Dr. Laurin Classic 40 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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An dem Tag, an dem der neue Assistenzarzt Dr. Lars Petersen seinen Dienst in der Prof.-Kayser-Klinik antrat, machte Dr. Leon Laurin die Bekanntschaft von Tamara Roth.
Irgendwie war ihm der Name gleich vertraut, als Hanna Bluhme ihm die neu ausgeschriebene Karteikarte auf den Schreibtisch legte.
Vor ein paar Tagen war Leon Laurin auf Drängen seiner Zwillinge zu einer Elternversammlung in die Schule gegangen. Insgeheim hatte er zwar die Hoffnung gehegt, daß man ihn nicht in den Elternbeirat wählen würde, da es eine ganze Anzahl anderer Bewerber gab. Konstantin und Kaja hatten ihn so lange beschwatzt gehabt, bis er sich ihnen zuliebe nominieren ließ. Er war nun mal Vater von vier Kindern, und da hatte man eben gewisse Pflichten. Mit Kritik hielt er dann auch nicht zurück und so entfielen auf ihn die meisten Stimmen.
An diesem Abend hatte er auch den Lehrer seiner Zwillinge, Jürgen Roth, kennengelernt. Er war ein kluger und toleranter Pädagoge. Leon Laurin hatte sich lange mit ihm unterhalten. Er hatte den allerbesten Eindruck von ihm gewonnen, und das gleiche konnte er nun sagen, als Tamara Roth, die junge Frau des Lehrers, ihm gegenübersaß.
Tamara Roth war schon im sechsten Monat der Schwangerschaft, aber man sah ihr noch gar nicht soviel an.
»Jetzt möchte ich aber doch so langsam wieder mal wissen, ob alles in Ordnung ist«, sagte sie zu Dr. Laurin.
Es war nicht das erste Mal, daß eine Patientin zu ihm kam, die so sorglos die Zeit der Schwangerschaft durchlebte.
»Haben Sie einen Mutterpaß?« fragte er nur.
Sie sah ihn verlegen an. »Nein.«
Er mußte lächeln.
»Das ist in unserer Klinik üblich«, erklärte er. »Es werden das Normalgewicht, die Körpergröße, Blutgruppe und so weiter eingetragen. Vor allem der Rhesusfaktor muß festgestellt werden. Aber das können wir nachholen, falls es noch nicht geschehen ist. Es ist Ihr erstes Kind?«
Tamara Roth errötete flüchtig. »Ja«, erwiderte sie leise. Ein Unterton war in ihrer Stimme, der ihn stutzig machte. Er sah sie forschend an, sagte aber nichts.
»Dann werden wir Ihnen gleich mal Blut abzapfen«, fuhr er in seiner verbindlichen Art fort.
Das machte der neue Arzt Dr. Petersen. Tamara Roth musterte ihn kurz und lächelte.
»Es ist nett, daß Dr. Laurin auch bezüglich seiner Ärzte keine Vorurteile hegt«, sagte sie.
»Wie meinen Sie das?« fragte Dr. Petersen reserviert.
Tamara Roth wurde verlegen. »Mißverstehen Sie mich bitte nicht. Mein Mann ist auch Bartträger. Er ist Lehrer, und da hat es allerlei Schwierigkeiten gegeben.«
»Tatsächlich? Woran die Menschen nur Anstoß nehmen«, bemerkte er ironisch. »Man kann sich nur wundern.«
»Was hat es eigentlich mit dem Rhesusfaktor auf sich?« fragte Tamara Roth.
»Nun, fünfundachtzig Prozent der Menschen sind Rhesus positiv, fünfzehn Prozent Rhesus negativ. Es kann zu Komplikationen führen, wenn die Eltern des Kindes verschiedene Rhesusfaktoren haben. Aber glücklicherweise ist das ja selten der Fall.«
»Bei uns hoffentlich nicht«, sagte Tamara. Sie war so optimistisch eingestellt, daß sie gar nicht mehr wissen wollte. Dr. Laurin war schon auf der Station, als sie sich von Hanna verabschiedete, die ihr sagte, daß sie in drei Tagen nochmals kommen solle, dann würde sie auch ihren Mutterpaß mit allen Eintragungen bekommen.
