Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny
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Und perfekte Mädchen können noch so manches andere nicht:
Sie können keinen Geburtstagskuchen essen, ohne den Fettgehalt zu berechnen. Sie können nie an erster oder auch nur an zweiter Stelle an sich denken. Sie können keine Fehler machen, und das bedeutet, dass sie nie richtig erwachsen werden können, also können sie nur alt werden, und das ist für Kindmädchen etwas Furchtbares. Sie können nie ungepflegt das Haus verlassen oder im Park Purzelbäume schlagen, nur weil es Spaß macht.
Und wenn sie versagen, wenn sie es vermasseln, wird ihnen nicht verziehen.
Deshalb finden Mädchen leichter als junge Männer in der beschissenen Dienstleistungsbranche einen der mies bezahlten Jobs, die jungen Leuten überall in Europa und Amerika angedreht werden. Andere bedienen und ein hübsches Lächeln aufsetzen können Mädchen besser, auch wenn sie innerlich kreischen. So ist das eben, wenn man ein Mädchen ist.
Dass Mädchen in dieser Arbeit, die oft als »Emotionsarbeit« bezeichnet wird, besser sind, liegt nicht daran, dass ihnen das von Natur aus im Blut läge, sondern dass sie von Geburt an dazu erzogen werden. Wir werden dazu erzogen, uns um das Wohl anderer zu kümmern. Wir werden dazu erzogen, den Kaffee zu servieren, Formulare auszufüllen, Partys zu organisieren und hinterher den Tisch abzuwischen. Wir werden dazu erzogen, wenn nötig beherzt zu sein, aber nicht stark. Quirlig, aber nicht witzig. Nie darf es den Anschein haben, dass wir normale menschliche Körperfunktionen hätten, einen Körper, der pisst, pupst, scheißt, schwitzt und schwächelt. Schmücke das Gefängnis deines Körpers. Mach dich nützlich. Halt den Mund und lächle.
Das Privileg der Rebellion
Gregory Corso, Dichter der Beat Generation, antwortete auf die Frage, warum unter den überkandidelten, umjubelten, bekifften, sexuell experimentierfreudigen Dichtern der 1950er Jahre keine Frauen waren: »Es gab Frauen, sie waren da, ich kannte sie, ihre Familien steckten sie in die Anstalt, und sie bekamen Elektroschocks. In den Fünfzigern konntest du ein Rebell sein, wenn du ein Mann warst, aber wenn du eine Frau warst, hat dich deine Familie einsperren lassen. Es gab Fälle, die kannte ich; eines Tages wird jemand darüber schreiben.«32
Wer geistig gesund ist, entscheidet immer noch die Gesellschaft, und für Mädchen ist Rebellion besonders riskant. Mindestens so wichtig wie die eigenen Gefühle ist das Auftreten. Auch wenn wir innerlich auf dem Zahnfleisch gehen: Alles ist gut, solange wir unser Make-up auflegen und den Chef oder die Lehrerin anlächeln können. Andersherum wird ein etwas versponnenes Mädchen, das im Alltag zwar gut zurechtkommt, dessen Vorlieben aber zufällig nicht der Norm entsprechen, ruckzuck mit Psychopharmaka vollgepumpt, als Gefahr für die Gesellschaft eingestuft oder in die geschlossene Anstalt eingewiesen, je nachdem, wo sie zu Hause ist.
Geistige Gesundheit wird von der Gesellschaft definiert, und für Frauen und Mädchen liegt die Latte der Normalität beängstigend hoch. Wer sie überspringen will, muss trainieren. Das soll nicht heißen, dass kein Leid da wäre. Im Gegenteil: Oft entsteht Leid, eben weil es so anstrengend ist, normal zu wirken, eben weil jede für sich eine so aufreibende existenzielle Leistung erbringen muss, um das perfekte Mädchen zu sein, denn nur dieses, so hören wir es immer wieder, findet Liebe und Glück.
Wir können unser Leben lang ein perfektes Mädchen sein, nie erwachsen, nur nach und nach widerwillig alt werden. Sich für das Erwachsenwerden zu entscheiden, ist mühsam, zumal wir ja wissen, dass ein Mädchen nichts Schlimmeres tun kann, als eine erwachsene Frau zu werden. Werd nicht älter. Widersprich nicht. Denk nicht so viel nach, das macht hässliche Falten auf der Stirn. Bleib hübsch, perfekt, brav, stumm. Du kannst alles haben, was du willst, solange es nicht zu viel ist: Lass die Zeitschriften und die Werbung entscheiden, was du dir wirklich wünschst, füge dich deinem Freund, deinen Lehrern, deinem Chef. Wir wissen besser, was du willst, und wenn du ein Problem damit hast, können wir dir für dein Leiden eine Pille geben.
