Die Netflix-Revolution. Oliver Schütte
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In Nordamerika änderte sich durch diese Qualitätsserien das Verhältnis der Zuschauer zum Fernsehen grundlegend. Sie wurden nicht nur als banale aber liebgewonnene Unterhaltung wahrgenommen, sondern als kultureller Beitrag. Sie waren eine intellektuelle Herausforderung.
In Deutschland hingegen hatte der Kampf um die Quote, der zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Sendern stattfand, zu keiner Qualitätssteigerung geführt. Die Senderfamilie ProSiebenSat.1 war 2003 von einer Investmentfirma übernommen worden, die einzig und allein das Ziel hatte, die Firma möglichst bald gewinnbringend zu verkaufen. Sperrige Formate wurden gestrichen, teure TV-Movies nicht mehr produziert. Alles unterlag dem Diktum, den Gewinn zu steigern, damit das Verkaufsobjekt tunlichst attraktiv aussah. Das gelang auch, denn das Investment von 500 Millionen Euro verwandelte sich bis zur Veräußerung auf drei Milliarden Euro, als die Firma drei Jahre später versilbert wurde. Aber der Verkauf änderte nichts am Inhalt, stattdessen kamen die Sender vom Regen in die Traufe. Die nächsten Besitzer waren mehrere Private-Equity-Unternehmen. Seit 2009 befinden sich die Marktanteile von Sat1 im freien Fall.
Und auch die RTL-Familie stand von Anfang an unter der Maßgabe, möglichst finanziell erfolgreich zu sein. Dass die Qualität des Programms zunehmend abnimmt, ist eine schleichende Entwicklung, die ab 2010 deutlich zutage tritt und sich in den sinkenden Marktanteilen seit 2011 zeigt.
RTL kämpft heute mit dem Dschungelcamp, Blaulichtreport und Deutschland sucht den Superstar um die Gunst der Zuschauer. Sat1, inzwischen mit seinen Marktanteilen gegenüber dem privaten Konkurrenten weit abgeschlagen, versucht sich mit Stolz und Stütze, Anna und die Liebe und Voice Kids.
Der Grund liegt darin, dass die privaten Sender, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ein großes und deshalb breites Publikum brauchen. Dies scheint in den Augen der Macher mit komplexen Erzählungen oder »schweren Themen« nicht realisierbar zu sein. Die Senderverantwortlichen mussten schmerzlich erkennen, dass sie sich die Preise für kulturell wertvolle Produktionen zwar ins Regal stellen konnten, dass die Eigentümer sich aber mehr für den Gewinn interessieren. Diese Erkenntnis sickerte in den Nullerjahren endgültig ins Bewusstsein und führte dazu, dass auch hierzulande, das »Least Objectionable Programing« Einzug hielt.
Das Zielpublikum der Privatsender kann heute und in Zukunft nichts anderes erwarten als einfache und oftmals billig hergestellte Ware. RTL hatte es 2015 mit der achtteiligen Qualitätsserie Deutschland 83 versucht, war dabei den Zuschauern aber gnadenlos gescheitert. Und das, obwohl die Serie auf den Berliner Filmfestspielen Premiere gefeiert und in den USA bereits erfolgreich gelaufen war. Die privaten Sender hatten sich in den Jahren zuvor ihr Publikum hart erarbeitet, das mit solchen durchaus komplexen, horizontal erzählten Serien nicht viel anfangen konnte. Dies führte dazu, dass bei der zweiten Staffel Deutschland 86 Amazon Prime einsprang und sie dort zuerst online ging.
Dem Vorstandsvorsitzenden von ProSiebenSat.1 Thomas Ebeling war in einem öffentlichen Gespräch herausgerutscht, dass Teile des TV-Publikums »ein bisschen fettleibig und ein bisschen arm« seien. Seine Bemerkung schien sich auf die Zuschauer seiner eigenen Sender zu beziehen. Die Besitzer von ProSiebenSat.1 waren über so viel Offenheit nicht begeistert, und Ebeling nahm wenig später seinen Hut.
In den Zehnerjahren steuerte die Entwicklung dahin, dass das Publikum, das anspruchsvolles Fernsehen suchte, nicht mehr einen der Privatsender einschaltete. Bis auf einzelne Ausnahmen (wie z. B. Vox mit Der Club der roten Bänder und Das Wichtigste im Leben) sind die Produktionen erzählerisch banal, und die Nachrichten erinnern an Boulevardzeitungen. Natürlich sind auch die Shows reine Unterhaltungsmaschinen, sie wollen nichts anderes sein. Weil den Verantwortlichen klar ist, dass die Werbeumsätze aufgrund der sinkenden Zuschauerzahlen im linearen Fernsehen zurückgehen werden, haben sie schon früh begonnen, in alternative Bereiche und da zumeist in Internetfirmen zu investieren. Bei ProSiebenSat.1 gehören billiger-mietwagen.de, moebel.de, Parship und Verivox dazu. Für 2019 strebt der Fernsehsender mit diesen Beteiligungen immerhin einen Umsatz von 1 Milliarde Euro an.