Tamara Roth trat den Heimweg an. Es war ein schöner, warmer Tag. Sie ließ sich Zeit und ging durch den Wald. Es war ein Umweg, aber Jürgen kam ohnehin erst gegen halb zwei Uhr heim, und bis dahin hatte sie noch viel Zeit.
Daheim angekommen, öffnete sie alle Fenster der hübschen Parterrewohnung. Sie liebte frische Luft, die Natur überhaupt, und auch darin stimmte sie mit Jürgen überein.
Das Essen hatte sie schon vorbereitet. Jürgen war mit allem zufrieden, und das konnte er auch sein, denn Tamara verstand es, auch mit einfachen Mitteln ein wohlschmekkendes Essen zu bereiten. Ordentlich war sie von zu Haus aus, denn ihrer Mutter hatte sie frühzeitig helfen müssen, da sie noch drei kleine Geschwister hatte.
Doch auch in ihrem Leben, das an sich bisher ohne Komplikationen verlaufen war, gab es eine kurze Zeitspanne, an die sie sich nicht mehr erinnern wollte und die sie meinte, aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben.
Jetzt freute sie sich auf die Heimkehr ihres Mannes. Jürgen konnte endlich beruhigt sein, daß sie seinem Drängen nachgegeben und Dr. Laurin aufgesucht hatte.
Vor drei Tagen war die Elternversammlung gewesen, und danach hatte Jürgen von Dr. Laurin erzählt.
»Ein phantastischer Mann«, hatte er gesagt, und da er sonst nie in Superlativen über einen Menschen redete, wußte Tamara gleich, wie tief beeindruckt er war.
»Mit Dr. Laurin kann man reden«, sagte er. »Wenn alle Väter so wären, gäbe es kaum Schwierigkeiten. Man merkt es ja auch sofort an den Kindern. Wenn du in seine Klinik gehst, Tamara, weiß ich dich bestens aufgehoben.«
Nun hatte auch sie Dr. Laurin kennengelernt und verstand Jürgens Begeisterung. Solch einen Arzt hatte sie in ihrem Leben noch nicht kennengelernt. Aber Dr. Petersen fand Tamara auch sehr nett, nicht nur deswegen, weil er einen Bart hatte wie ihr Mann.
Punkt halb zwei Uhr kam er heim. Tamara hörte seinen Wagen schon von weitem.
Tamara eilte zur Tür. Mittelgroß, schlank, mit blondem Haar und Bart, stand ihr Mann vor ihr. Er begrüßte Tamara mit einem zärtlichen Kuß.
»Warst du bei Dr. Laurin?« war dann seine erste Frage.
»Ja, ich hatte es dir doch versprochen«, erwiderte Tamara.
»Da bin ich aber froh. Alles in Ordnung?« Er sah sie besorgt an, obgleich es eigentlich keinen Anlaß gab.
»Soweit schon, aber er macht alles sehr gründlich. Ich bekomme noch einen Mutterpaß – wegen des Rhesusfaktors. Hast du das gewußt?«
»Daß es einen gibt – schon.«
Selbst bei dem bescheidensten Essen sparte er nicht an Lob.
»Wir müssen doch ein bißchen was auf der hohen Kante haben, wenn ich in die Klinik muß«, sagte Tamara. »Dann mußt du auswärts essen, Jürgen. Daran darf es nicht fehlen.«
»Denk lieber an dich, Tamara«, sagte er.
Er streichelte sacht über ihre Wange. »Es sind ja noch ein paar Monate bis dahin, und außerdem sollst du daran wirklich keine Gedanken verschwenden. Schau, uns Lehrern geht es so gut. Wir haben doch viel Freizeit.«
»Hat das wieder einer gesagt?« fragte sie.
»Das bekommt man fast tagtäglich zu hören. Ich mache mir nichts daraus. Du kannst es glauben, Tamara«, sagte er betont, als sie ihm einen schrägen Blick zuwarf. »Ich weiß nicht, wie es kommt, aber seit ich Dr. Laurin kennengelernt habe, bin ich viel selbstbewußter. Er hat meine Ansichten akzeptiert. Anerkennung von einem solchen Mann zählt doppelt, und die Kritik von anderen verliert dadurch an Schärfe.«
»An deinen Bart wird man sich auch noch gewöhnen«, meinte Tamara.