Heidi. Johanna Spyri
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Читать онлайн книгу Heidi - Johanna Spyri страница 6
„So, General, nun bist du im Feuer gewesen und brauchst Stärkung!“ Damit stand der Großvater auf und holte das Abendessen aus dem Schrank hervor. Der Peter tat seine runden Augen ganz weit auf, als er sah, welch ein mächtiges Stück von dem schönen getrockneten Fleisch der Alm-Öhi ihm auf seine dicke Brotschnitte legte. Als er nun „Gute Nacht“ und „Dank Euch Gott“ gesagt hatte und schon unter der Tür war, kehrte er sich noch einmal um und sagte: „Am Sonntag komm’ ich wieder, heut über acht Tag’, und du solltest auch einmal zur Großmutter kommen, hat sie gesagt.“
Das war ein ganz neuer Gedanke für Heidi, dass es zu jemandem gehen sollte. Und gleich am folgenden Morgen war Heidis erstes Wort: „Großvater, jetzt muss ich gewiss zu der Großmutter hinunter, sie erwartet mich.“
„Es hat zu viel Schnee“, erwiderte der Großvater abwehrend.
Am vierten Tage, als draußen die ganze Schneedecke ringsum hart gefroren war, aber eine schöne Sonne ins Fenster guckte, stieg der Öhi auf den Heuboden hinauf, brachte die dicke Decke herunter und sagte: „So komm!“
In großer Freude hüpfte das Kind ihm nach in die glitzernde Schneewelt hinaus.
Der Großvater war in den Schuppen gegangen und kam nun heraus mit einem breiten Stoßschlitten Er setzte sich hin, nahm das Kind auf seinen Schoß, wickelte es um und um in die Decke ein und drückte es fest mit dem linken Arm an sich. Dann umfasste er mit der rechten Hand die Stange und gab einen Ruck mit beiden Füßen. Der Schlitten schoss davon, dass das Heidi meinte, es fliege wie ein Vogel. Auf einmal stand der Schlitten still, gerade bei der Hütte vom Geißenpeter. Der Großvater stellte das Kind auf den Boden, wickelte es aus seiner Decke heraus und sagte: „So, nun geh hinein, und wenn es anfängt dunkel zu werden, dann komm wieder heraus, und mach’ dich auf den Weg!“
Als Heidi in das Stüblein trat, stand es gleich vor dem Tisch, daran saß eine Frau und flickte Peters Wams. In der Ecke saß ein altes, gekrümmtes Mütterchen und spann. Heidi wusste gleich, woran es war; es ging geradeaus auf das Spinnrad zu und sagte: „Guten Tag, Großmutter.“
Die Großmutter hob den Kopf und suchte die Hand, die gegen sie ausgestreckt war, und als sie diese erfasst hatte, befühlte sie sie erst eine Weile nachdenklich in der ihrigen, dann sagte sie: „Bist du das Kind droben beim Alm-Öhi, bist du das Heidi?“
„Ja, ja“, bestätigte das Kind, „jetzt gerade bin ich mit dem Großvater im Schlitten heruntergefahren.“
„Es muss doch etwas daran sein, was der Peter so erzählt vom Alm-Öhi“, sagte die Großmutter; „ich dachte, das Kind lebte keine drei Wochen da oben! Wie sieht es auch aus, Brigitte?“
„Es ist fein gegliedert, wie die Adelheid war“, gab sie zur Antwort, „aber es hat die schwarzen Augen und das krause Haar, wie es der Tobias hatte und auch der Alte droben; ich glaube, es sieht den zweien gleich.“
Unterdessen war Heidi nicht müßig geblieben; es hatte ringsum geguckt und alles genau betrachtet, was da zu sehen war. Jetzt sagte es: „Sieh, Großmutter, dort schlägt es einen Laden immer hin und her, und der Großvater würde auf der Stelle einen Nagel einschlagen, dass er wieder festhält.“
„Ach, du gutes Kind“, sagte die Großmutter, „sehen kann ich es nicht, aber hören kann ich es wohl. Es kracht und klappert überall, wenn der Wind kommt. Es hält nichts mehr zusammen, und in der Nacht, wenn sie beide schlafen, ist es mir manchmal so angst und bang, es falle alles über uns zusammen und schlage uns alle drei tot. Ach, und da ist kein Mensch, der etwas ausbessern könnte an der Hütte; der Peter versteht’s nicht.“
„Aber warum kannst du denn nicht sehen, Großmutter? Sieh, jetzt wieder, dort, gerade dort!“ Und Heidi zagte die Stelle deutlich mit dem Finger.
