Familie Dr. Norden Classic 39 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Dann brauche ich Sie wohl nicht zu bitten, noch einmal offen mit mir diese Angelegenheit aus Ihrer Sicht zu erörtern.«
»Es hat mit Ihnen überhaupt nichts zu tun.«
»Sie haben jetzt noch vier Wochen Urlaub. Vielleicht ergibt sich in dieser Zeit einiges, das die Wogen glättet. Ich hoffe es auch in Ihrem Interesse.«
»Ich kann ruhig schlafen. Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.«
Jetzt lächelte er sogar flüchtig und erhob sich, um sich zu verabschieden. »Grüßen Sie bitte ihren Vater. Ich wünsche ihm alles Gute.«
*
Eine schlanke blonde Frau betrat sein Zimmer, als Viktoria gegangen war.
»Sie vertraut wohl niemandem mehr«, sagte sie nachdenklich. »Wäre es nicht besser, du würdest Norden reinen Wein einschenken?«
»Wozu die Geschichte noch komplizieren? Er ist Menschenkenner genug, um sich selbst ein Bild zu machen.«
»Sie ist so kompromißlos.«
»Sie hat ihren Stolz und den Eigensinn ihres Vaters. Und Dietrich kann bleiben!«
»Solange keine handfesten Beweise gegen ihn erbracht sind, sind mir die Hände gebunden. Viktoria sagt, daß es ihre Privatangelegenheit ist.«
»Da ist diese unangenehme Angelegenheit mit diesem Manzini.«
»Ich will davon nichts mehr hören.«
»Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr sieht es mir nach einem Komplott aus.«
»Das uns aber nichts angeht, Dorte.«
»Ich weiß nicht, Hanno, Viktoria gehört nicht zu den Frauen, die so was abschütteln können.«
»Warum stehst du ihr nicht bei? Du bist doch ihre Cousine.«
»Sie hat keine Ahnung, wie wir zueinander stehen, Hanno, und sie will keine Hilfe. Ich werde es aber noch mal versuchen, wenn ich Vinzenz in München besuche.«
»Hast du keine Angst vor den Aliens?« scherzte er.
»Mach dich nicht darüber lustig. Ich bin überzeugt, daß er sich in eine Vision verstrickt hat! Was wissen wir denn schon, was sich in der Galaxie abspielt?«
»Was wissen wir, was in hundert Jahren sein wird. Das muß uns auch nicht mehr beschäftigen, denn wir werden nicht mehr dasein, sofern wir nicht geklont sind.«
»Du nimmst das nicht ernst!«
»Ich werde mich hüten, mich damit verrückt zu machen. Es geschieht so schon jeden Tag genug, was uns Angst einjagt.«
»Widmen wir uns also lieber der Gegenwart.«
»Genießen wir sie auch ein bißchen. Was wäre ich ohne dich, Dorte.«
»Du bist auch ohne mich ganz gut zurechtgekommen«, scherzte sie.
»Aber was war das für ein freudloses Leben!«
»Ich bin gespannt, was Viktoria sagen wird, wenn sie erfährt, daß wir zusammen sind.«
»Und erst der gute Vinzenz Romanus! Jetzt muß ich aber überlegen, wer Dietrich auf die Finger schauen kann. Wem kann man vertrauen?«
»Auf keinen Fall der Gillis.«
»Und Peter Brixen?«
»Der leidet selbst unter Dietrich.«
»Dann wäre er doch ansprechbar. Ich hasse es zwar, so etwas zu machen, aber es geht schließlich auch um den Ruf der Abteilung.«
Dorte nickte. »Ich fahre jetzt heim, Hanno. Wann wirst du kommen?«
»Bestimmt nicht so spät. Ich mache jetzt Visite. Vielleicht kann ich unauffällig mit Brixen sprechen.«
Viktoria hatte ihre Sachen schon gepackt. Sie wollte gleich nach München fahren. Ihr Wagen war zwar schon recht klapprig, aber diese Fahrt würde er wohl noch aushalten. In München würde sie dann U-Bahn fahren, es kam darauf an, wo sie eine Stellung fand. Darüber hatte sie sich noch nicht den Kopf zerbrochen, sie wollte nur weg. Eine Bleibe hatte sie ja auf jeden Fall bei ihrem Vater, in ihrem Zuhause.
Ein eigenartiges Gefühl war das schon, wieder dorthin zurückzukehren, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, da sie ja auch in München studieren konnte. Mit welcher Euphorie hatte sie damals, vor zwei Jahren, die Stellung in Würzburg angenommen, obgleich ihr Vater ihr abgeraten hatte.
Jetzt fragte sie sich, ob er ihretwegen so eigenartig geworden war. Sie fühlte sich schon schuldbewußt. Wie würde sich dieses Zusammenleben überhaupt gestalten? Wie stellte sich Daniel Norden das vor?
Sie schätzte ihn und seine Frau sehr, und ihr Gefühl sagte ihr, daß er ihr nicht etwas zumuten würde, was ihre eigene Entwicklung behinderte. Es kam vor allem auf ihren Vater an, der wahrhaft immer ein schwieriger Mensch gewesen war. Sie war nicht verwöhnt worden, obgleich sie das einzige Kind war und er hatte ihr nicht die Steigbügel zum Erfolg gehalten. Hätte sie Müller oder Schulze geheißen, wäre niemand auf den Gedanken gekommen, sie für Prof. Romanus’ Tochter zu halten, diesen bekannten Wissenschaftler, der schon so viele Auszeichnungen bekommen hatte.
Sie tuckerte auf der Autobahn so dahin, wie es ihr Auto hergab, wurde angehupt, obgleich sie niemanden behinderte.
Aber sie schaffte es bis nach München und auch durch die ganze Stadt durch, bis in den Südwesten. Es hatte sich viel verändert in den Jahren, die sie nicht zu Hause gewesen war. Plötzlich hatte sie ein beklemmendes Gefühl, daß sich ihr Vater von ihr im Stich gelassen gefühlt hatte.
Aber hatte er nicht selbst es gewollt, den Grund dazu gegeben, den Grund, der Antonio Manzini hieß?
Ich war doch gar nicht mehr so jung und naiv, daß ich so blindlings auf ihn hereinfallen konnte, dachte Viktoria, und Schmeicheleien lagen mir auch nicht. Was hat mich nur so an ihm gefesselt, daß mein Verstand aushakte?
Sie hätte gern jeden Gedanken daran verbannt, aber sie konnte die Erinnerung nicht bewältigen, sie war zu zornig auf sich. Schließlich hatte diese an sich kurze Episode in ihrem Leben auch Erfolg, die bittere Erkenntnisse brachten.
Beinahe wäre sie an ihrem Elternhaus vorbeigefahren, so sehr waren ihre Gedanken abgeirrt. Sie wunderte sich im Nachhinein, daß sie tatsächlich das Ziel ohne Unfall erreicht hatte. Mittlerweile war es schon sehr dunkel geworden.
Sie mußte läuten, und es dauerte eine Weile, bis Marie die Tür öffnete. Müde und verhärmt sah sie aus, aber als sie Viktoria erkannte, ging ein Lächeln über ihr faltiges Gesicht und ihre Augen wurden feucht.
»Vicky«, flüsterte sie, »kann es denn wahr sein?«
»Es ist wahr Marie, ich bin wieder da.« Sie umarmte die alte Frau, die trocken aufschluchzte. »Ich war wohl zu lange fort.«
Marie