Mami Bestseller 55 – Familienroman. Myra Myrenburg
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»Aber…«, begann er und zwang sich und seine Stimme zur Ruhe, wurde jedoch sofort von Nora unterbrochen.
»Kein Aber, Fedja. Ich stehe das alles nicht noch mal durch, falls du weißt, was ich sagen will. Ich habe das einmal erlebt, ich bin jung gewesen damals und stark. Ich bin mit heiler Haut davongekommen. Aber ein zweites Mal – nein, ein zweites Mal durch diese Mühle – du hast ja keine Ahnung! – das schaffe ich nicht mehr, Fedja, heute nicht mehr. Ich will es auch nicht mehr. Die Welt ist voller reizender junger Männer, warum muß es ausgerechnet dieser sein?«
Fedor Rasin hob die breiten Schultern und ließ sie wieder sinken.
Sein Lächeln war das eines resignierten älteren Herrn.
»Irgendwann, Nora, wirst du dein Geheimnis lüften müssen, zumindest Wendi gegenüber. Und was die unzähligen jungen Männer angeht, so wird Wendi dir klipp und klar antworten, daß es für sie nur diesen einen gibt. So ist die Jugend, und weiß der Himmel, Nora, ich finde das auch gut und richtig so. Laß sie sich doch durchbeißen, gib ihr die Chance, sich zu beweisen. Ihr und ihm, Nora…«
»Hör auf!« sagte sie heftig und erhob sich. »Bitte, Fedja, hör jetzt auf, ja?«
Er schüttelte langsam den Kopf, aber er sagte nichts mehr.
Er kannte Nora seit zwanzig Jahren. Er war ihr erster Klient gewesen, ein russischer Emigrant mit einem kleinen Kosakenchor. Er hatte ihr den Start ermöglicht und sie ihm ebenfalls.
»Komm, Nora!« murmelte er und legte ihr die Hand auf die Schulter, was gar nicht so einfach war, weil er bedeutend kleiner war als sie.
»Wir zwei alten Kämpfer werden uns doch nicht wegen einer jungen Liebe in die Haare geraten. Tu, was du für richtig hältst, laß dich nicht von mit beeinflussen. Acapulco, in Gottes Namen, und wenn’s denn sein muß, schon nächste Woche. Von dort fliegst du dann ein bißchen weiter nach Süden, dort findet Wendi ihre unerforschte Welt und du die Sonne, die du brauchst. Ich mach’ dir einen schönen Reiseplan und bringe euch zum Flugzeug.«
Sie wandte sich ihm zu, schob ihren Arm unter seinen und sagte mit einem tiefen Seufzer: »Du hast recht, Fedja, wie immer. Alte Freunde wie wir sollten sich nicht wegen einer Kinderei zerstreiten. Im übrigen ist dein Standpunkt in der Sache wahrscheinlich der bessere. Aber ich muß mit meinen Reserven haushalten, weißt du.«
»Nicht nur du«, erwiderte er stirnrunzelnd, »ich auch. Deshalb komme ich auch nicht mit euch, obwohl es natürlich das beste wäre. Ich werde in deiner Abwesenheit nach dem Haus sehen und Lisette zum Zahnarzt bewegen.«
»In diesem Punkt nimmst du dir aber wirklich zu viel vor«, versetzte Nora lachend, »das habe ich in all den Jahren nicht erreicht, obwohl es fast so wichtig wäre wie unsere Reise nach Acapulco.«
»Unterschätze nicht meinen Charme«, gab Fedor ernsthaft zurück, »sie wird fromm wie ein Lamm zur Schlachtbank gehen. Lisette – Lisette – wo bleiben Sie denn? Ich will mich verabschieden…«
Trippelnde Schritte klapperten über die Treppe, ein weißer Löckchenkranz schimmerte in der Sonne, Lisette lächelte ihn an, wie sie ihn immer anzulächeln pflegte: in demütiger Ergebenheit.
Für sie war er der bewundernswerteste Mann der Welt, nie hatte sie eine Aufführung versäumt, die er gab, und niemals hätte sie eine andere Stimme neben der seinen gelten lassen.
