Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer. Markus Maeder

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Vom Herzchirurgen zum Fernfahrer - Markus Maeder

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Bin ich etwa nicht konversationsfähig? Sind wir etwa dumm, bloß weil man uns nicht denken sieht und reden hört, hoch oben hinter dem Blech der Kabine. Gut. Klar, dumm ist es schon, dreißig Jahre lang dranzubleiben, Autobahn auf und Autobahn ab durch Europa. Sag mir ein Land der EU, in dem ich nicht war. Und dann? ›Nach so langer Zeit können die nicht mal unsere Sprache‹, wirft man uns vor. Wie sollten wir auch. Das ist gar nicht möglich. Französisch, Italienisch, Polnisch, Finnisch, Rumänisch … Wie denn? Wer spricht denn so viele Sprachen? Nicht einmal Markus. Frag ihn mal etwas auf Serbokroatisch.«

      Ich schaue dem Abbruchbagger zu, der bei jedem Richtungswechsel aufheult und eine schwarze Dieselwolke ausstößt. Walo folgt seinen Gedanken weiter: »Wenn ich heute noch fahre, fahre ich einzig fürs Geld. Und das ist kaum mehr zu verdienen. Als ich anfing, war ich einundzwanzig und meine Freundin schwanger. Die Entscheidung, auf die Straße zu gehen, fiel rasch. Als Fahrer kriegte ich das Doppelte eines Mechanikers. Dann bin ich hängen geblieben, obwohl mir heute kaum mehr halb so viel bleibt wie damals. Doch was soll ich tun?«

      Während Walo spricht, geht mir immer die gleiche Frage durch den Kopf. Markus, Markus, warum tust du das? Warum tust du dir das an?

      Walo hat noch andere Zeiten erlebt. Er kommt fast ins Schwärmen: »Angefangen habe ich auf einem Scania. Die Kabine war eine enge Zelle ohne jeden Komfort. Rechts neben dem Sitz lag der Motor in einem Tunnel; der wurde so heiß, dass wir Spiegeleier brieten darauf. Die ›schwedische Folterkammer‹ hieß der Scania damals im Truckervolksmund. Die Achsen hatten sechzehn Blattfedern aus hartem schwedischem Stahl. Das Einzige, was federte, war die Luft in den Reifen. Wir saßen auf Scherensitzen. Wenn die Mechanik ausgeleiert war, schlug sie durch. Wir fielen ungedämpft auf den Asphalt – und fühlten uns wie rohe Eier im freien Fall. Humpty Dumpty, du weißt schon. Ja, so fing das an. Ich habs überlebt, mit einem Bandscheibenschaden.

      Die Scherensitze haben mich unters Messer gebracht. Als man mir sagte, was mich auf dem Schragen erwartete, wurde mir heiß und kalt und so schlecht wie noch nie. Das Rückgrat liegt hinter dem Bauch, eben im Rücken, aber damit ich wieder geradeauf sitzen konnte, musste der Chirurg den Bauch von vorne aufschlitzen, die Innereien beiseiteräumen und dann mit Säge und Skalpell die Nerven freilegen. Freilich pennte ich, als ich meine offene Bauchhöhle dem Werkzeug darbot. Die Operation dauerte fünf Stunden. Zwei Bandscheiben wurden miteinander verschraubt, damit sie nicht mehr aneinanderscheuern können. Als mir der Chirurg im Nachhinein erzählte, dass eine Schwester die Sehnen mit einer Pinzette festhalten musste, wurde mir grad noch einmal schlecht. Gewiss, es kam wieder gut, wie jedermann sieht. Bloß, nach wie viel Zeit. Anderthalb Jahre ging ich am Stock. Kururlaub, Physiotherapie, liegen, liegen, liegen. Oft dachte ich da: Weshalb haben sie mich nicht wie einen Sportwagen etwas tiefer gelegt. Am besten gleich einen Meter achtzig.«

      Markus, der unterdessen triumphierend mit den Papieren winkend vom Parcours durch die Schalter zurückgekommen ist, meint: »Du hättest mit dem Eingriff noch ein paar Jahre zuwarten sollen.«

      »Bei Schmerzen wie von einer glühenden Zange im Rücken?«

      »Du wurdest noch nach der alten Methode operiert. Heute, mit dem Endoskop, bräuchte es nicht mehr als drei schmale Schnittchen. Da stehst du noch am gleichen Tag auf und gehst bald wieder heim. Das wäre für die Rekonvaleszenz schon damals besser gewesen – dich sofort wieder zu bewegen.«

      Walo schwenkt testweise sein Becken, Markus meint: »Auch das Endoskop muss nicht sein. Es lohnt sich nicht, an den Sitzen zu sparen, auf denen man so manche Stunden den Arsch drauf hat.«

      »Wie beim Schreiben«, füge ich an. »Die Hauptarbeit in den meisten Berufen leistet der Arsch.«

