Tante Lisbeth. Оноре де Бальзак

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Tante Lisbeth - Оноре де Бальзак

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      »Soso!«

      »Herr Baron, Sie missverstehen mich!« sagte sie und schlug die Augen nieder.

      Dem Baron kam es vor, als ginge damit die Sonne unter.

      »Ich bin in Verzweiflung, aber ich bin eine anständige Frau«, fuhr sie fort. »Vor einem halben Jahre habe ich meinen einzigen Beschützer verloren, den Marschall Montcornet.«

      »Sind Sie nicht seine Tochter?«

      »Jawohl, Herr Baron, aber er hat mich nie als solche anerkannt.«

      »Aber er hat Ihnen doch einen Teil seines Vermögens hinterlassen?«

      »Er hat mir nichts hinterlassen, Herr Baron, weil sich kein Testament vorgefunden hat.«

      »Armes Kind! Ja, ja, der Marschall ist an einem Schlaganfall gestorben. Verzagen Sie nur nicht! Mut! Man wird nicht vergessen, was man der Tochter eines Bayard des Kaiserreichs schuldet!«

      Frau Marneffe grüßte graziös. Sie war ebenso stolz auf ihren Erfolg wie der Baron auf den seinen.

      Zum Teufel, wo mag sie zu so früher Stunde herkommen? fragte er sich, indem er den Wellenbewegungen ihres Kleides nachblickte, das sie mit einer etwas übertriebenen Koketterie trug. Um vom Baden zu kommen, sieht sie zu ermüdet aus. Ihr Mann erwartet sie. Das ist rätselhaft und gibt zu denken.

      Nachdem Frau Marneffe in ihrem Hause verschwunden war, entschloss sich der Baron, nachzusehen, was seine Tochter drinnen im Laden mache. Er trat ein, und da er noch immer nach Frau Marneffes Fenster hinblickte, hätte er beinahe einen jungen Menschen mit blassem Gesicht und leuchtenden grauen Augen umgerannt, der einen schwarzwollenen Sommerüberzieher, ein grobes Leinwandbeinkleid und gelblederne Halbschuhe trug. Er stürzte wie ein Hühnerhund aus der Tür und lief auf Frau Marneffes Haus zu, in dem er auch verschwand.

      Als Hortense den Laden betrat, hatte sie sofort die bewusste Gruppe erkannt, die in der Nähe der Tür auf einem Tische zur Schau gestellt wurde. Selbst ohne Kenntnis ihrer Entstehungsgeschichte hätte die Gruppe wahrscheinlich das junge Mädchen durch das ergriffen, was man das Brio, das heilige Feuer des Meisterwerks, nennt. Nicht alle Werke selbst genialer Künstler haben in gleichem Maße jenen gewissen Glanz, das Weithinstrahlende, das selbst dem ungeübten Auge auffällt. So erregen einige Bilder Raffaels, zum Beispiel die berühmte Verklärung Christi in der Vatikanischen Galerie, die Madonna di Foligno ebenda oder die Fresken in den Stanzen nicht die augenblickliche Bewunderung wie der Violinspieler aus der Galerie Sciarra, die Porträts des Angelo und der Maddalena Doni in Florenz, die Vision Ezechiels im Palazzo Pitti, die Grablegung Christi der Galerie Borghese und die Vermählung Mariä in der Brera. Der Johannes der Täufer in der Tribuna und der heilige Lukas, die Madonna malend, in der Accademia di San Luca zu Rom üben nicht denselben Zauber aus wie das Porträt Leos des Zehnten und die Sixtinische Madonna. Trotzdem sind das alles gleich hohe Werke. Ja, mehr noch: die Stanzen, die Verklärung Christi, die Loggien und die Tafelbilder des Vatikans stellen das Höchste dar in Erhabenheit und Vollendung. Aber diese Meisterwerke verlangen selbst von geschulten Bewunderern eine Art Anspannung, ein Studium, um in allen Teilen erfasst zu werden, während der Violinspieler, die Vermählung der Jungfrau, die Vision Ezechiels von selber durch die Doppeltür der Augen ins Herz dringen und sich darin einen Platz erobern. Welche Freude, das Schöne so mühelos zu empfangen! Vielleicht ist das nicht der Gipfel der Kunst, sicherlich aber ihre höchste Wonne. Diese Tatsache beweist, dass in den Familien der Kunstwerke derselbe Zufall eine Rolle spielt wie in den Familien der Menschen, wo es auch Sonntagskinder gibt, die umsonst zur Welt kommen und ohne ihren Müttern wehe zu tun, denen alles zulächelt und alles gelingt. So treibt das Genie des Künstlers gerade wie die Liebe der Menschen verschiedenartige Blüten.