»Hör mal zu, Lisette!« sagte Fedja Rasin und hielt Lisettes Hand in der seinen. »Ich singe für Sie das ›Einsame Glöcklein‹, für Sie ganz allein, wenn Sie mir einen ganz großen Gefallen tun.«
»Jeden!« rief Lisette in ungehemmter Begeisterung, aber dann siegte ihr gesundes Mißtrauen. »Welchen denn?« erkundigte sie sich schon bedeutend kühler.
»Darüber«, sagte Fedor Rasin geheimnisvoll, »werden wir beide reden, wenn Frau Lippit nach Amerika fährt, In zwei, drei Wochen ungefähr.«
»Da bin ich aber neugierig«, murmelte Lisette unzufrieden, weil sie nicht wußte, was sie da erwartete.
»Und ich erst«, seufzte Fedja, als er die Treppe hinunterstieg, »wovon ernährt sie sich eigentlich, Nora?«
»Von Kartoffelpüree, größtenteils wenigstens«, erwiderte Nora halblaut »sie schwindet mir richtig dahin, findest du auch?«
»Eben, drum. Na, laß nur, Onkel Fedja macht das schon. Alles andere mußt du leider allein besorgen – toi, toi, toi.«
Einer Eingebung folgend fuhr er den Fluß entlang, dort, wo die Promenadenwege einsamer und romantischer wurden.
Und dann sah er sie – zwei junge Leute, die gemächlich unter zartgrünen Birken dahinschlenderten.
Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt, und sie rieb zuweilen den Kopf an seiner Brust.
Über ihnen spannte sich ein blaßblauer Märzhimmel, und die Sonne malte Kringel auf den Kiesweg.
Wie immer und zu allen Zeiten, dachte Fedor Rasin, so ist das Leben, so wird es bleiben, zwei Verliebte auf einsamem Parkweg. Das wird es noch geben, wenn sie den Mond heruntergeholt haben, wenn sie alle Atome zersplittert haben, wenn nichts mehr übrigbleibt – das wird es geben. Denn das ist der Anfang allen Lebens, und nichts wird es auslöschen können.
»Glück auf, ihr beiden«, murmelte er halblaut und hob die Hand wie zu einem Gruß. Aber sie sahen nicht hin zu ihm, sie entfernten sich langsam aus seinem Blickfeld, gingen der Brücke zu, und er wendete den Wagen und fuhr nach Haus.
*
»Ausgerechnet heute!« jammerte Wendi. »Warum kommt dieser miese Professor nicht an einem anderen Abend, Tante Nora? Heute ist doch die Abschiedsvorstellung im Stargast – ach bitte, bitte, laß mich trotzdem gehen! Du weißt nicht, was mir das bedeutet…«
Nora stülpte den Deckel auf ihre Schreibmaschine und raffte ein Bündel Papiere zusammen.
»Wendi, es ist nicht mein Professor, sondern deiner. Du hast mir damit in den Ohren gelegen, daß du ein Examen machen willst, unbedingt und mit aller Gewalt. Daß du dir selbst etwas beweisen willst. Ich halte nichts davon, dir Vorschriften zu machen, du mußt lernen, dich frei zu entscheiden und einmal im Leben etwas zu Ende zu führen.
Professor Becker kommt nicht von ungefähr, er kommt vielmehr auf Grund einer Einladung, die wir beide, du und ich, kürzlich beschlossen haben. Du wolltest dich über die neuen Prüfungsordnungen informieren, und ich war nicht abgeneigt, ihn einmal wiederzusehen.
Er war ein guter Gesellschafter damals, als wir zufällig auf einem Schiff zusammentrafen. Womit ich nicht sagen will, daß mir rasend viel an seiner Gesellschaft liegt. Ich hätte es bei weitem vorgezogen, mit Onkel Fedja Schach zu spielen. Wenn wir ihn ausladen sollen, bitte schön, das ist dann deine Sache.«
»Tante Nora, versteh mich doch – ich will ihn nicht ausladen! Das wäre ja geradezu empörend, unmöglich, provozierend, um Gottes willen, nein, das keinesfalls. Ich meine nur – ob ich denn unbedingt dabeisein muß…«
»Tja, Wendi, wie stellst du dir das vor? Was soll ich denn mit ihm anfangen? Ich hab’ ihn mir nicht eingeladen, wie ich eben schon sagte. Ich habe keine Fragen an ihn, mich interessiert keine Prüfungsordnung. Entweder du bleibst, oder ich lade ihn aus.«
»Nein,