Physiologie des Alltagslebens. Оноре де Бальзак

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Physiologie des Alltagslebens - Оноре де Бальзак

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sich gegen Mittag ohne Spazierstock auf den Weg nach den Tuilerien. Zwischen ein und zwei Uhr können Sie ihn dann friedlich an der Seite seiner Frau auf Stühlen in der Mitte der Terrasse sitzen sehen; und dort bleibt er bis neun Uhr mit der Geduld eines – Rentiers. Die Stadt Paris oder Frankreich hat für zwanzigtausend typische Bourgeois dieses Wertes die hunderttausend Franken für Feuerwerk ausgegeben. Das Feuerwerk hat immer hunderttausend Franken gekostet. Der Rentier hat jedes Feuerwerk gesehen, er erzählt seinen Nachbarn alle Geschichten jedes einzelnen, ruft seine Frau als Zeugin herbei; er beschreibt das Feuerwerk von 1815 bei der Rückkehr des Kaisers.

      »Dieses Feuer, Monsieur, hat eine Million gekostet. Leute sind dabei zugrunde gegangen. Aber damals, Monsieur, hat man sich um derlei ›soviel‹ gekümmert«, sagt er und klappt seine Tabatière zu, dass es einen kleinen trockenen Ton gibt. »Batterien von Geschützen waren aufgefahren worden. Alle Trommler der Garnison waren ausgerückt. Dort (er deutet auf den Quai) gab es ein Schiff in Lebensgröße und dort (er weist auf die Kolonnaden) stand ein Felsen. Und in einem gewissen Moment sah man alles in Flammen stehen: da war Napoleon, sprechend ähnlich, von der Insel Elba zurückgekehrt, wie er französischen Boden betrat. Mein Gott, dieser Mann verstand es, sein Geld richtig auszugeben! Monsieur, ich habe ihn gesehen, als es mit der Revolution anfing; Sie müssen bedenken, ich bin nicht mehr jung ...«

      Für ihn veranstaltet man die Monstrekonzerte und die Te Deums. Wenn er auch für tolerante Teilnahmslosigkeit in religiösen Angelegenheiten ist, die Ostermesse in Notre-Dame versäumt er doch nie. Die Giraffe, die Neuerwerbungen des Museums, Industrie- oder Gemäldeausstellungen, das alles bedeutet für ihn ein Fest, Gegenstand des Erstaunens, Objekt der Prüfung. Die durch ihre luxuriöse Einrichtung berühmt gewordenen Cafés sind nur für seine immer gierigen Augen geschaffen. Sein schönster Tag – nie kam mehr ein gleicher – war jener, als die Eisenbahn eröffnet wurde. Viermal in einem Tag hat er die Fahrt hin und zurück gemacht. Trotzdem, es geschieht gelegentlich, dass er sterben muss, ohne gesehen zu haben, was er am heißesten ersehnt: eine Sitzung der Académie française!

      In der Regel geht der Rentier selten ins Theater. Dann aber will er für sein Geld was haben und wartet also einen jener großen Erfolge ab, die ganz Paris anlocken. Da stellt er sich stundenlang an und opfert dieser Ausgabe die Frucht langen Sparens.

      Der Rentier zahlt nie die Centimes seiner Rechnungen, er legt sie getreulich in eine besondere kleine Kasse und findet dann am Ende des Vierteljahrs etliche fünfzehn oder zwanzig Franken vor, die er sozusagen sich selbst gestohlen hat. Seine Lieferanten kennen diese Schrulle und erhöhen ihre Rechnungen um ein paar Centimes, um ihm das Vergnügen zu verschaffen, sie ihnen abzuziehen. Man ziehe daraus das Axiom:

      »Man muss immer von den Rechnungen etwas abziehen.« Der Kaufmann, der sich diesem Verfahren widersetzt, erregt dadurch immer ein gewisses Misstrauen.

      Für die Abende hat der Rentier verschiedene gesellschaftliche Möglichkeiten zur Verfügung: einmal sein Café, wo er beim Domino zusieht. Den Höhepunkt seiner Abendexistenz liefert das Billardspiel. Beim Billard ist er wahrhaft groß, – ohne je ein Queue angerührt zu haben; er ist groß als »Galerie«, er kennt alle Regeln, seine Aufmerksamkeit ist fast Verzückung. Sie können bei berühmten Billardpartien Rentiers beobachten, die den Lauf der Kugeln mit den Bewegungen von Hunden verfolgen, die auf jede Geste ihres Herrn passen. Sie beugen sich vor, um zu sehen, ob die Karambolage stattgefunden hat, sie werden als Zeugen angerufen, sie gelten als Autoritäten; mitunter aber findet man sie eingeschlafen auf den Bänken an der Wand, einer vom andern narkotisiert.

