Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek
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Schwejk im Garnisonsarrest
Die letzte Zuflucht jener, die nicht an die Front gehen wollten, war der Garnisonsarrest. Ich kannte einen Supplenten, der, da er als Mathematiker nicht bei der Artillerie schießen wollte, einem Oberleutnant eine Uhr stahl, um in den Garnisonsarrest zu kommen. Er tat dies mit voller Überlegung. Der Krieg imponierte ihm nicht und bezauberte ihn nicht. Auf den Feind zu schießen und auf der Gegenseite ebenso unglückliche Mathematik-Supplenten mit Schrapnells und Granaten zu erschlagen, hielt er für einen Blödsinn.
»Ich will nicht als Gewalttäter gehaßt werden«, sagte er sich und stahl seelenruhig die Uhr. Man prüfte zuerst seinen Geisteszustand, und als er erklärte, er habe sich bereichern wollen, schaffte man ihn in den Garnisonsarrest. Es gab mehr solcher Menschen, die wegen Diebstahls oder Betrügereien im Garnisonsarrest saßen. Idealisten und Nichtidealisten, Menschen, die den Krieg für eine Einnahmequelle hielten, diverse Rechnungsunteroffiziere im Hinterland und an der Front, die alle möglichen Betrügereien mit der Menage und der Löhnung begingen, und dann die kleinen Diebe, tausendmal ehrenhafter als die Kerle, von denen sie hierhergeschickt wurden. Außerdem saßen im Garnisonsarrest Soldaten wegen verschiedener anderer Delikte rein militärischer Art, wie Subordinationsverletzung, versuchter Meuterei, Desertion. Ein besonderer Typus waren die Politiker, von denen achtzig Prozent vollständig unschuldig waren und von denen wiederum neunundneunzig Prozent verurteilt wurden. Der Apparat der Auditoren war großartig. Einen solchen mächtigen Gerichtsapparat besitzt jeder Staat vor dem allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und moralischen Zusammenbruch. Der Glanz der ehemaligen Macht und des früheren Ruhms wird durch die Gerichte, die Polizei, die Gendarmerie und den käuflichen Mob der Angeber erhalten.
In jedem Truppenkörper hatte Österreich seine Spitzel, welche die Kameraden anzeigten, die mit ihnen auf denselben Kavalletts schliefen und auf dem Marsch ihr Brot mit ihnen teilten.
Die Staatspolizei – die Herren Klíma, Slavícek & Co. – lieferte dem Garnisonsarrest ebenfalls Material. Die Militärzensur lieferte hierher die Autoren der Korrespondenz, die zwischen der Front und jenen geführt wurde, die daheim verzweifelt zurückgeblieben waren. In dieses Gefängnis brachten die Gendarmen auch alte Ausgedinger, die Briefe an die Front schickten, und das Kriegsgericht brummte ihnen für ihre Trostesworte und ihre Schilderung der Not daheim zwölf Jahre auf.
Aus dem Hradschiner Garnisonsarrest führte auch ein Weg über Břevnov auf den Motoler Exerzierplatz. Voran schritt in Begleitung von Bajonetten ein Mensch mit Ketten an den Händen, und ihm folgte ein Wagen mit einem Sarg. Auf dem Motoler Exerzierplatz erscholl dann der kurze Befehl: »An! Feuer!« Und in allen Regimentern und Bataillonen verlas man den Regimentsbefehl, daß man wieder einen Soldaten wegen Auflehnung erschossen habe. Er hatte sich nämlich gegen seinen Hauptmann gewendet, als dieser der Frau des Armen, die sich von ihm nicht trennen konnte, einen Säbelhieb versetzte.
Und im Garnisonsarrest führte die Dreieinheit: Stabsprofos Slawik, Hauptmann Linhart und Feldwebel Řepa, auch »Henker« genannt, das Weitere durch! Wie viele prügelten sie in der Einzelhaft zu Tod! Mag sein, daß Hauptmann Linhart auch heute in der Republik Hauptmann ist. Ich wünschte, man würde ihm die Dienstjahre im Garnisonsarrest einrechnen, Slavícek und Klíma werden sie von der Staatspolizei eingerechnet. Řepa ist ins Zivil zurückgekehrt und geht wiederum seiner Beschäftigung als Maurermeister nach. Vielleicht ist er Mitglied eines patriotischen Vereines.
Stabsprofos Slawik wurde in der Republik zum Dieb und ist heute eingesperrt. Der Arme hat in der Republik nicht so festen Fuß gefaßt wie andere Herren …
Es war ganz natürlich, daß Stabsprofos Slawik, als er Schwejk in Empfang nahm, einen Blick voll stummer Vorwürfe auf ihn richtete.
