Die Kleinbürger. Оноре де Бальзак
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Читать онлайн книгу Die Kleinbürger - Оноре де Бальзак страница 16
»Eine Stellung bei der Stadt mit zwölftausend Franken Gehalt, so etwas wie Kassierer bei der städtischen oder der Kasse von Poissy, oder Geschäftsführer.«
»Das würde mir alles gut passen.«
»Nun, vielleicht könnte dieses Scheusal von Advokat etwas für uns tun; er ist ein großer Intrigant: wir müssen Rücksicht auf ihn nehmen ... Ich werde bei ihm mal auf den Busch klopfen ... lass mich nur machen ... und vor allem störe ihm sein Spiel bei den Thuilliers nicht ...«
Theodosius hatte den wunden Punkt in Flavia Collevilles Herzen berührt, und das verdient eine Erläuterung, zu der wohl eine Analyse des weiblichen Empfindens erforderlich ist.
Mit vierzig Jahren verspüren die Frauen und besonders die, die von der vergifteten Frucht der Leidenschaft gekostet haben, ein tiefes Angstgefühl; sie merken, dass es zweierlei Tod gibt: den körperlichen und den seelischen. Teilt man die Frauen in zwei Kategorien, indem man, vulgär gesprochen, die Tugendhaften und die Schuldigen unterscheidet, so kann man sagen, dass sie von diesem gefährlichen Alter an Schreckliches zu leiden haben. Tugendhaft, aber in ihrem natürlichen Verlangen unbefriedigt, sei es, dass sie ihr Begehren im Herzen oder dass sie es vor dem Altar Gottes begraben haben, können sie sich nicht ohne Erschrecken eingestehen, dass für sie alles zu Ende ist. Dieses Gefühl kann so eigenartige und so fürchterliche Wirkungen hervorbringen, dass sich hieraus ihr Apostatentum erklären lässt, das zuweilen die Welt in Erstaunen und Schrecken versetzt. Sind sie schuldig, so geraten sie in eine Schwindel erregende Lage, die oft zum Irrsinn oder zum Tode führt, die aber auch in eine Leidenschaft von gleicher Gewalt umschlagen kann.
Das Dilemma einer solchen Krisis ist dieses: Entweder haben sie das Glück kennengelernt und ein tugendhaftes Leben geführt und können nun nicht anders, als diese von Glut geschwängerte Luft einatmen und sich in dieser duftenden Atmosphäre, wo die Schmeicheleien wie Liebkosungen wirken, bewegen; wie sollen sie dem widerstehen? Oder, was ein noch merkwürdigeres und selteneres Phänomen ist, sie haben auf der Suche nach dem fliehenden Glück nur schnell schal gewordene Freuden gefunden, aber sie haben, von der trügerischen Befriedigung der Eitelkeit gepeitscht, die wilde Jagd fortgesetzt und sich an dieses Spiel geklammert wie der Spieler an sein System, denn diese letzten Tage ihrer Schönheit sind für sie der letzte Einsatz des verzweifelten Hazardeurs.
»Sie sind geliebt, aber nicht angebetet worden!«
Dieses Wort Theodosius, von einem Blicke begleitet, der, wenn auch nicht in ihrem Herzen, so doch in ihrem Leben gelesen hatte, war die Lösung eines Rätsels, und Flavia fühlte sich durchschaut.
Der Advokat hatte nur einige Ideen wiedergegeben, die in der Literatur schon trivial geworden waren; aber was kommt es darauf an, aus welcher Fabrik die Reitpeitsche herstammt und was für eine Sorte es ist, wenn sie nur die empfindliche Stelle des Rassepferdes trifft! Das poetische Gefühl lag in Flavias Innerem und nicht in dem, was ihr Theodosius vorgesungen hatte, ebenso wie das Brausen nicht in der Flut steckt, wenn sie es auch erzeugt.
Ein junger Offizier, zwei nichtssagende Männer, ein unbeholfener kleiner Jüngling und der gute Colleville, das waren ihre traurigen Versuchsobjekte. Einmal in ihrem Leben hatte Frau Colleville von Glück geträumt, aber empfinden hatte sie es noch nicht können; dann hatte der Tod allzu schnell die einzige Neigung, bei der Flavia wirkliche Seligkeit empfunden hatte, vernichtet. Seit zwei Jahren vernahm sie die göttliche Stimme der Religion, die ihr verkündete, dass weder in der Kirche, noch in der menschlichen Gesellschaft von Glück und von Liebe die Rede ist, sondern von Pflicht und Resignation; dass für diese beiden großen Mächte das Glück in der Befriedigung ruht, die die Erfüllung mühseliger, schwer zu erfüllender Pflichten erzeugt, und dass die Belohnung nicht in dieser Welt erfolgt. Aber sie hörte noch eine andere laute Stimme in ihrem Innern, und da die Religion nur eine Maske für sie war, die sie notgedrungen vorbinden musste, und nicht auf wirklicher Bekehrung beruhte, und weil sie sie nicht ablegte, da sie in ihr ein Hilfsmittel erblickte, und ihre falsche oder wahre Frömmigkeit nur ein äußerliches Kleid war, das sie ihren Zukunftshoffnungen anpasste, so blieb sie in der Kirche, wie auf einer Bank im Walde an einem Kreuzwege, wo man die Aufschriften des Wegweisers liest, und mit dem Gefühl, dass bald die Nacht kommt, die Entscheidung dem Zufall überlässt.