„Ach, Kind, ich kann ja gar nichts sehen, gar nichts mehr“, klagte die Großmutter.
Jetzt brach Heidi in lautes Weinen aus. Voller Jammer schluchzte es fortwährend: „Wer kann dir denn helfen? Kann es gar niemand?“ Die Großmutter suchte nun das Kind zu trösten, aber es gelang ihr nicht so bald.
Jetzt kam dem Heidi ein neuer Gedanke, und es fing an von seinem Leben mit dem Großvater und von den Tagen auf der Weide und von dem jetzigen Winterleben mit dem Großvater zu erzählen. Die Großmutter hörte mit großer Aufmerksamkeit zu.
Mit einemmal wurde die Erzählung unterbrochen durch ein großes Gepolter an der Tür, und herein stampfte der Peter. Als er das Heidi erblickte, schnitt er die aller freundlichste Grimasse:
„Ist denn das möglich, dass der schon aus der Schule kommt?“, rief die Großmutter ganz verwundert aus; „so geschwind ist mir seit manchem Jahr kein Nachmittag vergangen! Guten Abend, Peterli, wie geht es mit dem Lesen?“
„Gleich“, gab der Peter zur Antwort.
„So, so“, sagte die Großmutter ein wenig seufzend, „ich habe gedacht, es gäbe vielleicht eine Änderung.“
„Warum muss es eine Änderung geben, Großmutter?“, fragte Heidi gleich mit Interesse.
„Ich meine nur, dass er das Lesen noch hätte lernen können“, sagte die Großmutter. „Ich habe dort oben auf dem Gestell ein altes Gebetbuch, da sind schöne Lieder drin, die habe ich so lange nicht mehr gehört, und im Gedächtnis habe ich sie auch nicht mehr; nun habe ich gehofft, wenn der Peterli nun lesen lerne, so könne er mir manchmal ein gutes Lied vorlesen. Aber es ist ihm zu schwer.“
„Ich denke, ich muss Licht machen, es wird ja schon ganz dunkel“, sagte jetzt Peters Mutter, die immer emsig am Wams fortgeflickt hatte: „der Nachmittag ist mir auch vergangen, ohne dass ich’s merkte.“
Nun sprang Heidi von seinem Stühlchen auf, streckte eilig seine Hand aus und sagte: „Gut’ Nacht, Großmutter, ich muss heim, wenn es dunkel wird“.
Die Großmutter rief besorgt: „Wart’, wart’, Heidi; so allein sollst du nicht fort, der Peter muss mit dir, hörst du?“
Die Kinder hatten aber kaum ein paar Schritte den Berg hinan getan, so sahen sie von oben herunter den Großvater kommen. Er packte das Kind wieder fest in seine Decke ein, nahm es auf seinen Arm und stieg den Berg hinauf.
Sobald sie oben angekommen waren, sagte das Heidi: „Großvater, morgen müssen wir den Hammer und die großen Nägel mitnehmen und den Laden festmachen bei der Großmutter und sonst noch viele Nägel einschlagen, denn es kracht und klappert alles bei ihr.“
Heidi hatte sich an den Großvater angeklammert und schaute mit zweifellosem Vertrauen zu ihm auf. Der Alte sagte: „Ja, Heidi, wir wollen dafür sorgen, dass es nicht mehr so klappert bei der Großmutter.“
Der Großvater hielt Wort. Am folgenden Nachmittag wurde dieselbe Schlittenfahrt ausgeführt. Wie am vorhergehenden Tag stellte der Alte das Kind vor die Tür der Geißenpeter-Hütte nieder und sagte: „Nun geh hinein, und wenn’s Nacht wird, komm wieder!“ Kaum hatte Heidi