Antisemitismus. Achim Bühl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Antisemitismus - Achim Bühl страница 14
Erst die Kreuzzüge stellten eine qualitative, nachhaltige Zäsur der Lage der Juden dar. Die „militärischen Wallfahrten“ bedeuteten nicht zuletzt einen tiefen gruppenpsychologischen Einschnitt, insofern die Erfahrung unmittelbarer exzessiver Gewalt tiefe Spuren hinterließ, und der kriegerische Konflikt einen ökonomischen, sozialen, politischen und kirchenrechtlichen Wandel einleitete, der sich negativ auf die Juden auswirkte. Sozioökonomisch nicht zu unterschätzen ist der Tatbestand, dass bedingt durch die Kreuzzüge die Rolle der Juden im Fernhandel im Schwinden war. Christliche Kräfte eroberten sich auf militärischem Weg neue Routen, sodass sich die wirtschaftlichen Parameter zuungunsten der Juden verschoben. Mit den Kreuzzügen sowie der Vertreibung der Juden aus Spanien brach die Zeit christlicher Handelshäuser sowie christlicher Kaufleute an, die nunmehr den Levante-Handel dominierten. Für die Lage der Juden relevant war ebenso der Sachverhalt, dass im Umfeld mystischer Bewegungen, der kriegerischen Mobilisierung der Volksmassen sowie der Existenz von Bettelorden sich das Christentum tiefgreifend wandelte, wofür nicht zuletzt das Schweigen des Papstes Urban I. angesichts der exzessiven antijüdischen Gewaltwelle im Kontext der Kreuzzüge symptomatisch war. Die Sichtweise der augustinischen Judentheologie wurde durch ein Papsttum relativiert, das sich auf Kosten der Juden mit den unteren sozialen Volksschichten verbündete. Bedingt durch die Lehre von der Transsubstantiation entwickelten sich in Gestalt der Ritualmord- sowie der Hostienfrevellegende völlig neue antisemitische Narrative.
Die kirchliche Judenpolitik verschob sich mit den Kreuzzügen von einer in Gestalt der Judenmission sowie des Ideologems vom endzeitlichen Übertritt der Juden doppelt strukturierten Assimilation zu einer Segregation, welche auf die systematische Separierung zwischen Juden und Christen hinauslief. Die deutliche Verschiebung in der Gewichtung verdeutlichen die Beschlüsse der Laterankonzile. Im Jahr 1179 verbot das dritte Laterankonzil die Beschäftigung von christlichen Dienern in jüdischen Haushalten. Deutlich eingeschränkt wurde die den Juden unter den Karolingern zugesicherte weitgehende Chancengleichheit vor Gericht, insofern nunmehr christliche Zeugen in Prozessen gegen Juden hinzuzuziehen waren. Bereits zuvor verbot das Konzil unter Papst Alexander II. (1010–1073) den Juden die Enterbung jüdischer Konvertiten. Im Jahr 1215 verabschiedete das 4. Laterankonzil unter Papst Innozenz III. (1160/1161–1216) weitere Segregationsmaßnahmen. Juden mussten sich fortan in ihrer Kleidung von Christen unterscheiden und durften sich zu Ostern nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Die Übertragung von Ämtern an Juden wurde unter Androhung der Exkommunikation verboten, die Rückkehr von freiwillig Getauften zum Judentum wurde unterbunden. Zwar besaß der päpstliche Schutz der Juden vor Zwangstaufe, Beraubung, Verletzung oder Tötung, das Verbot jüdische Friedhöfe zu schänden oder jüdische Rituale zu stören weiterhin Gültigkeit („Sicut-Judaeis-Bullen“), jedoch wurde bereits unter Papst Innozenz III. die Garantie in gravierender Weise durch einen Schlusssatz abgeschwächt, insofern dieser den Geltungsbereich auf Juden beschränkte, die den christlichen Glauben nicht untergrüben. Zwar wurden die Beschlüsse der Laterankonzile keineswegs unverzüglich umgesetzt, doch kirchliche Autoritäten drängten stets aufs Neue die politische Obrigkeit dazu, Juden aus Amtsstellungen zu entfernen, gegen Proselytenmacherei vorzugehen und die Beschäftigung christlicher Dienstleute zu unterbinden. Sukzessive wurde die von kirchlicher Seite betriebene Segregationspolitik verschärft sowie die Autorität staatlicher Regulierung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen untergraben.
