Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang. Оноре де Бальзак
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Читать онлайн книгу Cäsar Birotteaus Größe und Niedergang - Оноре де Бальзак страница 14
»Der wird mal ein richtiger Kaufmann, der kommt in die Höhe«, hatte Cäsar von ihm zu Frau Ragon gesagt, als er Anselms Tüchtigkeit im Fabrikgeschäft und sein Verständnis für die Finessen der Kunst rühmte und seinen Arbeitseifer beim Expedieren erwähnte, wo der Hinkende mit aufgekrempelten Ärmeln und bloßen Armen mehr Kisten packte und zunagelte als die übrigen Kommis.
Die bekannte und kundgegebene Bewerbung Alexander Crottats, des ersten Notariatsschreibers bei Roguin, das Vermögen seines Vaters, eines reichen Pächters aus der Brie, legten dem Siege des Verwaisten starke Hindernisse in den Weg; aber das waren nicht die stärksten Schwierigkeiten, die zu überwinden waren; Popinot trug tief im Herzen noch ein trauriges Geheimnis begraben, das die Entfernung zwischen Cäsarine und ihm noch vergrößerte. das Vermögen der Ragons, auf das er hätte rechnen können, war stark erschüttert; er war glücklich, zu ihrem Lebensunterhalt mit beitragen zu können, indem er ihnen sein bescheidenes Gehalt überließ. Und trotz alledem glaubte er an seinen Erfolg! Mehrmals hatte er Blicke aufgefangen, die Cäsarine mit offenbarem Stolz auf ihn geworfen hatte: in der Tiefe ihrer blauen Augen hatte er eine heimliche Regung voll süßer Hoffnungen lesen zu können gemeint. So schritt er dahin, erregt von seiner augenblicklichen Hoffnung, zitternd, schweigsam und tief bewegt, gleich all den Jünglingen in ähnlicher Lage, für die das Leben noch im Aufblühen ist.
»Popinot,« sagte endlich der Kaufmann zu ihm, »geht es deiner Tante gut?«
»Jawohl, Herr Birotteau.«
»Sie erscheint mir aber seit einiger Zeit so sorgenvoll, gibt es etwas, das sie bedrückt? Höre, mein Sohn, du brauchst vor mir nicht den Geheimnisvollen zu spielen, ich gehöre doch gewissermaßen zur Familie, es sind jetzt fünfundzwanzig Jahre, dass ich deinen Onkel Ragon kenne. Ich bin zu ihm mit eisenbeschlagenen Schuhen von meinem Dorfe hergekommen. Obgleich dieser Ort Les Trésorierès heißt, bestand mein ganzes Vermögen aus einem Louisdor, den mir meine Patin geschenkt hatte, die selige Frau Marquise d' Uxelles, eine Verwandte des Herrn Herzogs und der Frau Herzogin von Lenoncourt, die unsre Kunden sind. Dafür habe ich auch jeden Sonntag für sie und ihre ganze Familie gebetet; wir schicken in die Touraine an ihre Nichte, die Frau von Mortsauf, alle ihre Parfümerien. Ich bekomme immer neue Kundschaft durch sie, zum Beispiel den Herrn von Vandenesse, der jährlich für zwölfhundert Franken kauft. Wenn man ihnen nicht schon von Herzen dankbar wäre, so müsste man es aus Berechnung sein. Dir aber bin ich ohne jeden Hintergedanken gut und um deiner selbst willen.«
»Ach, Herr Birotteau, Sie haben, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen so etwas zu sagen, einen höllischen Kopf.«
»Nein, mein Junge, nein, damit allein hätte ich es nicht geschafft. Ich will nicht behaupten, dass ich nicht einen ebenso guten Kopf hätte wie andere, aber ich besaß auch noch Ehrlichkeit, so wahr Gott lebt, ich verstand, mich zu benehmen, und ich habe nie eine andere Frau geliebt als meine. Und die Liebe, die ist ein großartiges Vehikel, ein sehr glücklicher Ausdruck, den gestern Herr von Villèle auf der Tribüne gebraucht hat.«
»Die Liebe!« sagte Popinot. »Ach, Herr Birotteau, sollte ich ...«
»Sieh mal, da kommt der alte Roguin zu Fuß dort hinten von der Place Louis XV., früh um acht Uhr. Was macht der Mann denn hier?« sagte Cäsar und vergaß Anselm Popinot und das Nussöl vollständig.
