Signaturen der Erinnerung. Thomas Ballhausen

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Signaturen der Erinnerung - Thomas Ballhausen

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auch zur Gründung neuer, meist staatlicher Stellen mit Schwerpunkt auf dem Medium Film. In den Dreißigerjahren werden in allen klassischen filmproduzierenden Ländern Filmarchive eingerichtet, die zugleich die ersten Mitglieder des auch heute noch bestehenden Dachverbandes der Filmarchive, der Fédération Internationale des Archives du Film (FIAF), sind. Die FIAF bestand bei ihrer Gründung 1938 aus nur vier Mitgliedern, heute zählt sie über 120 Mitglieder aus mehr als 60 Ländern. In der Phase vor dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Anlegung von umfangreichen Sammlungen, die dort ansetzen sollten, wo die Limits privater Sammlungen deutlich wurden. Diese Kollektionen wurden primär ohne Auswahlverfahren aufgebaut; parallel dazu konzentrierte man sich in den Filmarchiven während der Zwischenkriegszeit auf die Rettung von (Spiel-)Filmkopien, wenngleich auch unter den Einschränkungen einer überaus kanonischen Auffassung von Filmerbe und Filmgeschichtsschreibung. War während des Krieges ein weiterer Ausbau von Sammlungen über Grenzen hinweg praktisch unmöglich, kam es nach 1945 zum erneuten Aufbau von Archivstrukturen und einer Revitalisierung der FIAF. Besonders den Bemühungen dieser Institution ist es zu verdanken, dass der kulturelle Austausch zwischen den Ländern in Sachen Film, an dem sich Österreich nach der Gründung des Filmarchiv Austria 1955 rege beteiligte, wieder in Schwung kam. Auch jetzt zählt die Aufgabe des Networking zwischen den Archiven, neben Hilfestellungen zum Auf- und Ausbau von Filmarchiven, dem Abhalten von Kongressen und einschlägigen Weiterbildungskursen und der Veröffentlichung von Publikationen zu den zentralen Funktionen dieses Dachverbandes. In den Sechzigerjahren wirkte eine Generation von Archivaren, die auch mit filmgeschichtlichen Schriften hervortraten und erstmals eine lebendige Verbindung von Filmgeschichtsschreibung und Archivwesen demonstrierten. Umso verwunderlicher ist es, dass teilweise die gleichen Personen vehemente Vertreter einer klassischen Auffassung von Archivarbeiten waren, also Archivgut um jeden Preis schützen wollten – und sei es auch, die Bestände für die (wissenschaftliche) Öffentlichkeit schwer bis gar nicht zugänglich zu machen. Die damals aufkommende Diskussion um das Verhältnis zwischen dem Wunsch, einer öffentlichen Aufgabe nachkommen zu können und Archivbestände zu bewahren, ist auch heute noch ein wesentlicher Faktor in der täglichen Arbeit der (Film-)Archive. Als positiver Nebeneffekt soll bezüglich dieses Konflikts aber nicht unerwähnt bleiben, dass zu diesem Zeitpunkt erste tiefschürfende Analysen der Probleme sachgerechter Aufbewahrung von Filmbeständen durchgeführt wurden (Houston, 1994, 37ff.). Neben signifikanten Änderungen in den späten Siebzigerjahren ist für die weiteren Jahrzehnte zu bemerken, dass ein bewundernswertes Gleichgewicht zwischen den doch sehr unterschiedlichen Aufgabenbereichen gefunden werden konnte, das auch eine verstärkte Spezialisierung innerhalb der Archive nicht ausschloss.

       1.3.4 Audio-visuelle Bestände

      Audio-visuelle Medien zeichnen sich durch die Besonderheit aus,

      „[…] natürliche Abläufe, physikalische Prozesse, in Form einer Abspielung zu überliefern und zu distribuieren. AV-Medien können nicht nur gedanklich-verbale Informationen übermitteln (z. B. als gesprochene Sprache), sondern auch – und das ist ihre einzigartige Fähigkeit – nonverbale Informationen auf rein apparativem Weg festhalten und wiedergeben“ (Hubert, 1993, 65).

      So vielfältig die Qualitäten filmischer Materialien sind, so unterschiedlich sind auch die Bestände der damit befassten Institutionen: Film in all seinen Erscheinungsformen, also ediertes und nicht-ediertes Material, publizierte und unpublizierte Quellen, Plakate und Programme. Die Aufnahme von Fachzeitschriften und einschlägigen Publikationen ist nicht nur ein Indiz für eine Änderung im Sammlungsverhalten, die etwa auch die Integration von Nachlässen vorsieht, sondern auch vitaler Bestandteil einer weitergehenden Erschließungspolitik bereits vorhandener Bestände. Die heterogene, nicht immer problemlose Beschaffenheit des Materials macht die Entwicklung eigener Standards für diese fach- und materialgerechte Erschließung notwendig, die je nach Organisationsform der Institution, Fertigkeiten der Mitarbeiter und Beschaffenheit des Materials unterschiedlich ausformuliert sein können.

