Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo
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Welchen Anblick bot dieses Ganze nun, aus der Höhe der Thürme von Notre-Dame gesehen, im Jahre 1482?
Das zu schildern wollen wir versuchen.
Für den Beschauer, welcher athemlos auf dieser Höhe ankam, bot sich dem Blicke zuerst eine verwirrende Menge von Dächern, Schornsteinen, Straßen, Brücken, Plätzen, Thurmspitzen und Thürmen dar. Alles fiel ihm auf einmal in die Augen: die abgestumpfte Zinne, das spitzzulaufende Dach, das auf den Mauerwinkeln schwebende Thürmchen, die steinerne Pyramide aus dem elften, der Schieferobelisk aus dem fünfzehnten Jahrhunderte, der runde und kahle Wartthurm, der viereckige, verzierte Kirchthurm, Großes und Kleines, Schwerfälliges und Zierliches. Der Blick verlor sich auf lange und vollständig in diesem Labyrinthe, wo jedes von seiner Originalität und Berechtigung, von seiner Eigenthümlichkeit und Schönheit zeugte, alles Kunst athmete, vom geringsten Hause an mit gemalter und von Steinmetzarbeit verzierter Vorderseite, mit Holzwerk auf der Außenseite, mit herausgerückter Pforte, mit überhängenden Stockwerken bis zum königlichen Louvre, der damals eine Colonnade von Thürmen besaß. Aber da lagen die Hauptmassen, die man unterschied, sobald das Auge sich in diesen Gebäudewogen zurechtzufinden begann.
Zuerst die der Altstadt. Die Häuserinsel der Altstadt ist, wie Sauvel sagt, der bei seinem sonst schwülstigen Stile zeitweilig recht glücklich in der Darstellungsweise ist, – »die Häuserinsel der Altstadt ist wie ein großes Schiff geformt, das im Schlamme aufgefahren ist und im Stromlauf der Seine festsitzt«. Wir haben eben erzählt, daß dieses »Schiff« zwischen beiden Flußufern im fünfzehnten Jahrhunderte von fünf Brücken geentert war. Diese Schifssgestalt ist auch den Heraldikern aufgefallen; denn daher, und nicht von der Belagerung der Stadt durch die Normannen, stammt, zufolge Favyns und Vasquiers, das Schiff, welches das alte Wappen von Paris kennzeichnet. Für den, welcher es zu erklären weiß, ist die Wappenkunde bald eine Berechnung, bald eine Sprache. Die ganze Geschichte der zweiten Hälfte des Mittelalters ist in der Wappenkunde niedergeschrieben, ähnlich wie die Geschichte ihrer ersten Hälfte in der Symbolik der romanischen Kirchenbauwerke. Es sind die Hieroglyphen der Feudalherrschaft nach denen der Kirchenherrschaft.
Die Altstadt zeigte sich also zuerst dem Beschauer mit der Hinterfront nach Osten und der Vorderfront nach Westen. Nach der letztern hingewandt sah man eine endlose Reihe von alten Dächern vor sich, über denen, ähnlich dem Rücken eines Elephanten, der seinen Thurm trägt, die bleigedeckte Kuppel der Heiligen Kapelle mächtig sich rundete. Nur hier erschien dieser Kuppelbau als der kühnste, freieste, kunstvollste und zackenreichste Thurm, der jemals den Himmel durch seinen durchbrochenen Kegel sehen ließ. Ziemlich nahe vor Notre-Dame mündeten drei Straßen in den Vorhof, einen schönen Platz voll alterthümlicher Häuser, ein. Auf der Südseite dieses Platzes neigte sich die furchenreiche und düstere Façade des Hôtel-Dieu; sein Dach schien mit Beulen und Warzen bedeckt zu sein. Dann erhoben sich rechts und links, nach Morgen und Abend zu, in dem doch so engen Umkreise der Altstadt, die Thürme seiner einundzwanzig Kirchen jeden Alters, jeder Gestalt, jeder Größe vom niedrigen und wurmstichigen, im romanischen Stile gehaltenen Glockenthurme von Saint-Denis-du-Pas (carcer Glaucini) an, bis zu den schlanken Spitzen von Saint-Pierre-aux-Boeufs und Saint-Landry. Hinter Notre-Dame im Norden zeigten sich das Kloster mit seinen gothischen Galerien, im Süden die halbromanisch gehaltene Residenz des Bischofs, im Osten die wüste Spitze des Terrains. Ferner unterschied das Auge in diesem Meere von Häusern mit ihren hohen Fenstergiebeln von durchbrochenem Steine, welche damals selbst die äußersten Dachfenster der Paläste krönten, das Schloß, welches unter Karl dem Sechsten von der Stadt dem Juvenal-des-Ursins geschenkt worden war; ein Stück weiter davon die Theerdachhütten des Gemüsemarktes; weiter noch das neue Chorhaus von Saint-Germain-le-Vieux, welches 1458 durch ein Ende der Rue-aux-Fabves erweitert wurde; dann sah man über freie Plätze hinweg einen Scheideweg, der vom Volke gesperrt wurde; einen an der Straßenecke errichteten Pranger; ein hübsches Stück Straßenpflaster, das Philipp August hatte herstellen lassen, jenes prächtige Plattenpflaster, welches in der Mitte der Bahn für die Pferde gelegt worden war und im sechzehnten Jahrhunderte leider durch die elende Sandaufschüttung, »Pflaster der Ligue« genannt, ersetzt wurde; dann einen öden Hinterhof mit einem jener durchsichtigen Treppenthürmchen, wie man sie im fünfzehnten Jahrhunderte baute, und wie man noch einen in der Rue-des-Bourdonnais sieht. Endlich, rechts von der heiligen Kapelle, gen Westen, streckte der Justizpalast am Ufer des Wassers seine Thurmgruppe in die Luft. Der Hochwald der königlichen Gärten, welche die westliche Spitze der Altstadt bedeckten, verbargen den Fährmannswerder. Was den Strom betrifft, so bemerkte man ihn von der Höhe der Notre-Damethürme kaum auf beiden Seiten der Altstadt: die Seine verschwand unter den Brücken, diese unter den Häusern.