So wurde auch ihre Wissbegier lebhaft erregt, als Theodosius ihr ihre den andern verborgene Lage klar machte, ohne dabei Ansprüche für sich geltend zu machen, sondern indem er sich allein an ihr inneres Empfinden wandte und ihr die Verwirklichung von Luftschlössern verhieß, die sich für sie schon sieben- oder achtmal in nichts aufgelöst hatten.
Seit Beginn des Winters hatte sie gemerkt, dass sie heimlich von Theodosius beobachtet und studiert wurde. Mehr als einmal hatte sie ihr graues Moiréekleid, ihre schwarzen Spitzen und ihren Kopfschmuck von mit Spitzen garnierten Blumen angelegt, um sich vorteilhaft zeigen zu können, und die Männer wissen immer recht gut, ob man für sie Toilette gemacht hat. Der grässliche Beau der Kaiserzeit hatte sich in faden Schmeicheleien erschöpft, aber der Provenzale hatte mit einem verständnisvollen Blick tausendmal mehr gesagt.
Von einem Sonntag zum andern hatte Flavia auf eine Erklärung gewartet; sie sagte sich:
»Er weiß, dass ich nichts habe, und er selbst besitzt keinen Heller! Vielleicht ist er wirklich fromm.«
Theodosius wollte nichts überstürzen, und wie ein geschickter Musiker hatte er sich die Stelle seiner Partitur angestrichen, wo er das Zeichen zum vollen Einsatz geben wollte. Als er merkte, dass Colleville ihn bei Thuillier verdächtigte, hatte er, nach geschickter Vorbereitung während drei bis vier Monaten, die er auf das Studium Flavias verwandt hatte, seine Ladung abgeschossen, und es war ihm damit ebenso geglückt, wie am Morgen mit Thuillier.
Als er sich zu Bett legte, sagte er sich:
»Die Frau habe ich gewonnen, der Mann kann mich nicht leiden; jetzt, in diesem Augenblick werden sie sich zanken, aber ich werde der Stärkere sein, denn sie macht mit ihrem Manne, was sie will.«
Darin hatte sich der Provenzale allerdings getäuscht, denn es hatte nicht den geringsten Streit gegeben, und während er das zu sich sagte, schlief Colleville bereits neben seiner kleinen, süßen Flavia, welche dachte: ›Theodosius ist ein überlegener Mensch.‹
Bei vielen Männern wird ebenso wie bei la Peyrade, die Überlegenheit durch die Kühnheit oder die Schwierigkeit des Unternehmens erzeugt; die Anstrengungen, die sie machen, straffen ihre Muskeln, und sie verbrauchen außerordentlich viel Kraft; dann, nach dem Erfolge oder dem Misslingen, ist alle Welt erstaunt, sie klein, elend oder erschöpft zu sehen. Nachdem er den beiden Personen, von denen das Geschick Celestes abhing, eine Wissbegierde eingeimpft hatte, die fieberhaft werden musste, spielte Theodosius den Beschäftigten: fünf bis sechs Tage hindurch war er von früh bis abends abwesend, so dass er Flavia erst dann wiedersah, als ihre Begierde einen Höhepunkt erreicht hatte, wo man alle Schicklichkeit beiseite setzt, und dass er den alten Beau zwang, zu ihm zu kommen.
Am nächsten Sonntag war er ziemlich sicher, Frau Colleville in der Kirche zu finden; sie traten auch beide in demselben Augenblick heraus, trafen sich in der Rue des Deux-Eglises, und Theodosius bot Flavia den Arm, die ihn auch annahm und ihre Tochter mit ihrem Bruder Anatole vorausgehen ließ. Dieses jüngste Kind, das jetzt zwölf Jahre alt war, sollte in das Seminar eintreten und war in Barniols Institut in Halbpension, wo es den Elementarunterricht erhielt, und der Schwiegersohn Phellions hatte natürlich den Preis für die Halbpension mit Rücksicht auf die erhoffte Verbindung zwischen Phellion und Celeste ermäßigt.
»Haben Sie mir die Ehre und die Gunst erwiesen, über das, was ich Ihnen neulich so unbeholfen sagte, nachzudenken?« fragte der Advokat mit einschmeichelndem Ton die hübsche Fromme und drückte ihren Arm ebenso zärtlich wie stark an sein Herz, denn er schien sich zu bezwingen, um im Widerstreit