Er erinnerte sich an den Verdacht seiner Frau, und statt in den Garten der Tuilerien hineinzugehen, schritt Birotteau auf den Notar zu. Anselm folgte seinem Prinzipal in einiger Entfernung, ohne sich erklären zu können; welches Interesse dieser an einer anscheinend so unwichtigen Sache haben könnte; aber er war glücklich, weil er indem, was Cäsar über seine eisenbeschlagenen Schuhe, seinen Louisdor und die Liebe gesagt hatte, eine Ermutigung sah.
Roguin, ein großer dicker Mann mit finnigem Gesicht, sehr weit hinaufreichender Stirn und schwarzem Haar, hatte früher kein übles Äußeres; jung und hochstrebend, hatte er sich vom kleinen Schreiber bis zum Notar hinaufgearbeitet; aber jetzt zeigte sein Gesicht dem scharfen Beobachter deutlich die verzerrenden und erschlaffenden Spuren raffinierter Genüsse. Wenn ein Mann in den Schlamm geschlechtlicher Exzesse taucht, wird man fast immer etwas von diesem Schlamm an irgendeiner Stelle seines Antlitzes finden; so hatte auch bei Roguin die Zeichnung der Falten und die Gesichtsfärbung einen gemeinen Ausdruck bekommen. An Stelle des reinen Glanzes, der unter der Haut enthaltsamer Männer hervorleuchtet und eine blühende Gesundheit anzeigt, verriet sich bei diesem das unreine, von Gelüsten, gegen die der Körper sich wehrt, aufgepeitschte Blut. Er hatte eine widerwärtig aufgestülpte Nase, wie man sie bei Leuten findet, bei denen der Schleim, wenn er dieses Organ durchzieht, ein verstecktes Übel verursacht, das eine tugendhafte französische Königin naiv für ein dem andern Geschlecht gemeinsames Übel hielt, da sie andern Männern als dem Könige niemals nahe genug gekommen war, um ihren Irrtum zu erkennen. Roguin hatte gehofft, durch starkes Schnupfen von Spaniol diese Unannehmlichkeit verbergen zu können, aber er hatte damit die nachteiligen Folgen nur verschlimmert, die die Hauptursache seines Unglücks wurden.
Ist es nicht eine soziale Beschönigung, die schon allzu lange gedauert hat, wenn die Menschen immer wieder mit falschen Farben abgebildet und die wahren Ursachen ihrer Laster nicht enthüllt werden, die so häufig in einer Krankheit wurzeln? Die Sittenschilderer haben bis jetzt wohl allzusehr unterlassen, das physische Übel in seinen Verheerungen auf moralischem Gebiet und in seinem Einfluss auf den ganzen Mechanismus des Lebens darzustellen. Das Geheimnis dieser Ehe hatte Frau Konstanze richtig erkannt.
Seit ihrer Hochzeitsnacht hatte die reizende einzige Tochter des Bankiers Chevrel gegen den armen Notar eine unüberwindliche Abneigung gefasst und wollte sich sofort scheiden lassen. Da Roguin das Glück des Besitzes einer Frau mit einem Vermögen von fünfhunderttausend Franken, nicht gerechnet, was sie noch zu erwarten hatte, nicht fahren lassen wollte, so hatte er seine Frau angefleht, die Scheidungsklage nicht anzustrengen, indem er ihr völlige Freiheit zusagte und sich allen Konsequenzen dieses Versprechens unterwarf. Frau Roguin benahm sich nun als unumschränkte Herrin gegen ihren Mann, wie eine Kurtisane gegen einen alten Liebhaber. Roguin merkte bald, dass ihm seine Frau zu teuer wurde, und schaffte sich, wie viele Pariser Ehemänner, einen zweiten Haushalt in der Stadt an. Da sich die Ausgabe dafür anfangs in mäßigen Grenzen hielt, so kam sie nicht sehr in Betracht.
Zunächst fand Roguin ohne große Kosten Grisetten, die sehr glücklich waren, dass er sie protegierte; aber seit drei Jahren wurde er von einer jener unbezähmbaren Leidenschaften verzehrt, von denen Männer zwischen fünfzig und sechzig Jahren manchmal befallen werden und die ihm von einem der entzückendsten Wesen dieser Zeit eingeflößt wurde, die in den Annalen der Prostitution unter dem Namen der schönen Holländerin bekannt wurde, als sie in den Abgrund versank und ihr Tod sie berühmt machte. Sie war einst von einem Klienten Roguins von Brüssel nach Paris gebracht worden, der sie, als er infolge der politischen Ereignisse genötigt war, sich zu entfernen, im Jahre 1815 an Roguin abtrat. Der Notar hatte seiner Schönen ein kleines Haus in den Champs-Elysées gekauft, es reich möbliert und sich zu immer weiteren Ausgaben hinreißen lassen, ohne die kostspieligen Launen dieses Weibes befriedigen