Dr. Norden Classic 42 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Читать онлайн книгу Dr. Norden Classic 42 – Arztroman - Patricia Vandenberg страница 3
»Eine alte Schulfreundin ist kurz vor sechs noch in die Bäckerei gekommen. Mit der hat sie sich ziemlich lange unterhalten«, berichtete Tatjana freimütig. Bevor sie weitersprach, trank sie einen großen Schluck von Fees berühmter selbstgemachter Zitronenlimonade. »Auf dem Heimweg hat sie kaum mehr ein Wort gesprochen. Aber ich hab nicht rausgekriegt, was los ist. Sie hat mir noch mit den Torten geholfen und ist dann gleich in ihrem Zimmer verschwunden.«
Schweigend hatte Daniel zugehört. Jetzt trank er noch einen Schluck Bier und stellte die fast volle Flasche auf den Tisch.
»Ich muss mich eh noch umziehen. Dann sehe ich gleich mal nach ihr«, beschloss er, sich um seine jüngste Tochter zu kümmern.
Einen Moment lang verstummten die Gespräche, und aller Augen folgten ihm, ehe Felix seine Familie mit einem weiteren Witz zum Lachen brachte.
*
Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag Dési auf dem Bett und starrte an die Decke. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das Klopfen zuerst gar nicht hörte. Erst als Daniel die Tür öffnete, drehte sie den Kopf.
»Ach, du bist es, Dad«, seufzte sie und drehte sich wieder weg.
»Na, das nenn ich mal eine leidenschaftliche Begrüßung«, lächelte Daniel freundlich. »Darf ich reinkommen?«
»Na klar.«
Der Arzt schloss die Tür hinter sich und trat ans Bett seiner Tochter. Einen Moment lang blieb er ratlos davor stehen. Dann setzte er sich auf die Bettkante und suchte nach einer Möglichkeit, das Gespräch zu eröffnen.
»Tatjana hat erzählt, dass du hier oben bist«, begann er schließlich. »Du hast eine ehemalige Schulfreundin getroffen?«
Dési antwortete nicht sofort. Eine Weile kaute sie auf ihrer Unterlippe. Erst jetzt nahm sie die fröhlichen Stimmen, das ausgelassene Lachen wahr, das durch das gekippte Fenster in ihr Zimmer drang.
»Ist es nicht ungerecht, dass sich Menschen freuen können, während andere krank sind und Angst haben müssen?«, brach es plötzlich aus ihr heraus. Sie drehte sich zu ihrem Vater um und sah ihn fragend an.
Am liebsten hätte Dr. Norden direkt gefragt, an wen sie dabei dachte. Doch um Dési nicht zu verschrecken, wählte er den diplomatischen Weg.
»Auf der einen Seite hast du natürlich recht«, gab er unumwunden zu und griff nach Désis Teddybär, der in ihrem Bett schlafen durfte, seit sie ein Baby war. Mit einem Anflug von Wehmut streichelte er über das von allzu viel Liebe struppig gewordene Fell. »Andererseits wäre es doch eine Katastrophe, wenn alle Menschen mitleiden und Trauer tragen würden. Wer sollte den Hoffnungslosen dann Trost spenden und helfen?«
Diese berechtigte Frage leuchtete Dési ein. Ihr verschlossenes Gesicht entspannte sich ein bisschen, und schon wirkte sie etwas hoffnungsvoller.
»Du bist sooooo klug«, seufzte sie nach einem weiteren Moment und rappelte sich auf dem Bett hoch.
Daniel lachte.
»Ich bin sicher, dass du irgendwann auf dasselbe Ergebnis gekommen wärst.«
Doch auf diese Bemerkung ging Dési nicht ein. Offenbar hatte sie einen Entschluss gefasst, den sie sofort in die Tat umsetzen wollte.
»Hast du schon mal was von einer Langerhans-Zell-Histiozytose gehört?« Dieser komplizierte Begriff ging ihr so flüssig über die Lippen, dass Daniel nur staunen konnte.
»Hast du heimlich Medizin studiert?«, stellte er eine Gegenfrage und gab sich keine Mühe, seinen Stolz zu verbergen.
Zum Dank huschte ein feines Lächeln über Désis Gesicht. Spontan schlang sie die Arme um den Hals ihres Papis und drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Wange.
»Nein. Aber Valerie hat mir davon erzählt.«
»Langerhanszellen kommen in der Epidermis, also der Oberhaut des Menschen sowie in der Bauchspeicheldrüse vor«, erinnerte sich Daniel an das, was er einmal gelernt hatte. Darüber hinaus hatte er erst kürzlich in einem Fachblatte einen Artikel über diese Erkrankung gelesen. »Die Langerhans-Zell-Histiozytose ist eine ziemlich seltene und bisher nahezu unerforschte Krankheit«, repetierte er einen Teil des Artikels. »Meist erkranken Kinder unter zehn Jahren an diesem Wachstum infizierter Zellen, die in unterschiedlichsten Organen ungeordnet auftreten. An sich ist die Krankheit gutartig, kann aber einen bösartigen und tödlichen Verlauf nehmen.« Während er sprach, ruhte sein forschender Blick auf seiner Tochter. »Sag bloß, Valerie leidet an dieser heimtückischen Krankheit?«
Dési nickte düster.
»Sie war schon bei vielen Ärzten und hat Unmengen von Tabletten geschluckt. Aber bis jetzt konnte ihr keiner helfen«, berichtete sie in knappen Worten von dem, was Valerie ihr anvertraut hatte. »Vom Cortison ist sie total aufgeschwemmt. Sie sieht schrecklich aus. Am Anfang hätte ich sie fast nicht wiedererkannt.«
»Das arme Mädchen!«, entfuhr es Dr. Norden. In all den Jahren als Allgemeinmediziner hatte er nichts von seiner Fähigkeit zur Empathie verloren. Jedes einzelne Schicksal berührte ihn und sofort sann er über eine Lösung nach. »Willst du, dass ich sie mir mal ansehe?«
Mit dieser Frage hatte Dr. Norden seiner Tochter Mut machen wollen und war erschrocken darüber, sie nur noch tiefer in die Verzweiflung zu stürzen.
»Das ist es ja! Ich hätte dich und Mami sofort gefragt. Aber Valeries Eltern haben kein Vertrauen mehr in die Schulmedizin. Sie wollen die Behandlung abbrechen und mit ihr nach Holland zu irgendeinem Wunderheiler fahren. Zu einem, der seine Patienten in Trance versetzt und Hände und Kräuter auflegt«, brach all ihre Verzweiflung aus Dési hervor.
Daniel Norden war ein moderner Mediziner, der den verschiedensten Behandlungsmethoden aufgeschlossen gegenüber stand. In vielen Fällen verschrieb er selbst naturheilkundliche Mittel, manchmal als alleiniges Medikament, manchmal als unterstützende Therapie. Aber er wusste auch um die Grenzen alternativer Heilkunde besonders bei schweren Krankheiten wie Krebs.
»Ich hätte ja nichts dagegen, wenn sie diese Art von Behandlung zusätzlich anwendeten. Aber als alleinige Maßnahme …« Er hielt inne und schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, das scheint mir verantwortungslos zu sein.«
»Das seh ich genauso. Aber besonders ihre Mutter hat die Nase voll. Valerie hat irgendwas gemurmelt, dass ihre Mum schon einen Termin ausgemacht hat.«
»Und was ist mit ihrem Vater?«, hakte Daniel vorsichtshalber nach. »Wie steht er dazu?«
Ratlos zuckte Dési mit den Schultern. Bevor sie antworten konnte, ertönte ein unheimliches Grollen. Erschrocken starrte sie auf ihre Körpermitte.
»Oh, ich glaub, ich hab Hunger.«
Daniel Norden lächelte und stand auf.
»Dann sollten wir so schnell wie möglich runtergehen, bevor uns die anderen alles wegessen.« Er hielt seiner Jüngsten die Hand hin und half ihr vom Bett auf. »Und morgen rufst du mal Valerie an und fragst, ob sie mit ihrem Vater zu mir kommen will. Wer weiß, vielleicht haben wir ja doch noch eine Chance und er kann seine Frau überzeugen«, tat er seine Hoffnung kund.
Während Dési Hand in Hand mit ihrem Vater die Treppe hinunterstieg, war ihr Lächeln schon wieder