Familie Dr. Norden Classic 40 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Eine Gehirnerschütterung und Prellungen, vor allem aber ein traumatischer Schock.«
Kai sah ihn mit einem seltsam nachdenklichen Ausdruck an. »Sie könnte eine große Enttäuschung erlebt haben«, sagte er gedankenverloren.
»Sind Sie Psychologe?« fragte Inspektor Scholtz.
»Nein, das nicht, aber ich bin Personalchef bei ACRA und da braucht man Menschenkenntnis und Intuition. Haben Sie schon mit Herder gesprochen?«
»Nein, er ist zur Zeit nicht erreichbar.«
»Ich habe keine Gespenster gesehen«, sagte Kai mit fester Stimme.
»Ich darf auf Sie zurückkommen?«
»Selbstverständlich.«
Inspektor Scholz dachte sich sein Teil. Da wohnten zwei Männer im gleichen Haus, die sich aber nur flüchtig kannten und allem Anschein nach sehr unterschiedlichen Charakters waren. Jedenfalls schien es Herder mit der Treue nicht genau zu nehmen, und Kai Erlander war ein Mann mit Verantwortungsbewußtsein. Wenn er nicht so reagiert hätte, hätte es für Melissa Vollmer schlimme Folgen haben können.
*
Simone machte sich darüber keine Gedanken, während Till Herder immer noch nicht wußte, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte. Er mied seine Wohnung, wollte den Schein aufrecht erhalten, daß er ein paar Tage nicht anwesend sei, hatte sich in einer kleinen Pension außerhalb der Stadt ein Zimmer gemietet, und auch Simone nicht verraten, wo er sich aufhielt.
Sie war wütend, hatte sie doch gedacht, ihn ganz unter ihren Einfluß zu bringen. Sie hatte große Pläne mit ihm. An dem Mann war sie nicht interessiert, denn Männer waren für sie auch nur wichtig, wenn sie ihr nützlich sein konnten. Bei Till spielte es vor allem eine Rolle, daß er Pilot war, denn sie brauchte einen für gewisse Unternehmungen, und dann war es ihr auch eine Genugtuung, daß sie Melissa eine Niederlage hatte bereiten können. Melissa war ihr schon lange ein Dorn im Auge, und lange genug hatte sie ihr Freundschaft geheuchelt.
Melissa besaß alles, was sie so gern besitzen wollte. Ihre Eltern spielten eine Rolle in der Gesellschaft, waren vermögend und angesehen und Melissa hatte einen Freundeskreis, an den Simone nie Anschluß gefunden hatte. Sie war immer eine Außenseiterin geblieben, obgleich sie immer und überall betonte, Melissas beste Freundin zu sein. Aber da war auch noch Andrea Schweiger, die sich ihr gegenüber so betont reserviert verhielt, daß es auffallen mußte, und Andrea war diejenige, deren Meinung in allen Situationen sehr gefragt war, zum großen Ärger von Simone, die aber bei Andrea gar nichts erreichen konnte.
Andrea erfuhr von Manuela Lindenhoff, was Melissa widerfahren war.
Sie wunderte sich, als er sagte, daß sie öfter von Melissa gesprochen hätte.
»Warum fängst du jetzt davon an, Manuela. Sie ist mit einem Mann zusammen, den ich nicht ausstehen kann. Ich habe sie wirklich gemocht, aber verstanden habe ich sie manchmal nicht. Auch diese Freundschaft mit Simone Gorden ist mir suspekt.«
»Ich habe von meinem Vater erfahren, daß sie einen Unfall hatte und unter einem schweren Schock steht. Ich soll sie behandeln.«
»Was für einen Unfall hatte sie?« fragte Andrea. Er erklärte es ihr, und ihre feinen Augenbrauen hoben sich.
»Eine merkwürdige Geschichte. Sie ist ein sehr nettes Mädchen und es ist schade, daß sie an diesen Mann geraten ist.«
»Kennst du ihn denn so gut?« fragte Manuel.
»Zum Glück nicht gut, obgleich er mich auch mal anmachen wollte. Er gehört zu der Kategorie, die mit jeder attraktiven Frau anbandeln wollen.«
»Warst du nicht mit Melissa Vollmer befreundet?«
»Als wir jünger waren, waren wir oft zu dritt, aber Simone hat mich dann vergrault. Ich habe mich allerdings auch nie so ganz wohl gefühlt als Dritte. Meine Mutter war mit Frau Vollmer befreundet.«
»Jetzt nicht mehr?«
»Es hat sich nach Vaters Tod gelockert. Manchmal sehen sie sich noch, aber Mutti hat sich von allen zurückgezogen, da nützt kein Zureden. Mir gefällt es nicht, daß sie dauernd auf den Friedhof geht, aber wenn man mit einem Mann mehr als zwanzig Jahre verheiratet war, reißt es eine große Lücke, wenn er nicht mehr da ist. Sie waren sehr glücklich. Frau Vollmer ist noch glücklich mit ihrem Mann. Melissa kann froh sein, solche Eltern zu haben, aber sie gerät an einen Mann, der ein solcher Macho ist, daß sie mir nur leid tun kann.«
»Man sagt doch: Wo die Liebe hinfällt, bleibt sie liegen.«
Andrea lachte kurz auf. »Oder sie wird zertreten. Ich halte nichts von diesen seltsamen Weisheiten. Liebe ist ein weiter Begriff oder auch Auffassungssache.«
»Du hältst nicht viel davon?«
Ihr Blick schweifte in die Ferne. »Ich halte nichts von der Liebe auf den ersten Blick, weil jede Augenblicksstimmung sich schnell verflüchtigen kann. Man sollte immer einer Bewährungszeit ausgesetzt werden, um sicher zu gehen, daß es ein beständiges Gefühl ist.«
»Vielleicht ist das bei deiner Freundin jetzt der Fall.«
»Ich weiß nicht, ob ich Melissa als Freundin bezeichnen kann. Ich mag sie, aber diese Beziehung zu Simone hat mich immer gestört, aber anscheinend hat es da einen Knacks gegeben. Ich wünsche Melissa nur Gutes, und wenn du sie unter deine Fittiche nimmst, wird es ihr sicher bald bessergehen.«
*
Manuel fuhr zum Klinikum. Er hatte sich mit seinem Vater für elf Uhr verabredet und wußte, daß er pünktlich sein mußte. Er schaffte es, obgleich ziemlich viel Verkehr war.
Auch in der Eingangshalle herrschte Trubel, aber das war meistens der Fall. Trotzdem traf er in der Menge mit Kai Erlander zusammen. Er stutzte.
Manuel war noch erstaunter. »Was machst du denn hier, Kai?« fragte er. »Das ist wirklich ein Zufall. Wir haben uns lange nicht gesehen.«
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