      Warten, warten, warten. Wir sehen zu, wie die Mannschaft auf dem Feuerwehrschiff am Quai aus Rohren und Schläuchen Wasser ins Wasser spritzt und wie sich die Container zu einer Mauer ins Blaue hoch stapeln. »K« Line, UASC, Hanjin, Yang Ming, China Shipping. Wie viele Container fasst ein Schiff der Super-Panamax-Klasse? Über siebeneinhalbtausend Container. Wie viele die Malakka-Max-Klasse? Bis zu achtzehntausend. Und jeder dieser Container wird einzeln ins Verkehrsnetz eingespeist, um irgendwo auf der Welt eine Zelle des ökonomischen Organismus mit Nährstoff zu versorgen. Sie sehen winzig aus, wenn die Laufkatze sie durch die Luft schweben lässt, aber auf einem Sattelschlepper ist jeder einzelne Container ein Ungetüm, mächtig genug, um eine Autobahn zu blockieren. Mit dem Inhalt unseres Aufliegers verhält es sich ähnlich. Was eine Stunde braucht, um den Leerraum zu füllen, ist im Silo von Genua kaum mehr als ein Tröpfchen.

      Immer noch hängt der gleiche Wagen am Einfüllstutzen. Die anderen stehen mit laufendem Motor bereit. Um auf dem Sprung zu sein, wenn die Reihe an uns kommt, bleiben wir in der Nähe und vertreten uns in einem zugigen Durchgang die Beine. Es ist laut, feucht und riecht schlecht. Zwischen den Backsteinwänden und Gitterglasfenstern sehen wir einen Schlitz tiefblauen Himmel und Möwen, die mit bebend ausgebreiteten Flügeln auf dem Luftstrom des Seewinds balancieren. Das ist tröstlich. Es gibt eine Welt jenseits der Ladestationen.

      Walo spendiert uns einen Automatenkaffee: »Kannst wählen, ob es dir vom Warten oder vom Kaffee schlecht werden soll.« Ich bekomme einen Cappuccino Chocolate Dolce, und Walo bekommt recht. Die Flüssigkeit sieht aus und schmeckt, als sei sie auf Sonnenblumenölbasis hergestellt.

      »Einen Euro für diese Brühe«, sagt Walo.

      Markus und ich im Duett: »O Walo, wir bezahlen ihn dir gerne.«

      »Nein, nein, so ists nicht gemeint. Ich meine nur, alles wird teurer und teurer, bloß unser Einkommen schrumpft.« Und weiter geht die Litanei. Ich staune so harmlos in die Welt, dass Walo es nicht lassen kann, mich in die Härte der praktischen Straßengesetze einzuführen: »Es gibt keine Tarife, und ein Spediteur ist der Feind des andern. Der stärkere der Feind des starken. Wie draußen im Dschungel. Sie unterbieten sich gegenseitig. Gnadenlos. Und die neuen EU-Länder erhöhen den Druck. Die EU subventioniert ihre Autos großzügig, die Fahrer arbeiten zu Dumpinglöhnen und zersetzen den Markt.« Wir zerknüllen die Plastikbecher und schmeißen sie unter die Rampe, auf die wir uns gesetzt haben.

      »Die Holländer waren die Ersten, die gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Fahrer entließen, um Polen und Tschechen anzuheuern. Das Beispiel hat auch bei Letten und Litauern Schule gemacht. Heute sind Deutsche oder Schweizer schon fast von den Böcken verschwunden.«

      Markus hat die besseren Zeiten gerade noch erlebt: »Die Osterweiterung der EU 2004 hat eine Lawine ausgelöst: Große Spediteure heuern Vertragsfahrer aus Osteuropa für elfhundert Euro im Monat an und verderben die Preise. Menschenschinderei ist das. Es finden sich immer welche, die noch billiger fahren. Sei es in Rumänien oder in Bulgarien. Oder sonst wo. Man erkennt sie von Weitem. Ihren osteuropäischen Zugmaschinen ist ein deutscher oder ein schweizerischer Auflieger aufgesattelt … Wir brauchen Agreements über Minimalansätze, um Fairness für die Fahrer zu schaffen. Oder sind wir im Wilden Westen? Müssen wir wirklich täglich um unser Territorium kämpfen? Das ist für niemanden gut. Heute wären die Holländer froh, sie wüssten, wie sie die Osteuropäer wieder loswerden könnten. Es gibt Kunden, die lassen keine Leute aus Osteuropa mehr an ihre Rampen.« Das weiß auch Walo: »Das ist unsere letzte Chance. Die aus dem Osten werden ihre sozialistische Arbeitsmoral nicht los. Für schlechte Bezahlung muss eine schlechte Leistung genügen. Schlampen, lügen und klauen ist ihnen in die Gene übergegangen. Nicht nur den Fahrern. Wir hatten mal Sonnenblumenöl roh aus der Ukraine geladen. Es schwammen Plastiktüten und Stofffetzen drin.«

      Markus meint, darum komme das Öl ja auch zur Reinigung in die Raffinerie. Walo schüttelt eine Weile den Kopf und kämmt sich danach mit dem Rechen seiner Finger die Frisur zurecht. Walo fragt sich wie ich, warum Markus mit der Truckerei angefangen hat: »Ehrlich, ich verstehe es nicht. Ich kanns nicht verstehen. Bei uns Gewöhnlichen ist es klar. Wir sitzen fest. Wir kleben am Bock und kommen nicht mehr weg von der Straße. Aber du, Markus,

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