles um dich her zur Einladung.
Wenn du urteilst, verschließt sich auch die Blume, denn das bloße Urteilen ist feindselig. Wer urteilt, ist ein Kritiker, kein Liebender. Werturteile kommen aus der Logik, nicht aus der Liebe. Jedes Urteilen bleibt an der Oberfläche und scheut die Tiefe. Die Blume verschließt sich einfach. Und wenn ich sage, sie verschließt sich einfach, dann ist das keine Metapher – es verhält sich genau so, wie ich es sage.
Du gehst zu einem Baum und berührst ihn: wenn du dabei urteilst, öffnet sich dir der Baum nicht. Wenn du ihn aber ohne zu urteilen berührst, einfach nur aus dem Gefühl und nicht aus dem Verstand heraus, wenn du ihn umarmst und dich neben ihn setzt wie zu einem Freund, dann wird aus dem gewöhnlichsten Baum plötzlich der Bodhi-Baum, der Baum, unter dem Buddha erleuchtet wurde. Eine unendliche Liebe strömt dir aus ihm entgegen. Er hüllt dich darin ein. Er wird dir viele Geheimnisse verraten. Selbst einem Felsen kannst du so bis ins Herz vordringen. Wenn ein Buddha einen Fels berührt, ist er kein Fels mehr – jetzt wird er lebendig, jetzt schlägt ein Herz in ihm. Wenn du dagegen einen Menschen berührst, ist er ein Felsblock, kalt und tot. Deine Berührung tötet alles, denn sie ist von Urteilen vergiftet, sie ist ein Feind, kein Freund.
Wenn das schon bei gewöhnlichen Dingen so ist, wie ist es dann erst auf höheren Ebenen des Seins und des Bewusstseins? Urteile nicht! Millionen haben Buddha verfehlt, Millionen haben Jesus verfehlt, Millionen haben Zarathustra verfehlt, nur weil sie geurteilt haben. Geht nicht in dieselbe dumme Falle. Wann immer du einem Menschen nahe sein kannst, dessen Bewusstsein auch nur ein wenig höher ist als deines, dann sei offen. Dann kann dir sehr geholfen werden. Wenn du schon mit fix und fertigen Urteilen ankommst, hast du von vornherein verloren. Wirf deinen Verstand über Bord.
Und jetzt zu dieser Geschichte.
Dhun-Nun war ein ägyptischer Sufi-Mystiker, einer der größten, die die Welt je gesehen hat. Er konnte tief blicken, tief in die Labyrinthe der menschlichen Dummheit hinein, aber er konnte auch aus ihnen heraushelfen. Nur – und das ist typisch für alle Sufis – er stellt lieber eine Situation her, denn er weiß sehr wohl, wie leicht man intellektuell alles verstehen kann, ohne dass es im geringsten weiterhilft. Intellektuell magst du leicht zu überzeugen sein, aber diese Überzeugung wird dich nicht umwandeln. Stattdessen stellen die Sufis also eine Situation her, und durch diese Situation machen sie dir etwas klar. Sie sagen nichts – sie zeigen nur.
Dhun-Nun war es einst ebenso ergangen. Es wird erzählt, dass Dhun-Nun zu der Zeit, als er noch kein Meister und selbst ein Suchender war, einmal in ein Dorf kam. Er hatte eine lange Reise durch die Wüste hinter sich – er war hungrig und müde, durstig und ohne Bleibe – und sah auf dem Dach eines Hauses eine Frau. Sie musste dort oben gearbeitet haben; es muss kurz vor der Regenzeit gewesen sein, und so hatte sie auf dem Dach zu tun. Er kam näher. Als er das Haus erreicht hatte, fing die Frau auf dem Dach zu lachen an.
Dhun-Nun verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. „Was ist?“, fragte er, „warum lachst du? Warum begrüßt du mich mit einem so wahnsinnigen Gelächter?“
Die Frau antwortete: „Als ich dich ins Dorf kommen sah, da dachte ich, ‚da kommt ein Sufi‘, denn ich konnte nur dein Gewand erkennen, nicht dich. Dann, als du näher kamst, sah ich, dass du keiner bist, jedenfalls kein Meister, sondern nur ein Jünger. Aber das war auch nur der erste Eindruck! Ich hatte nur dein Gesicht gesehen, aber noch nicht deine Augen. Und als ich dir schließlich in die Augen sehen konnte, erkannte ich, dass du nicht einmal ein Jünger bist, dass du noch nicht einmal auf dem Weg bist. Und jetzt, wie du da stehst, sehe ich, dass du noch nicht einmal nach dem Weg suchst – du hast noch nicht einmal davon gehört! Und da musste ich lachen. Du siehst wie ein Mystiker aus, aber dein Gesicht passt nicht zu deinem Gewand, zu deiner Sufi-Kutte.“
Das Wort Sufi bedeutet ursprünglich ein bestimmtes Gewand. Sufi bedeutet Wolle, und ein Sufi ist einer, der das „wollene Hemd“ anzieht, die wollene Kutte. In der Wüste zu leben, ist schon hart genug, aber die Sufis tragen dazu noch wollene Kleidung! Und sie haben immer in Wüsten gelebt, in den heißesten Gegenden der Erde. Warum? Weil sie sagen, dass dir keine Hitze etwas ausmacht, wenn du innen kühl bist. Wenn du innen kühl bist, kann dir nichts etwas anhaben. An der Außenseite Hitze; im innersten Kern Kühle.
Es ist also eine Methode, ein Mittel, um dich von der Außenzone nach innen zu bringen. Wenn der Körper heiß ist, brennend heiß, besinnst du dich auf deine innere Mitte. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, denn die Oberfläche des Körpers brennt wie Feuer. Was tut man, wenn man in der Mittagsglut eine Landstrasse entlang geht? Man sucht Schatten, einen Baum, unter den man sich hinsetzen kann um auszuruhen. Sufis haben die Hitze als Hilfsmittel genutzt. Was soll man machen, wenn man ständig schweißgebadet unter einer dicken Wollkutte herumlaufen muss? Was macht man in einer Wüste? Man muss sich auf einen inneren Punkt besinnen, wohin die Hitze niemals vordringen kann. Man sucht Schatten.
Die Frau sagte: „Von außen siehst du wie ein Sufi, wie ein Meister aus, aber als ich dein Gesicht sah, passte es nicht zu deinem Gewand. Dein Gesicht sagt etwas ganz anderes. Und deine Augen sagen noch etwas anderes als das Gesicht; sie stimmen noch nicht einmal mit dem Gesicht überein. Und als ich dich dann in deiner Ganzheit sah, erkannte ich, dass du überhaupt kein Suchender bist.“
Es heißt, dass Dhun-Nun sein Gewand fortwarf und in die Wüste zurückging. Jahrelang hörte man nichts mehr von ihm und keiner wusste, was ihm zugestoßen war. Zwanzig Jahre lang wusste niemand, wo er war und was er machte. Zwanzig Jahre später… eine plötzliche Explosion. Dhun-Nun explodierte über ganz Ägypten. Tausende von Suchenden aus allen Sufi-Ländern machten sich auf die Reise zu ihm. Noch zu Lebzeiten wurde Dhun-Nun zu einem zweiten Mekka; die Leute kamen zu ihm geströmt, statt nach Mekka zu pilgern. Oft wurde er gefragt: