Krieg und Frieden. Лев Толстой
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»Dieser russischen Armee, die das englische Gold vom äußersten Ende der Welt hergeführt hat, werden wir das gleiche Schicksal bereiten« (nämlich wie der Armee von Ulm): an diese Worte aus einem Armeebefehl Bonapartes vor dem Beginn des Feldzuges erinnerte sich Fürst Andrei, und diese Worte erweckten in seinem Innern gleichzeitig ein Gefühl der Bewunderung für die Genialität dieses Helden und die Empfindung gekränkten Stolzes und die Hoffnung, sich Ruhm zu erwerben. »Aber wenn mir nun nichts weiter übrigbleibt als zu sterben?« dachte er. »Nun gut; wenn's sein muß! Ich werde es nicht schlechter machen als andre.«
Mit schmerzlicher Geringschätzung blickte Fürst Andrei auf diese endlosen, ungeordneten Truppenmassen, Trainfuhrwerke, Munitionswagen, Geschütze und wieder Fuhrwerke, Fuhrwerke und Fuhrwerke von allen möglichen Arten, die einander überholten und in drei, vier Reihen nebeneinander die schmutzige Landstraße versperrten. Von überall her, von hinten und von vorn, soweit nur das Ohr reichte, hörte man das Knarren der Räder, das Rumpeln der schweren und leichteren Fuhrwerke und der Lafetten, das Getrappel der Pferde, Peitschenschläge und Geschrei beim Antreiben, Schimpfworte der Soldaten, der Offiziersburschen und der Offiziere. An den Rändern der Straße sah man fortwährend bald gefallene Pferde, teils abgehäutet, teils unabgehäutet, bald zerbrochene Fuhrwerke, bei denen einzelne Soldaten saßen und auf irgend etwas warteten, bald Soldaten, die sich von ihren Abteilungen getrennt hatten und sich in einzelnen Trupps in die nächsten Dörfer begaben oder schon aus den Dörfern Hühner, Schafe, Heu oder Säcke mit irgendwelchem Inhalt herbeischleppten. Wo die Straße anstieg oder sich senkte, wurde das Gedränge noch dichter, und es gab dort ein ununterbrochenes Stöhnen und Schreien. Soldaten, bis an die Knie im Schmutz watend, packten mit den Händen die Geschütze und Wagen, um sie vom Fleck zu bringen; die Peitschenhiebe hagelten, die Hufe glitten aus, die Stränge rissen; alle schrien, soviel die Lunge hergab. Die Offiziere, die den Marsch zu beaufsichtigen hatten, ritten zwischen den Wagenreihen bald vorwärts, bald zurück. Ihre Stimmen waren inmitten des allgemeinen Getöses nur schwach hörbar, und es war ihnen am Gesicht anzusehen, daß sie an der Möglichkeit, diese Unordnung zu beheben, verzweifelten.
»Das ist also das liebe, rechtgläubige Kriegsheer«, dachte Bolkonski, in Erinnerung an einen von Bilibin gebrauchten Ausdruck.
In der Absicht, einen von diesen Menschen zu fragen, wo der Oberkommandierende sei, ritt er an einen solchen Wagenzug heran. Dabei stieß er gerade auf ein seltsames, einspänniges Fuhrwerk, das augenscheinlich von ungeschickten Soldatenhänden zurechtgemacht war und eine Art Mittelding von Bauernwagen, Kabriolett und Kalesche bildete. Gelenkt wurde der Wagen von einem vorn daraufsitzenden Soldaten, und innen, unter dem ledernen Verdeck, hinter dem Spritzleder, saß eine ganz in Tücher gewickelte Frau. Fürst Andrei ritt heran und wendete sich schon mit einer Frage an den Soldaten, als das verzweifelte Geschrei der innen im Wagen sitzenden Frauensperson seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Offizier, der den Wagenzug beaufsichtigte, hatte nach dem Soldaten auf dem Kutschersitz dieses Wägelchens geschlagen, weil er andere Wagen hatte überholen wollen, und die Peitsche hatte das Spritzleder des Gefährtes getroffen. Die Frau begann entsetzlich zu kreischen. Als sie den Fürsten Andrei erblickte, bog sie sich hinter dem Spritzleder heraus und schrie, indem sie die mageren Arme aus ihrem Schaltuch herausstreckte und mit ihnen winkte:
»Adjutant! Herr Adjutant ...! Ich bitte Sie um Gottes willen ... Schützen Sie mich ... Was soll nur aus mir werden ...? Ich bin die Frau des Arztes vom siebenten Jägerregiment ... Sie lassen uns nicht durch ... Wir sind zurückgeblieben und haben die Unsrigen verloren ...«
»Ich schlage dich zu Brei! Kehr um!« schrie der Offizier wütend den Soldaten an. »Kehr um mit deiner Vogelscheuche!«
»Herr Adjutant, schützen Sie mich! Mein Gott, mein Gott!« schrie die Doktorenfrau.
»Bitte, lassen Sie doch diesen Wagen weiterfahren. Sie sehen ja doch, daß eine Frau darinsitzt«, sagte Fürst Andrei, zu dem Offizier heranreitend.
Der Offizier blickte ihn an und wandte sich, ohne zu antworten, wieder zu dem Soldaten: »Ich werde dir das Überholen anstreichen ... Zurück ...!«
»Lassen Sie den Wagen weiterfahren, sage ich Ihnen«, wiederholte Fürst Andrei noch einmal und preßte die Lippen zusammen.
»Was bist du denn für einer?« fuhr ihn plötzlich der Offizier mit der Wut, in welche Betrunkene oft geraten, an. »Was bist du für einer? Du« (er legte einen besonderen Nachdruck auf das Du) »bist wohl ein hoher Vorgesetzter, wie? Hier bin ich der Vorgesetzte, und nicht du. Zurück, du da!« rief er von neuem. »Ich schlage dich zu Brei!«
Dieser Ausdruck mußte dem Offizier wohl besonders gut gefallen.
»Der ist dem feinen Adjutanten gehörig über das Maul gefahren«, rief jemand von hinten.
Fürst Andrei sah, daß sich der Offizier in jenem bekannten Zustand der Trunkenheit befand, in welchem die Leute ohne Anlaß Wutanfälle bekommen und nicht mehr wissen, was sie sagen. Er sah, daß sein eigenes Eintreten für die Doktorenfrau mit einer gewissen Lächerlichkeit behaftet war (und gerade das war es, was er am meisten in der Welt fürchtete); aber sein natürliches Gefühl warf hier solche Erwägungen über den Haufen. Der Offizier hatte das letzte Wort noch nicht zu Ende gesprochen, als Fürst Andrei mit wutverzerrtem Gesicht dicht an ihn heranritt und die Kosakenpeitsche erhob.
»Lassen Sie den Wagen weiterfahren!«
Der Offizier machte eine Handbewegung im Sinne von: »Meinetwegen; so viel liegt mir nicht daran!« und ritt schleunigst davon.
»Diese Kerle, diese hohen Offiziere, stören doch immer nur die Ordnung«, brummte er. »Na, tut, was ihr wollt.«
Fürst Andrei ritt eilig, ohne aufzublicken, von der Doktorenfrau weg, die ihn ihren Retter nannte, und indem er voll Widerwillen noch einmal die Einzelheiten dieser unwürdigen Szene sich vergegenwärtigte, ritt er so schnell als möglich nach dem Dorf hin, wo, wie man ihm sagte, sich der Oberkommandierende befand.
Als er zu dem Dorf gekommen war, stieg er ab und ging auf das erste Haus los, in der Absicht, sich wenigstens einen Augenblick zu erholen, etwas zu essen und alle diese widerwärtigen, peinigenden Gedanken zur Klarheit zu bringen. »Das ist ein Haufe Gesindel, aber kein Heer«, dachte er, während er auf die Tür des ersten Hauses zuging. Da rief eine ihm bekannte Stimme seinen Namen.
Er blickte um sich. Aus einem der kleinen Fenster steckte Neswizki sein hübsches Gesicht heraus. Mit vollem Mund lebhaft kauend und mit den Händen winkend, rief er den Fürsten Andrei heran.
»Bolkonski, Bolkonski, hörst du nicht? Komm schnell!« rief er.
Als Fürst Andrei in das Haus trat, sah er Neswizki und noch einen andern Adjutanten mit einem kalten Imbiß beschäftigt. Eilig wandten sie sich zu Bolkonski mit der Frage, ob er etwas Neues wisse. Auf ihren ihm so wohlbekannten Gesichtern las Fürst Andrei den Ausdruck der Besorgnis und Unruhe. Dieser Ausdruck war besonders auffällig auf Neswizkis sonst immer lachendem Gesicht.
»Wo ist der Oberkommandierende?« fragte Bolkonski.
»Hier, in dem Haus, dort«, antwortete der andere Adjutant.
»Nun, ist es denn wahr, daß eine Kapitulation stattfindet und Friede geschlossen wird?« fragte Neswizki.
»Danach möchte ich euch fragen. Ich weiß nichts, als daß ich mich mit größter Mühe zu euch durchgearbeitet habe.«
»Aber bei uns, Bruder, das ist ein Zustand! Schauderhaft! Ich muß mich schuldig bekennen, Bruder: über Mack haben wir gelacht; aber uns selbst geht es jetzt noch schlimmer«, sagte Neswizki. »Aber setz