      Der Rentier wird von dem Leben in der Öffentlichkeit außerhalb seines Hauses so gewaltsam angezogen, er folgt einem so unabweislichen Trieb zu unaufhörlichem Hin- und Hergehen, dass er selten die Gesellschaften seiner Frau besucht, wo man Boston, Piquet und Impériale spielt. Er bringt sie hin und holt sie wieder ab. Jedesmal noch, seit zwanzig Jahren, wenn man seinen Schritt hört, hat die Gesellschaft gesagt:

      »Da ist also unser Herr Mitouflet!«

      An heißen Tagen führt er seine Frau spazieren, die ihm dann zur freudigen Überraschung eine Flasche Bier spendiert. An dem Tage, wo das einzige Dienstmädchen, das sie haben, seinen Ausgang verlangt, speist das würdige Paar im Restaurant, und genießt dort die Überraschungen der Omelettes souflés und die Freuden jener Gerichte, »die man nur im Restaurant zubereiten kann«. Der Rentier und seine Frau sprechen voll Zurückhaltung mit dem Kellner, sie kontrollieren die Ziffern der Rechnung nach der Speisekarte, prüfen die Addition nach, versorgen sich mit Zahnstochern und tragen eine ernste Würde zur Schau: sie leben »in der Öffentlichkeit«.

      Die Frau des Rentiers ist eine jener Frauen, die zwischen der Frau aus dem Volke und der anspruchsvollen Bourgeoise so ungefähr die Mitte halten. Sie entwaffnet den Spott, sie verletzt niemanden, jeder ahnt ihre festen moralischen Grundsätze. Sie trägt sorgfältig bewahrte Gürtelschnallen, die mit Chrysoprasen besetzt sind. Stolz auf ihren Köchinnenbauch, ist sie »gegen das Mieder«. Sie war – wer zweifelt? – einmal eine beauté du diable. Sie trägt gerne die runden, kleinen Kapotthütchen, mitunter aber setzt sie sich einen wirklichen Hut auf und sieht dann wie eine Krämersfrau aus, die Sonntags den Laden zugesperrt hat. Ihre lieben Freundinnen sagen: die gute Madame Mitouflet hat nie Geschmack gehabt. Für diese Sorte Frauen bewahren Mühlhausen, Rouen, Tarare, Lyon, Saint-Etienne die gewissen Modelle mit barbarischen und wilden Mustern, beleidigenden Farbenzusammenstellungen, die mit unmöglichen Buketts besät, mit seltsam verstreuten Pünktchen, schelmisch-kleinen Chiffons noch aufgeputzt werden.

      Gibt es einen Sohn des Rentiers, so ist er, ein kleiner Schreiber, auf dem besten Wege, Karriere zu machen, also Beamter, Gerichtsdiener, Kanzleibeamter oder Handlungsgehilfe zu werden; wenn er keinen Sohn hat, dann besitzt er Neffen in der Armee oder im Zollamt. Aber ob es Söhne, Neffen oder Schwiegersöhne sind, er sieht seine Familie selten. Jeder weiß, dass der Nachlass des Rentiers seine Rente ist. Und die Familiengefühle in diesem Stamme zeigen sich aufrichtig, sind auf das beschränkt, was sie eben »in guter Gesellschaft« zu sein haben. Man findet in dieser Klasse nicht selten Söhne oder Neffen, für die ihre Eltern und Verwandten gerade ebensoviel tun, wie's sonst umgekehrt geschieht. Geburtstage werden mit allen patriarchalischen Gebräuchen gefeiert, beim Dessert singt man. Die naive Festlichkeit der Stimmung so eines Heims wird durch freundliche Gaben erzielt. Man schenkt sich nützliche Geräte, die lang gewünscht worden sind, und nur, nachdem man sich mancherlei Opfer auferlegt hat, beschafft werden konnten.

      Das Evangelium des Rentiers ist: seinem Nächsten nichts zu borgen und ihm nichts schuldig zu sein. In seinen Augen sind Leute, die Schulden haben, Menschen, die zu allem fähig sind, selbst zu Verbrechen. Entartete Rentiers legen sich manchmal Sammlungen an oder Bibliotheken, andere lieben Gravüren. Einige drechseln schelmische Eierbecher aus Holz in abenteuerlichen Farben und Formen, oder sie angeln auf den Schiffen, die nach Bercy fahren oder auf Holzflössen, und die Schiffer treffen sie manchmal schlafend, die Angelrute gesenkt. Schweigend wollen wir über die Mysterien ihres intimen Lebens während der Abendstunden hinweggehen, die sie in einem ganz eigenartigen Licht erscheinen lassen; ihre nachsichtigen Ehehälften äußern sich zu diesen Dingen mit gewisser weiblicher »Bonhomie«: »Ach, glauben Sie nur ja nicht, dass ich an die Rendezvous Monsieur's im Café Turc glaube ...«

      Je mehr man sich mit dieser Gestalt des Rentiers beschäftigt, desto mehr vortreffliche Eigenschaften kann man an ihr entdecken. Der Rentier ist mit sich zufrieden, er ist ganz außerordentlich sanft, ruhig und friedliebend. Wenn Sie ihm zu aufmerksam ins Gesicht sehen, wird er unruhig und betrachtet sich von oben bis unten, um den Grund dieser scharfen Prüfung zu entdecken. Sie werden ihn niemals bei einem Unrecht erwischen: er ist höflich, er respektiert alles, was er nicht versteht, statt sich darüber lustig zu machen, wie die Individuen der Gattung »Persönlichkeit« das so gerne tun ... Er grüsst die Leichenzüge auf den Strassen und geht nie an einer schwarzbehangenen Türe vorbei, ohne einzutreten und den Sarg mit geweihtem Wasser zu besprengen und nach dem Namen desjenigen zu fragen, dem er die letzten Ehren erweist. Wenn es geht, lässt er sich dessen Lebensgeschichte erzählen und verlässt das Haus,

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