Krieg und Frieden. Лев Толстой
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»Sagen Sie, wann hat das Treffen angefangen?« fragte er dann hastig.
Fürst Andrei antwortete. Auf diese Frage folgten andere von ebenso einfachem Inhalt: ob Kutusow gesund sei; wie lange es her sei, daß er, Fürst Andrei, aus Krems abgefahren sei, usw. Der Kaiser sprach in einem Ton, als ob seine ganze Absicht nur darin bestände, eine gewisse Anzahl von Fragen zu stellen. Die Antworten auf diese Fragen aber vermochten (das war nur zu offensichtlich) kein Interesse bei ihm zu erwecken.
»Um welche Stunde hat das Treffen angefangen?« fragte der Kaiser.
»Ich kann Euer Majestät nicht Auskunft geben, um welche Stunde das Treffen in der Front begonnen hat; aber in Dürrenstein, wo ich mich befand, begannen unsere Truppen den Angriff zwischen fünf und sechs Uhr abends«, antwortete Bolkonski lebhafter werdend; diese Frage brachte ihn zu dem Glauben, er werde nun die Möglichkeit haben, die in seinem Kopf bereits fertige, wahrheitsgemäße Schilderung alles dessen, was er wußte und zum Teil selbst gesehen hatte, vorzutragen.
Aber der Kaiser lächelte und unterbrach ihn:
»Wieviel Meilen?«
»Von wo bis wohin, Euer Majestät?«
»Von Dürrenstein bis Krems.«
»Drei und eine halbe Meile, Euer Majestät.«
»Die Franzosen haben das linke Ufer verlassen?«
»Wie die Kundschafter meldeten, sind die letzten in der Nacht auf Flößen übergesetzt.«
»Ist genug Furage in Krems?«
»Die Furage war nicht in derjenigen Quantität geliefert ...«
Der Kaiser unterbrach ihn:
»Um wieviel Uhr ist General Schmidt gefallen?«
»Ich glaube, um sieben Uhr.«
»Um sieben Uhr. Sehr traurig! Sehr traurig!«
Der Kaiser sagte, er sei ihm dankbar und verbeugte sich. Fürst Andrei ging hinaus und sah sich sofort von allen Seiten von Hofleuten umringt. Von allen Seiten blickten ihn freundliche Augen an und wurden freundliche Worte an ihn gerichtet. Der Flügeladjutant von gestern machte ihm Vorwürfe, daß er nicht im Schloß Quartier genommen habe, und stellte ihm seine eigene Wohnung zur Verfügung. Der Kriegsminister trat zu ihm heran und beglückwünschte ihn zu dem Maria-Theresia-Orden dritter Klasse, den ihm der Kaiser verliehen hatte. Ein Kammerherr der Kaiserin brachte ihm eine Einladung zu Ihrer Majestät. Die Erzherzogin wünschte ebenfalls, ihn zu sehen. Er wußte gar nicht, wem er zuerst antworten sollte, und brauchte einige Augenblicke, um seine Gedanken zu sammeln. Der russische Gesandte faßte ihn an der Schulter, führte ihn an ein Fenster und begann ein Gespräch mit ihm.
Ganz gegen Bilibins Voraussagung wurde die Nachricht, welche Fürst Andrei gebracht hatte, sehr freudig aufgenommen. Ein Dankgottesdienst wurde angeordnet. Kutusow wurde mit dem Großkreuz des Maria-Theresia-Ordens belohnt; auch viele Offiziere und Mannschaften wurden mit Dekorationen bedacht. Bolkonski empfing von allen Seiten Einladungen und sah sich genötigt, den ganzen Vormittag über bei den höheren österreichischen Würdenträgern Visiten zu machen. Als er gegen fünf Uhr nachmittags mit seinen Besuchen fertig geworden war, machte er sich auf den Weg nach Hause, zu Bilibin, und entwarf unterwegs in Gedanken einen Brief an seinen Vater über das Treffen und über seine Reise nach Brünn. Vor der Tür des Hauses, in welchem Bilibin wohnte, stand eine bereits zur Hälfte mit Gepäck beladene Britschke, und Franz, Bilibins Diener, trat gerade, mühsam einen Koffer schleppend, aus der Haustür.
