Sophienlust Classic 48 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sophienlust Classic 48 – Familienroman - Patricia Vandenberg страница 6
Vilena erwachte an diesem Morgen von den hellen Stimmen der Kinder, die durch die Gänge und Treppen des Hauses hallten. Sie musste sich einige Augenblicke besinnen, bis sie sich zurechtfand und wieder wusste, wo sie war. Sie hatte schon lange nicht mehr so gut und so tief geschlafen. Viele unruhige Nächte lagen hinter ihr. Denn wenn sie in einen Heustadel gekrochen war oder die Nacht in einer Scheune verbracht hatte, war sie vor Angst immer wieder aufgewacht.
Nun schien die frühe Sonne in ihr Zimmer, und die Vorhänge blähten sich im leichten Morgenwind. Vilena genoss die Wärme und die Weichheit des Bettes. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und weitergeschlafen. Doch sie dachte daran, dass in einem Heim, in dem so viele Kinder lebten, eine gewisse Ordnung herrschen musste, wenn der Betrieb in geregelten Bahnen verlaufen sollte. So dehnte sie sich nochmals, gähnte herzhaft, schlug dann mit einem Ruck die Decke zurück und sprang aus dem Bett.
Fürsorglich hatte ihr Frau Rennert am vergangenen Abend einen Schlafanzug auf das Bett gelegt. Vilena streifte ihn ab, eilte in die Duschnische, zog die Vorhänge hinter sich zu und drehte die Hähne auf. Es war für sie ein wundervoller Genuss, das warme Wasser an ihrem Körper zu spüren, sich richtig abseifen zu können und sich ordentlich zu waschen. Das hatte sie unterwegs am meisten entbehrt.
Rasch schlüpfte sie danach in ihre Kleider. Es tat ihr leid, dass sie wieder die ausgewaschenen Bluejeans und die zerknitterte Bluse anziehen musste. Doch sie hatte nichts anderes. Vorsichtshalber packte sie ihr Bündelchen wieder zusammen, denn sie wusste ja nicht, ob sie noch einen oder zwei Tage würde bleiben dürfen.
Als sie ins Erdgeschoß kam, waren alle Kinder schon beim Frühstück. Frau Rennert begrüßte sie und wünschte ihr einen guten Morgen. »Warum bist du schon aufgestanden, Vilena?«, fragte sie. »Du brauchst doch nicht zur Schule. Also hättest du ruhig einmal tüchtig ausschlafen können.«
Vilenas Blick verriet Überraschung. »Aber dann hätte ich Ihnen den ganzen Haushalt durcheinandergebracht.«
»Darüber würde ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen«, lachte Frau Rennert. »So genau nehmen wir das nicht. Aber wenn du schon aufgestanden bist, kannst du auch gleich mit den übrigen Kindern frühstücken.«
Schon beim Frühstück ging es recht lustig zu. Die Kinder schwatzten und lachten durcheinander. Dann brachen alle auf, weil sie zur Schule mussten. Zuerst die Größeren, die in der Stadt das Gymnasium besuchten.
Vilena begleitete Pünktchen und Malu auf den Gutshof hinaus. Der Schulbus wartete schon und fuhr nach wenigen Minuten ab. Als kurz darauf auch die kleineren Kinder zur Dorfschule abgefahren waren und Schwester Gretli die noch nicht schulpflichtigen Kinder abgeholt hatte, um mit ihnen spazierenzugehen, wurde es ziemlich still auf Sophienlust.
Sich selbst überlassen, streifte Vilena umher. Ihr Blick erfasste die Schönheiten der herrlichen Parklandschaft, die Äcker, Wiesen und Felder, die sich an die Hügelkette schmiegten, unterbrochen von einzelnen Baumgruppen und Waldstücken. Wie eingebettet lag Sophienlust inmitten dieser landschaftlichen Schönheiten mit seinem schlossartigen Hauptgebäude und den zahlreichen Nebengebäuden. Über allem spannte sich ein blassblauer Himmel, durch den einzelne weiße Wölkchen im leichten Sommerwind dahinsegelten.
Vilena ging in den Park. Noch glitzerten Tautropfen an den Gräsern, am Gebüsch und an den Blättern und Ästen der Bäume. Vilena blieb stehen. Erinnerungen an glückliche Tage aus ihrer frühen Kindheit wurden schmerzhaft in ihr wach. Mit einem kleinen Seufzer wandte sie sich wieder dem Haus zu. Am Eingang traf sie auf Denise.
»Guten Morgen, Frau von Schoenecker«, grüßte sie höflich.