      Es gibt aber durchaus allgemeingültige Bereiche, die für alle Filmarchive von Bedeutung sind: So ist, ganz im Gegensatz zum Medium Buch, für die audio-visuellen Medien praktisch keine Redundanz im Material selbst feststellbar. D. h. jede noch so geringe Beschädigung führt fast automatisch auch zu einem Verlust von Informationen oder auch zur Beeinträchtigung der Integrität des gesamten Trägers. Neben der Gefahr der Obsoleszenz, also dem Auslaufen der Produktion von Abspielgeräten, auf die man zur Nutzung von Materialien angewiesen ist, liegt ein nicht zu unterschätzender Problembereich im Material selbst begründet. Neben der sensiblen Zusammensetzung von Filmmaterial generell (Bonwitt, 1912, 371ff.) weisen Speichermedien im Allgemeinen eine zeitlich gesehen immer kürzere stabile Integrität auf und sind durch die industrielle Entwicklung in diesem Bereich der Technik eher auf eine Steigerung der Datendichte und weniger auf Datensicherheit im Sinne einer permanenten Erhaltung angelegt. Es sind also zweifellos die Bestände, die die wesentlichen Grundlinien der Arbeit vorgeben und auf die sich die notwendige Eigenständigkeit der Filmarchive gründet:

      „Zusammenfassend gesagt gilt also, dass die Berechtigung von eigenständigen AV-Archiven darin besteht, dass diese spezielle Funktionen erfüllen, die ihnen keine andere Informationseinrichtung abnehmen kann. Diese speziellen Funktionen wiederum haben sich aus der strukturellen Eigenart der audio-visuellen Medien ergeben. Sie haben, nochmals gesagt, die Fähigkeit des Abspiegelns, die unter anderem die Möglichkeit zum aktiven Dokumentieren an die Hand gibt, die Besonderheit des Trägers bzw. der Art, die Information auf einen Träger zu bringen, d. h. die enorme Verletzlichkeit des Mediums, und schließlich das Nebeneinander von publiziertem und nicht-publiziertem Material, bzw. von Werk und dokumentarischer Aufzeichnung“ (Hubert, 1993, 69).

       1.3.5 Zur Politik des Archivs

      Die Aufgabenbereiche der Filmarchive lassen sich unter folgenden Unterpunkten zusammenfassen: Sammeln, Restaurierung und sogenannte Preservation, Erschließung, Bereitstellung und Aufarbeitung. Diese Schritte, die hier im logischen Ablauf beschrieben werden, stellen sehr deutlich den Lebenskreis eines Filmes im Archiv und die erstrebenswerte Idealsituation für nationale Filmarchive dar: „[D]ie Wahrnehmung der archivalischen Aufgaben eines nationalen Filmarchivs gilt der Erfassung, Sicherung, Erhaltung und Erschließung der nationalen Filmproduktion“ (Kahlenberg, 1978, 146).

      Das Auffinden von Material, auch unter oben beschriebenen Schwierigkeiten, kommt unter den unterschiedlichsten Umständen zustande. Die ersten großen Sammlungen waren von den Institutionen aus Privatbeständen übernommen worden. Trotz der regen Sammeltätigkeit während dieses Zeitraums ist die Überlieferungssituation für die frühe Phase des Films nicht besonders gut. Umso wichtiger ist, gemäß der Ausrichtung der jeweiligen Institution bzw. Abteilung, eine aktive Akquisitionspolitik, in der auch die neueren Formate – wie etwa Video oder DVD, die in den letzten Jahren besonders bei kleineren Produktionen zum Originalmaterial avancierten – berücksichtigt werden. Für diese permanente Bestandserweiterung gilt die Prämisse einer sachlichen und behutsamen Selektion des angebotenen Materials ebenso wie die Gleichwertigkeit von Spiel- und Dokumentarfilmen und der Austausch von Belegkopien im Sinne eines nationalen Vollständigkeitsauftrages, für dessen Erfüllung eine restriktive Pflichtexemplarabgabe durchaus förderlich wäre. Noch unentschieden ist hingegen die Frage, ob eine Form der „Zwangsarchivierung“ (Kahlenberg, 1978, 149) nationaler Produktionen langfristige Vorteile bringt oder nur unnötig Ressourcen bindet. Ein Feld, das in diesem Zusammenhang wohl auch immer wieder neu zu diskutieren sein wird, ist die Archivierung von TV-Produktionen, die ja aufgrund ihrer Beschaffenheit zumindest zu großen Teilen archivwürdig wären. Mit Fragen wie dieser berührt man den sensiblen Bereich, den man gemeinhin wohl aller „Verpflichtung zum Archiv“ (Derrida, 1997, 135) als die Politik der Archive bezeichnen müsste:

      „Jeder Archivar gehorcht einer bestimmten ‚Politik der Archive‘, denn die Entscheidung darüber, ob ein Dokument als archivwürdig anzusehen ist, folgt der

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