Und wenn der Blick über diese Brücken hinaus flog, deren Hausdächer dem Auge moosig erschienen und vor der Zeit von den Wasserdünsten mit Schimmel überzogen waren, dann links nach der Südstadt sich zuwandte, so war das nächste Bauwerk, auf das er fiel, ein Haufen niedriger und umfangreicher Thürme: Klein-Châtelet, dessen gähnende Thorhalle an das Ende der Kleinen Brücke stieß; wenn dann der Blick des Beschauers das Ufer von Osten nach Westen, von La-Tournelle bis zum Nesle-Thurme überflog, traf er auf eine lange Häuserreihe mit geschnitztem Balkenwerke, buntfarbigen Fenstern, mit Stockwerken, die in die Straße heraustraten – ein unbegrenztes Zickzack von Bürgerhäusern, das häufig von der Mündung einer Straße, zeitweilig auch von der Front oder der Hinterseite eines großen steinernen Palastgebäudes unterbrochen wurde, das sich mit seinen Höfen und Gärten, Flügeln und Seitengebäuden mitten in diesem zusammengepreßten und dichten Häuserknäuel wie ein vornehmer Herr in einer Rotte Bauern spreizte. Fünf bis sechs dieser Palastgebäude standen am Quai, und zwar vom Lothringerhause an, das mit den Bernhardinern den großen Nachbarbezirk von La-Tournelle theilte, bis zum Palaste Nesle, dessen Hauptthurm das Terrain der Stadt Paris abgrenzte, und dessen spitze Dächer gewohnt waren, drei Monate des Jahres hindurch ihre dunkeln Giebelfelder von der rothglühenden Scheibe der Abendsonne vergoldet zu sehen.
Diese Seite der Seine zeigte übrigens von beiden den geringsten Handelsverkehr; die Studenten verursachten hier mehr Lärm und Gedränge, als die Gewerbetreibenden, und einen Quai gab es eigentlich nur von der Sanct-Michaelbrücke bis zum Nesle-Thurme. Der übrige Theil des Seineufers war theils nackter Strand, wie jenseits des Bernhardinerklosters, theils eine Häuserreihe, deren Grundmauern im Wasser standen, wie zwischen den beiden Brücken.
Großen Lärm verursachten hier die Wäscherinnen; sie schrien, schwatzten, sangen vom Morgen bis zum Abende am Ufer hin und klopften tüchtig die Wäsche, wie in unsern Tagen. Und diese Art Fröhlichkeit ist nicht die geringste in Paris.
Das Universitätsviertel war für das Auge ein Block. Es bildete von einem Ende bis zum andern ein gleichartiges und geschlossenes Ganze. Diese Tausende von dichtgedrängten, winkligen, aneinander klebenden, beinahe alle nach einer geometrischen Grundregel errichteten Dächer machten, aus der Höhe gesehen, den Eindruck einer Krystallisirung, die aus demselben Stoffe entstanden war. Das regellose Straßennetz zerriß diese Häusermasse nicht in so ungleiche Stücke. Die zweiundvierzig Hörsäle waren hier in ziemlich gleichmäßiger Weise vertheilt, und es gab deren hier überall. Die mannigfaltigen und interessanten Firste dieser schönen Gebäude waren das Erzeugnis der nämlichen Kunstrichtung, wie die schlichten Dächer, welche sie überragten, und im Grunde nichts weiter, als eine Wiederholung derselben geometrischen Figur in Quadrat- oder Kubikform. Sie variirten nämlich die Einheitlichkeit, ohne sie zu verwirren, bereicherten, ohne zu überladen; denn die Geometrie ist eine Harmonie. Einige schöne Hôtels erhoben hier und da ihre prächtigen Formen über die malerischen Dachstockwerke auf dem linken Flußufer: z.B. das Haus Nevers, das römische Haus, das Reimser Haus, die verschwunden sind, der Palast Cluny, welcher zum Troste jedes Künstlers noch vorhanden ist, und dessen Thurm man so thörichterweise vor einigen Jahren seines Helmes beraubt hat. Neben Cluny, diesem Palastbaue im romanischen Stile mit schönen Rundbogenformen, lagen die Thermen des Kaisers Julian. Dann befanden sich hier eine Menge Abteien von bescheidenerem Glanze und ernsterer Größe, die jedoch nicht weniger schön und vornehm, als die Palastbauten waren.