Bei den öffentlichen-rechtlichen Sendern war die Lage zunächst anders, da sie sich hauptsächlich durch die Beiträge der deutschen Haushalte finanzieren. Trotzdem war dem Programm anzumerken, dass die Macher wie bei den Privaten die Quote, also die Anzahl der Zuschauer als wesentliches Kriterium ansehen. Dabei hatten (und haben) ARD und ZDF damit zu kämpfen, dass das Durchschnittsalter der Menschen, die sich für sie entscheiden, weit über 60 Jahre ist. Um dieses treue Publikum nicht zu verschrecken, musste das Programm auch für die Senioren Deutschlands akzeptabel sein. Frischer und moderner Inhalt war daher nicht angesagt. Um aus dem Teufelskreis herauszukommen, gründete das ZDF seinen Spartenkanal ZDFneo. Der war angetreten, das »junge« Publikum anzusprechen, was bei dem Sender aus Mainz bedeutet, dass die Zielgruppe bei den 49-Jährigen endet. Wer damals den großen Auftritt erwartete, wurde enttäuscht, bestand doch das Programm aus Wiederholungen, die sich dadurch kennzeichneten, dass sie im ZDF (also bei den über 60-Jährigen) nicht gut gelaufen waren. Das änderte sich erst im Laufe der Zeit, als auch eigene neo-Sendungen produziert wurden.
Dennoch strahlten die beiden Hauptprogramme immer noch ein Programm aus, das den größtmöglichen Konsens anstrebte. Anspruchsvolle Dokumentarfilme, komplexe Serien und innovative Formate hatten keinen Raum bei ARD oder ZDF.
Auf diesen Markt der klassischen, linearen Sender trafen die Streamingplattformen Netflix und Amazon, als sie in Deutschland 2014 an den Start gingen.
Vom Flimmern zum Kinoerlebnis
Nicht nur inhaltlich durchlief das Fernsehen innerhalb der letzten 70 Jahre eine außerordentliche Veränderung.
Die ersten Röhrengeräte, die ab den 50ern in den Haushalten standen, basierten auf dem sogenannten 4:3 Standard, der das Verhältnis von Höhe und Breite beschrieb. Die Flimmerkiste war im Vergleich zum breiten Kinobild also schon fast quadratisch. Der Bildschirm war schwarz-weiß, und die Sendungen wurden in Deutschland, der Schweiz und in Österreich mit 625 Zeilen ausgestrahlt. Um es weniger technisch – und nach heutigen Maßstäben – zu sagen: Das Bild war schlecht. Wer Vom Winde verweht zuhause sehen wollte, musste entweder auf den rechten und linken Bildrand verzichten (weil er vom Sender einfach abgeschnitten wurde) oder oben und unten mit schwarzen Balken leben. Von der Qualität des Bildes her waren Kino und Fernsehen in diesen Jahren somit keine Konkurrenz. Oftmals war auch der Empfang schwierig und von äußeren Umständen abhängig, sodass es zu Bildausfällen und Störungen kam.
Diesen Nachteil der neuen Konkurrenz versuchten die Produzenten von Kinofilmen zu nutzen, und sie überboten sich mit immer besseren Farben und breiteren Filmen. Das amerikanische CinemaScope und auch andere Formate präsentierten den Kinozuschauern eine enorme Bildgröße und führte zu Epen, deren Erzählungen sich auf die eigenen Stärken gegenüber dem Fernsehen besann. Ben Hur, Jenseits von Eden und Der Schatz im Silbersee spielten mit opulenten Landschaften und großen Bildern, die so im »Pantoffelkino« nicht möglich waren. Das Kino reagierte somit gezwungenermaßen und veränderte sich, nicht nur in der Form, sondern auch in seinem Inhalt: Epische Geschichten, dunkle Figuren und knallharte Fiktion kennzeichneten den Kampf gegen das Pantoffelkino.
Der Umstand, dass der Bildschirm seine Filme und Sendungen in schwarz-weiß präsentierte, änderte sich erst, als 1967 der Regierende Bürgermeister von Berlin und spätere