Die Kreuzzüge bildeten auch insofern einen qualitativen Einschnitt, als es dem Papsttum gelang, seine Macht auf Kosten der geschwächten politischen Zentralgewalt zu stärken. Die Zentralgewalt reagierte mit dem im Landfrieden von 1179 festgelegten Prinzip der „Kammerknechtschaft“, das alle Juden des Reichs als zur Kammer zugehörige Knechte deklarierte. Die Kammerknechtschaft bestätigte einerseits jüdische Privilegien, andererseits postulierten die Herrscher mit ihrer Einführung zugleich die Verfügungsgewalt über jüdisches Vermögen wie Nachlässe und schränkten die freie Mobilität der Juden ein, die in der Karolingerzeit unhinterfragt gegolten hatte. Mit der abschließenden Etablierung der christlichen Zünfte im 13. Jh. sowie dem parallel laufenden Verdrängungsprozess der Juden aus dem Fernhandel mussten sich diese nun weitgehend auf Kreditvergabe, Pfandleihe sowie den ländlichen Warenhandel beschränken, was mit einer weiteren sozialen Verschlechterung ihrer Lage einherging.
Nach den Kreuzzügen bildeten im Mittelalter die Zeit des „Schwarzen Todes“ sowie die damit einhergehende Pogromwelle den zweiten großen Einschnitt. Als die Pestwellen abebbten durften sich Juden zwar wieder in den Städten niederlassen, doch da nunmehr auch die Bankgeschäfte weitgehend in christlichen Händen lagen, wurden sie für längere Zeit mit Ausnahme weniger städtischer Gemeinden in Kleinstädte oder in dörfliche Bereiche („Landjudentum“) abgedrängt.
2.2Die Kreuzzüge: Taufe oder Tod
Im Jahr 1010 zerstörte der schiitische Kalif al-Hakim (985–1021 n. Chr.) die Grabeskirche, was weniger seinem Fanatismus als seinem Geisteszustand geschuldet war. Im Kontext des Ereignisses begegnen wir erstmals einer antisemitischen Verschwörungstheorie in ausgeprägter Form, insofern die frz. Juden bezichtigt wurden, Anstifter und damit die eigentlichen Schuldigen der Zerstörung zu sein. Das Narrativ des politischen Bündnisses von Juden und Muslimen tauchte von da an stets aufs Neue auf und fand vor allem im frz. wie im spanischen Raum weite Verbreitung. Die Bezichtigung der Juden führte zu Judenverfolgungen in Frankreich, die bereits das spätere Muster der Kreuzzüge erkennen lassen. In Ermangelung des eigentlichen Gegners wurden die Juden zu Verbündeten der Sarazenen deklariert, ja sie seien gar schlimmer als die Muslime, insofern sie als die eigentlichen politischen Drahtzieher der Ereignisse zu gelten hätten. Der amtierende Papst Alexander II. schritt begrenzt noch ein, erinnerte an die Prinzipien der augustinischen Judentheologie und stoppte die Ausschreitungen.
Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. auf dem Konzil von Clermont-Ferrand zum Kreuzzug auf. Das Datum sollte zu einem schicksalhaften Tag für das Judentum werden. Die Predigt löste in ganz Europa eine Bewegung aus, deren Nährboden in der krisenhaften Situation der Feudalgesellschaft sowie in einer religiösen Stimmung lag, die sich zunehmend dem Mystizismus öffnete. Mit frenetischer Begeisterung malten sich Personen aller sozialen Schichten das Zeichen des Kreuzes auf ihre Kleidung, verkauften ihren Besitz, verließen Frau und Kinder und schlossen sich den sich chaotisch formierenden Zügen an, deren päpstlicher Auftrag in der Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen lag. Zeitgenössische Chroniken verdeutlichen, wen die Kreuzfahrer für Ungläubige hielten, an denen sie Rache zu nehmen gedachten, so hieß es bspw.: »Alle jene Wanderer sollen Häretiker, Juden und Sarazenen in der gleichen Weise hassen, da sich ja dieselben alle Feinde Gottes nennen.«
In verschwörungstheoretischer Weise kursierten Gerüchte, die Juden trügen Mitschuld an der Tötung christlicher Jerusalem-Pilger, sie hätten die Sarazenen zu ihren Taten angestachelt und seien in Wahrheit deren Verbündete. In Ermangelung des eigentlichen Gegners vor Ort und insofern die desorganisierten Volksmassen noch Tausende Kilometer vor sich hatten, wurden die Juden zum „Feind im Inneren“ erkoren, denen man bereits habhaft werden könne bevor der „äußere Feind“ zu sichten sei. So hieß es etwa: »Wir gehen hinaus, um die Feinde Gottes zu