»Guten Morgen, Vilena.« Denises Stimme klang freundlich. »Hast du schon einen Morgenspaziergang gemacht?«
»Ich habe mich ein wenig umgesehen«, antwortete Vilena leise. »Es ist wunderschön hier.«
»Ich freue mich, wenn dir Sophienlust gefällt. Es liegt ganz bei dir, ob und wie lange du bleibst. Komm mit mir, wir wollen einmal darüber reden.«
Schade, dachte Vilena, es geht schneller zu Ende, als ich gedacht hatte. Mit zögernden Schritten folgte sie Denise, die sie in das Biedermeierzimmer führte. Überrascht blieb Vilena auf der Schwelle stehen. Ihre Augen tasteten den Raum ab, erfassten die hohen Fenster mit den seidenen Vorhängen, die schönen alten Möbel mit ihren schlichten Formen, die gestreiften Bezüge der Polsterungen.
»Das ist schön und stilvoll«, äußerte sie leise.
»Gefällt es dir?«, fragte Denise und wunderte sich über den ausgeprägt guten Geschmack des Mädchens. »Hier hat schon Nicks Urgroßmutter gelebt. Ich habe nichts geändert. Komm! Setz dich. In diesem Raum kann man in aller Ruhe über alles sprechen. Er hat schon viel gehört. Aber die Gegenstände hier bleiben stumm, sie verraten nichts von dem, was hier gesprochen wird.«
Denise nahm Vilena gegenüber Platz und ließ eine Weile vergehen, ehe sie das Gespräch begann. »Ich habe vorhin gesagt, Vilena, du könntest bei uns bleiben, solange du willst. Aber es gibt da einiges, über das wir unbedingt sprechen müssen. Du wolltest nichts von dir erzählen. Ich nehme an, dass du gewichtige Gründe dafür hast. Andererseits musst du natürlich bedenken, dass ich dich nicht ohne weiteres hierbehalten kann. Ein vierzehnjähriges Mädchen kann nicht einfach verschwinden. Es wäre immerhin möglich, dass du Angehörige hast, die sich deinetwegen Sorgen machen.«
Vilena schüttelte den Kopf. Es fiel ihr schwer zu sprechen, weil sie gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen musste.
»Ich habe gewusst, dass ich nicht hierbleiben kann. Aber ich hatte nicht geglaubt, dass es so schnell gehen würde. Es war eben eine Illusion. Glauben Sie bitte nicht, Frau von Schoenecker, dass ich Ihren Standpunkt nicht verstehen könnte. Ihre Bedenken sind mir völlig klar. Ich habe mir schon selbst dasselbe gesagt. Nein, ich habe keine Angehörigen, die sich um mich sorgen. Aber ich kann auch nicht dorthin zurück, woher ich gekommen bin. Nein, niemals möchte ich das noch einmal erleben, was ich durchgemacht habe.«
Vilena brach ab, weil sie nicht mehr weitersprechen konnte. Tränen liefen über ihre Wangen. Es war ein stilles, lautloses Weinen, das sie erschütterte.
Denise ließ ihr Zeit. Sie ergriff tröstend die Hand des Mädchens und behielt sie in der ihren.
»Ich glaube nicht, dass du zurückgehen musst, Vilena«, sagte sie leise und ernst. »Ich bin im Gegenteil fest davon überzeugt, dass du hierbleiben kannst. Aber dazu müssen wir etwas unternehmen. Das kann ich jedoch nicht, wenn ich nicht weiß, an wen ich mich wenden muss. Du musst mir vertrauen. Ich kann und will dich nicht zwingen, doch musst du mir glauben, dass hier nichts gegen deinen Willen geschieht. Deshalb schlage ich vor, dass du mir alles rückhaltlos erzählst. Dagegen verspreche ich dir, dass ich mit keinem Menschen darüber reden werde, falls du der Meinung bist, wir könnten dir nicht helfen. Wir sind uns dann niemals begegnet, ich werde dich nicht zurückhalten, du kannst wieder verschwinden und untertauchen, wie du gekommen bist. Ich nehme aber nicht an, dass es dazu kommen wird. Du bist zwar erst vierzehn Jahre alt, aber weit über dein Alter hinaus gereift. Also wirst du vernünftigen Überlegungen zugänglich sein.« Denise ließ eine Pause eintreten, um dem Mädchen Gelegenheit zum Nachdenken zu geben. Dann fügte sie mit einem halben Lächeln hinzu: »Wollen wir diesen Pakt schließen?«
Vilena hatte in der Zwischenzeit ihre Ruhe wiedergefunden. Sie nickte stumm mit dem Kopf, ehe sie antwortete: »Ich habe Vertrauen zu ihnen, Frau von Schoenecker. Ich glaube, dass ich bisher kaum jemals zu einem Menschen so viel Vertrauen gehabt