Der Sufi-Weg. Osho
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Der freigebige Mann benutzte die Situation – der Advokat hatte ihn keineswegs getäuscht –, um ihm eine gezielte Lektion zu erteilen:
„Du kannst von mir nichts bekommen, ehe du nicht stirbst.“
Dein Tod ist nicht echt, das sehe ich, und so hast du auch kein wirkliches Gold erhalten. Nur ein Stück weltliches Gold – wertlos. Dein Tod ist unecht. Aber behalte diese Lehre in deinem Herzen: „Du kannst von mir nichts bekommen, ehe du nicht stirbst.“ Das ist die ganze Botschaft der Sufis: „Stirb und werde!“ Stirb, wie du jetzt bist, damit du das werden kannst, was du wirklich bist. Stirb dem Ego, damit das Göttliche in dir geboren werden kann. Stirb der Vergangenheit, damit du dich der Zukunft öffnest. Stirb dem Bekannten, damit das Unbekannte in dich eindringen kann.
Stirb dem Verstand, damit dein Herz wieder zu schlagen beginnt, damit du dein eigenes Herz wieder finden kannst, das dir ganz verloren ging. Ihr wisst nicht, was das ist – das Herz! Das, was da in euch schlägt, das ihr hören könnt, ist nicht das wahre Herz. Es ist nur der körperliche Teil eures Herzens. Der seelische Teil versteckt sich hinter dem körperlichen. Diese Herzschläge gehören zum Körper, aber verborgen in diesen Schlägen, oder zwischen ihnen, in den Intervallen, schlägt der Puls des wirklichen Herzens, des Herzens der Seele. Das körperliche Herz ist nur seine materielle Seite. Mit der göttlichen Seite eures Herzens habt ihr allen Kontakt verloren. Ihr lebt ein liebloses, ein herzloses Leben. Ihr seid hart wie Stein. Selbst Stein ist nicht so hart. Steine können gesprengt werden – und das sage ich aus langer und tiefer Erfahrung.
Wenn ich versuche, euren Fels zu sprengen, zeigt es sich, dass sich euer Fels in jeder Beziehung zu schützen versucht. Ihr versucht, eure Krankheiten, eure Leiden zu schützen. Ihr versucht, eure Neurosen, euren Wahnsinn zu schützen – denn das ist das einzige, womit ihr euch identifizieren könnt. Ihr glaubt, ihr seid das alles. Ihr seid es nicht. Ehe du nicht stirbst, wirst du niemals wissen, wer du bist. In deiner jetzigen Verfassung kannst du zwar eine Yoga-Position einnehmen und die Mantras von Maharshi Ramana wiederholen: „Wer bin ich? Wer bin ich? Wer bin ich?“ – aber wissen wirst du es nicht. Das Mantra wird dir nur im Hirn kreisen. Ramana kam durch dieses Mantra zur Erleuchtung – aber er ging damit durch den Tod.
Es geschah, als er siebzehn Jahre alt war. Seit seiner frühen Kindheit hatte er ununterbrochen meditiert; den Antrieb dazu musste er aus früheren Leben mitgebracht haben. Er war nicht wie andere Kinder, er war von Anfang an nicht an der Welt interessiert. Bei jeder Gelegenheit bereitete er sich vor und ging mit geschlossenen Augen in Zustände des Schweigens, immer tieferen Schweigens. Plötzlich – er war siebzehn – plötzlich spürte er, dass er sterben würde. Und wenn man in tiefer Meditation das Gefühl bekommt, sterben zu müssen, dann ist das nicht nur einfach ein Gefühl oder ein flüchtiger Gedanke – es packt dich total, weil zwischen dir und dem Tod kein Gedanke mehr da ist, der als Waffe dienen kann. Du kannst dich nicht wehren. Wenn dein Geist völlig still geworden ist, gibt es keine Frage mehr, dass du jetzt sterben wirst.
Dieser Augenblick erwartet jeden Meditierenden – und gesegnet sind die, zu denen er kommt. Plötzlich hatte er das Gefühl zu sterben – und in dem Augenblick ist nichts mehr zu machen. Der Tod ist dir absolut sicher. Was will man da noch tun? Er saß unter einem Baum und legte sich hin – zum Sterben bereit, völlig ergeben. Er entspannte seinen Körper. Keine Spur von Todeskampf! Und dann merkte er, wie nach und nach sein Körper kalt wurde. Bald war er eine Leiche, steif und leblos. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nicht einmal den kleinen Finger rühren können. Aller Kontakt zum Körper war abgebrochen. Und dann sah er, wie sich sein Geist auflöste – wie Wasser, das verdampft. Und der Geist verschwand; aller Kontakt mit dem Geist war abgebrochen. Dann wartete er und wartete und wartete – wann würde der endgültige Tod eintreten? Aber der Tod kam nie. Er hatte die Dimension des Todlosen erreicht. Er war jetzt ein vollkommen neuer Mensch. Der alte Mensch war tot. Den Sohn eines bestimmten Vaters und einer bestimmten Mutter gab es nicht mehr. Er war nicht mehr Raman. Raman war plötzlich verschwunden. Ein Bhagwan war geboren: er war göttlich geworden.