Ehe Fürst Andrei wieder zu Bilibin fuhr, war er noch in einer Buchhandlung gewesen, um sich für den Feldzug mit Büchern zu versorgen, und hatte sich dort unvermerkt etwas länger aufgehalten.
»Was gibt es denn?« fragte Bolkonski.
»Ach, Durchlaucht«, antwortete Franz, indem er den Koffer mit Anstrengung auf die Britschke hob. »Wir ziehen noch weiter. Der Bösewicht ist schon wieder hinter uns her!«
»Was bedeutet das? Was ist los?« fragte sich Fürst Andrei und ging eilig hinein.
In der Wohnung kam ihm Bilibin entgegen. Auf seinem sonst immer so ruhigen Gesicht prägte sich doch eine ziemliche Erregung aus.
»Nein, nein, das müssen Sie doch selbst zugeben«, sagte er, »daß diese Geschichte mit der Taborbrücke« (eine Brücke in Wien) »geradezu köstlich ist. Sie sind hinübergekommen, ohne irgendwelchen Widerstand zu finden.«
Fürst Andrei verstand ihn nicht.
»Aber wo kommen Sie denn her, daß Sie nicht wissen, was bereits jeder Kutscher in der Stadt weiß?«
»Ich komme von der Erzherzogin. Da habe ich nichts gehört.«
»Und haben Sie nicht gesehen, daß überall gepackt wird?«
»Nein, ich habe nichts gesehen ... Aber was ist denn eigentlich geschehen?« fragte Fürst Andrei ungeduldig.
»Was geschehen ist? Die Franzosen haben die Brücke passiert, die Auersperg verteidigen sollte, und die Brücke ist nicht in die Luft gesprengt worden, so daß Murat in diesem Augenblick schon auf der Chaussee nach Brünn dahinjagt und heute oder morgen hier sein wird.«
»Hier? Aber warum ist denn die Brücke nicht in die Luft gesprengt worden, da sie doch unterminiert ist?«
»Das frage ich Sie. Das weiß kein Mensch, nicht einmal Bonaparte selbst.«
Bolkonski zuckte die Achseln.
»Aber wenn sie die Brücke passiert haben, so ist damit unsere Armee verloren; sie wird abgeschnitten werden«, sagte er.
»Das ist ja bei diesem schlauen Streich auch die Absicht«, antwortete Bilibin. »Hören Sie zu. Die Franzosen rücken in Wien ein, wie ich Ihnen schon erzählt habe. Alles sehr schön. Am andern Tag, das heißt gestern, steigen die Herren Marschälle Murat, Lannes und Belliard zu Pferd und reiten nach der Brücke. (Bitte zu beachten, daß sie alle drei aus der Gascogne stammen.) ›Meine Herren‹, sagt einer von ihnen, ›Sie wissen, daß die Taborbrücke unterminiert ist, und daß sich an ihrem jenseitigen Ende ein furchtbarer Brückenkopf befindet und fünfzehntausend Mann, welche Befehl haben, die Brücke in die Luft zu sprengen und uns nicht hinüberzulassen. Aber unserm Kaiser Napoleon wird es angenehm sein, wenn wir diese Brücke nehmen. Wir wollen alle drei hinüberreiten und diese Brücke nehmen.‹ – ›Schön, reiten wir hinüber!‹ sagen die andern; und sie überschreiten die Brücke und nehmen sie und befinden sich jetzt mit ihrer ganzen Armee auf dieser Seite der Donau und rücken gegen uns und gegen euch und eure Verbindungen vor.«
»Lassen Sie die Späße«, sagte Fürst Andrei ernst und traurig.
Diese Nachricht war für den Fürsten Andrei betrübend, eröffnete ihm aber doch zugleich eine erwünschte Aussicht.
Sowie er gehört hatte, daß sich die russische Armee in so gefährlicher