      Das Brio (ein italienisches Wort, das sich nicht gut übersetzen lässt, das Stendhal bei uns eingebürgert hat) zeichnet besonders Frühwerke aus. Es ist die Frucht des Ungetüms und des kühnen Schwunges des jugendlichen Genies, einer Begeisterung, die sich bei späteren Werken nur noch zu besonders glücklicher Stunde äußern kann. Aber dann kommt das Brio nicht mehr aus dem vollen Herzen des Künstlers, und anstatt seine Werke vulkanartig zu überfluten, quillt es nur spärlich und aus von außen erregten Quellen: der Liebe, der Eifersucht, oft auch dem Hasse und noch öfter der Sehnsucht nach dem alten Feuer, dem der Künstler seinen Ruhm verdankt.

      Steinbocks Gruppe verhielt sich zu seinen übrigen späteren Werken wie die Vermählung Mariä zu dem Gesamtwerke Raffaels. Es war seine erste Tat, geschaffen in der vollen unnachahmlichen Grazie, im Sturm und Drang und im wundervollsten Reichtum der Jugend.

      Hortense unterdrückte ihre Bewunderung, indem sie die Ersparnisse ihrer Kinderjahre im Geiste überschlug. Mit gleichgültiger Miene fragte sie den Händler: »Wie teuer ist dies da?«

      »Eintausendfünfhundert Francs«, erwiderte er ihr und blickte rasch nach dem jungen Manne hin, der auf einem Schemel in einer Ecke saß.

      Dieser junge Mann war hingerissen von dem lebendigen Meisterwerke, das er in dem jungen Mädchen erschaute. Durch des Händlers Blick aufmerksam geworden, erkannte Hortense sofort in ihm den Künstler. Die Röte, die sein bleiches leidendes Gesicht plötzlich färbte, und das Feuer, das ihre Frage in seinen grauen Augen entzündet hatte, verrieten ihn ihr. Sie betrachtete dieses hagere längliche Gesicht, das ihr wie das eines Asketen erschien. Sie bewunderte diese festgeformten roten Lippen, das feinlinige Kinn und das kastanienbraune Haar mit dem slawischen Seidenglanzschimmer.

      »Bei einem Preise von zwölfhundert Francs bitte ich um die Zusendung«, erklärte sie.

      »Eine echte Antike, gnädiges Fräulein«, wandte der Händler ein, der sich wie alle Leute seines Gewerbes einbildete, mit Reden wunder was zu sagen.

      »Verzeihen Sie, bester Herr, das ist in diesem Jahre entstanden«, entgegnete sie ganz bescheiden, »und ich möchte sie insbesondere bitten, falls es bei der gebotenen Summe bleibt, uns den Künstler persönlich zuzuschicken. Wir könnten ihm vielleicht immerhin ansehnliche Aufträge verschaffen.«

      »Wenn er zwölfhundert Francs bekommen soll, was bliebe dann für mich? Ich will verdienen«, meinte der Händler.

      »Natürlich!« erwiderte das junge Mädchen nicht ohne einen Anflug von Geringschätzung.

      »Ach, gnädiges Fräulein, nehmen Sie das Werk!« rief der Pole aufgeregt dazwischen. »Mit dem Händler werde ich mich schon einigen.« Bezaubert von der hohen Schönheit Hortenses und der in ihren Augen widergespiegelten Liebe zur Kunst, fügte er hinzu: »Ich bin der Schöpfer dieser Gruppe. Seit vierzehn Tagen komme ich dreimal den Tag her, um nachzusehen, ob jemand ihren Wert erkennt und sie kaufen will. Sie sind meine erste Bewunderin. Nehmen Sie sie!«

      »Wollen Sie uns in einer Stunde zusammen mit dem Händler besuchen? Hier ist die Karte meines Vaters!« sagte Hortense.

      Während der Händler in den Nebenraum ging, um die Gruppe zu verpacken, setzte sie ganz leise hinzu, zum größten Erstaunen des Künstlers, der zu träumen glaubte:

      »Zum Vorteile Ihrer Zukunft, Herr Steinbock, zeigen Sie Fräulein Fischer diese Karte nicht, noch sagen Sie ihr den Namen des Käufers. Sie ist unsere Tante.«

      Die Worte »unsere Tante« versetzten den Künstler in einen Rausch. Es war ihm, als gehe er in das Paradies ein, und Eva stände vor ihm. Lisbeth hatte ihm soviel von ihrer schönen Nichte erzählt. Und er hatte ebenso von Hortense geträumt wie sie von dem Geliebten ihrer Tante.

      Die Blicke, die beide nun in Wirklichkeit tauschten, kann man sich vorstellen. Es waren Flammenblicke. Tugendhafte Verliebte kennen keine

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