»Auch du hast also schon einen Fleck auf der Reputation, daß du bis zu uns gekommen bist? Wir werden dir den Aufenthalt hier schon versüßen, Freunderl, wie allen, die in unsere Hände gefallen sind. Unsere Hände sind keine Damenhändchen.«
Und dann hielt er, um seinem Blick Nachdruck zu verleihen, Schwejk seine sehnige, dicke Faust unter die Nase und sagte: »Riech einmal, Lump!«
Schwejk roch und bemerkte: »Mit der möcht ich keine in die Nase kriegen wolln, das riecht nach Friedhof.«
Diese ruhige, bedächtige Sprache gefiel dem Stabsprofos.
»He«, sagte er, Schwejk mit der Faust in den Bauch stoßend, »steh grad, was hast du in den Taschen? Wenn du eine Zigarette hast, kannst du dir sie lassen, das Geld gibst du her, damit sie dirs nicht stehlen. Mehr hast du nicht? Wirklich nicht? Lüg nicht, Lüge wird bestraft.«
»Wohin stecken wir ihn?« fragte Feldwebel Řepa.
»Auf Nummer 16«, entschied der Stabsprofos, »zwischen die in den Unterhosen. Sehen Sie denn nicht, daß auf dem Schriftstück vom Herrn Hauptmann Linhart aufgeschrieben steht: ›Streng bewachen, beobachten‹?« – »Ja, ja«, verkündete er Schwejk feierlich, »mit Gaunern verfährt man wie mit Gaunern. Wenn sich jemand auflehnt, dann schleppen wir ihn in den ›Einzel‹, brechen ihm alle Rippen und lassen ihn liegen, bis er krepiert. Dazu haben wir ein Recht. Wie wirs mit diesem Fleischer gemacht ham, nicht wahr, Řepa?«
»Na ja, der hat uns Arbeit gegeben, Herr Stabsprofos«, antwortete Feldwebel Řepa träumerisch, »das war ein Körper! Ich bin über fünf Minuten auf ihm herumgetrampelt, bevor ihm die Rippen zu krachen angefangen ham und das Blut ausm Maul geflossen is. Und er hat noch zehn Tage gelebt. Er war nicht zum Umbringen!«
»Also siehst du, du Lump, so gehts bei uns zu, wenn sich jemand auflehnt«, schloß der Stabsprofos seine pädagogische Erklärung, »oder wenn er davonlaufen will. Das is eigentlich Selbstmord, der bei uns auch so gestraft wird. Oder Gott behüte, daß dir, du Schweinehund, einfallen sollt, bis eine Inspektion kommt, dich über etwas zu beschweren. Wenn die Inspektion kommt und fragt: ›Haben Sie irgendeine Beschwerde?‹ – dann mußt du, Saukerl, Habtacht stehn, salutieren und antworten: ›Melde gehorsamst, ich hab keine, ich bin ganz zufrieden.‹ – Wie wirst dus sagen, Trottel? Wiederhols!«
»Melde gehorsamst, ich hab keine, ich bin ganz zufrieden«, wiederholte Schwejk mit einem so sanften Ausdruck, daß der Stabsprofos es irrtümlicherweise für aufrichtiges Entgegenkommen und Ehrlichkeit hielt.
»Also zieh dich in Unterhosen aus und komm auf Nummer 16«, sagte er freundlich, ohne auch nur Lump, Trottel oder Saukerl hinzuzufügen, wie er dies in der Gewohnheit hatte.
In Nummer 16 traf Schwejk mit zwanzig Männern in Unterhosen zusammen. Es waren diejenigen, auf deren Akten die Bemerkung stand: »Streng bewachen, beobachten!« und die man jetzt sehr sorgfältig bewachte, um ihnen keine Gelegenheit zum Entwischen zu geben.
Wenn diese Unterhosen sauber und nicht die Gitter in den Fenstern gewesen wären, dann hätte man auf den ersten Blick geglaubt, daß man sich in der Garderobe eines Bades befinde.
Schwejk wurde von Feldwebel Řepa dem »Zimmerkommandanten« übergeben, einem unrasierten Kerl in offenstehendem Hemd. Der notierte Schwejks Namen auf ein Blatt Papier, das an der Wand hing, und sagte ihm: »Morgen gibts eine große Hetz. Man wird uns in die Kapelle zur Predigt führen. Wir, die in Unterhosen, stehn grad unter der Kanzel. Das wird eine Hetz sein!«
So wie in allen Gefängnissen und Strafanstalten, erfreute sich auch im Garnisonsarrest die Hauskapelle einer großen Beliebtheit. Es handelte sich darum, die Besucher durch den erzwungenen Besuch