Gegen alles, was mit dir nicht stimmt, gibt es ein Mittel: dagegen, dass dein Körper dicker und älter wird, dass deine Sexualorgane auslaufen und bluten und an deinem Körper sichtbar werden, dass dein Herz müde wird und vor Angst schreit. Wir können dich konservieren, als perfektes Mädchen, als perfekte Konsumentin, als perfekte Arbeiterin, als Oberfläche, ausgestattet mit dezenten Schlitzen für die leichtgängige Penetration. Das Altern kann und muss mit Pasten und Pillen, mit Spritze und Skalpell bekämpft werden; sämtliche Anzeichen dafür, dass dein Körper bewohnt wurde, lassen sich weghungern oder wegbrennen.
Das perfekte Mädchen ist ein unbeschriebenes Blatt, mit gerade so viel Persönlichkeit, dass einer sie für interessant genug hält, mit ihr ins Bett zu gehen. Seit Generationen behandeln männliche Autoren, Arbeitgeber und Liebhaber die Persönlichkeit eines Mädchens als Schmuck und nicht als Ausdruck ihrer Handlungsfähigkeit. Persönlichkeit ist für das perfekte Mädchen ein gut gewähltes Accessoire, das sie diskret einsetzt, um damit ihre ansprechendsten Eigenschaften herauszustreichen.
Das perfekte Mädchen interessiert sich kaum für die Welt. Sie hat auch kein Innenleben, über das Minimum hinaus, das sie braucht, um das Interesse eines Mannes zwischen einer zufälligen Begegnung und dem Schlafzimmer wachzuhalten. Sie ist weder ein innerliches noch ein äußerliches Wesen; vielmehr besteht das perfekte Mädchen nur aus Oberfläche. Auf die Oberfläche kommt es an.
Natürlich gibt es das perfekte Mädchen gar nicht.
Siebzehn Jahre alt, eingerollt unter dem Krankenhausbett wie ein Komma, wie ein unfertiger Satz, Gestammel. Das nervige Flurlicht, das nie ausgeschaltet wird, erhellt im Dunkel meiner Höhle den rotzfarbenen Teppich. Ich zittere. Ich komme von allem runter. Ich weigere mich immer noch zu essen, aber mein Widerstand wird mürbe. Ich klettere von der Klippe, auf der alles klar und eindeutig war, auf der das Todesversprechen prangte wie das Schulabzeichen auf dem Blazer der Schuluniform, der um mein Skelett hängt. Als mich die Ärztin an diesem Morgen zwingen wollte, ein ekelhaftes Proteingetränk zu schlucken, erklärte ich ihr, dass ich es nicht wollte, und sie fragte mich, was ich denn wollte?
Die Antwort hakt in meinen Zähnen wie ein Schluchzen – ich will nichts. Ich will nichts. Nicht Essen Wasser Luft Aufmerksamkeit eine neue Weltordnung. Ich will nicht fünfzig Jahre alt werden, in denen ich nie genug bin, nie genug tue, nie genug arbeite. Ich will nicht einmal, dass Sie mich zum Sterben allein lassen. Bleiben Sie hier, sehen Sie verdammt nochmal zu, wenn Sie wollen, ist mir doch egal.
Ich will nichts. Ich flüstere es in meine Hände, sage es dann lauter, immer wieder, stundenlang, bis die leidgeprüfte Nachtschwester, die so eine gequirlte Scheiße gewohnt ist, zu mir ins Zimmer kommt und sagt, ich solle den Mund halten und schlafen. Sie findet es gut, dass ich nichts will, aber sie will bitte gern eine ruhige Nacht haben.
Auf der Station bin ich so etwas wie eine Anomalie. Ich kam mit kurz geschorenem Haar, vollgesogen mit Henna und Riot Grrl Rock, gekleidet wie ein Junge, offensichtlich queer. Erst später erfahre ich, dass ein Viertel bis die Hälfte der jungen Leute, die wegen Essstörungen in die Klinik eingewiesen werden, schwul, lesbisch oder genderqueer ist. Die jungen Frauen, die schon hier sind, sehen aus wie kaputte Modepüppchen; wir kommen