Wenn du bis zur untersten Schicht deines Wesens vordringst, zum Todlosen, wirst du Gott. ‚Gott‘ bedeutet nichts anderes als das, Gott bedeutet das Unsterbliche, das Todlose.
„Du irrst“, erwiderte der Spender
„du kannst nichts von mir bekommen, ehe du nicht stirbst…“
Und von mir kannst du auch nichts bekommen, ehe du nicht stirbst. Und von Gott kannst du auch nichts bekommen, ehe du nicht stirbst. Ja, solange du nicht stirbst, ist dein Leben tot, bist du lebendig begraben. Bis dahin ist dein Leben nichts als ein langsamer Selbstmord, der sich über siebzig, achtzig Jahre erstreckt; ein schleichender Selbstmord, ein schleichender Tod. Vom Augenblick deiner Geburt an beginnst du zu sterben und zu sterben und zu sterben.
Ehe du nicht stirbst, ist dein Leben ein langsames Sterben, aber wenn du den Mut hast, den Sprung in den Tod zu wagen, dann geht dir plötzlich zum ersten Mal das wahre Leben auf. Zum ersten Mal tanzt dann das Todlose in dir. Zum ersten Mal regt sich in dir das, was Jesus „Ewiges Leben“ nannte – du fließt über davon! Jetzt bist du kein kleines Rinnsal mehr in der Wüste, das irgendwie überlebt, weit und breit von steinigem Geröll umgeben.
Du wirst wie der Ganges zur Regenzeit: Du trittst über deine Ufer, du brichst alle Dämme, überflutest alle Grenzen… du wirst unerschöpfliches Leben. Aber das wird nie geschehen, ehe du nicht stirbst.
Da liegt also das Paradox: Jesus sagt, dass dir das Leben entgeht, wenn du dich daran klammerst. Wenn du dein Leben retten willst, wird es dir entgleiten. Die einzige Möglichkeit, es zu besitzen, ist, es zu verlieren. Und das ist es, was ich Sannyas nenne. Es ist eine innere Verwandlung. Es ist die Bereitschaft zu sterben, die Bereitschaft, dem Ego zu sterben. Die eine Tür schließt sich – die Tür des Ego; eine andere öffnet sich – die Tür zur Unsterblichkeit.
Das ist die Bedeutung des geheimnisvollen Spruches:
„Der Mensch muss sterben, bevor er stirbt.“
Ihr seid zwar schon viele Male gestorben, aber von dieser Art des Todes ist hier nicht die Rede. Diese Art kennt ihr, ohne dass euch das einen Schritt weitergebracht hätte. Ihr überlebt ihn.
Was ihr braucht, ist ein größerer Tod als das. Es gibt einen Tod, der natürlich eintritt; denn alles, was geboren wurde, muss sterben; alles, was zusammengesetzt ist, muss wieder auseinander fallen. Also muss euer Körper sterben, das ist natürlich. Das ist Millionen Menschen geschehen, und es wird immer so weiter gehen, es sei denn, ihr werdet wach und bewusst.
Es gibt aber noch einen anderen Tod.
Dieser Tod ist eine völlig neue Dimension. Es ist ein freiwilliger Tod, kein natürlicher. Der Körper stirbt nicht dabei, aber du springst hinein – und dabei stirbt dieses Du. Du wartest nicht erst den natürlichen Tod ab. Das ist Sannyas. Es bedeutet, freiwillig in den Tod aller Tode zu springen. Durch diesen Tod erreichst du das Todlose. Das ist die Bedeutung des geheimnisvollen Spruches: „Der Mensch muss sterben, bevor er stirbt.“
Die Gabe erfolgt erst nach diesem ‚Tod‘, nicht vorher.
Und trotzdem kann ohne Hilfe dieser ‚Tod‘ nicht geschehen.
Deshalb bin ich hier. Allein auf euch gestellt, seid ihr nicht einmal zum Sterben fähig. Nicht einmal so etwas Einfaches bringt ihr selber fertig. Es ist so einfach! – aber es ist zu schwer für euch, es allein zu tun. Ihr braucht die Hilfe von einem, der schon vor euch gestorben ist. Er kann euch anschubsen und mitziehen; er kann eine Situation herstellen, in der ihr, ohne es zu wissen, in die Falle geht. Ein Meister wirft sein Netz aus und fängt