Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny
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Das Attribut »fett« ist noch augenfälliger. Du bist zu dick, du nimmst zu viel Raum ein, geh mir aus den Augen. Männer, die eine Machtposition innehaben, dürfen natürlich Fett ansetzen, dürfen das Interesse an ihrem Äußeren verlieren, dürfen nach einer Nacht des Netzwerkens unrasiert, aufgedunsen, ausgelaugt zu einem Termin erscheinen: Der Platz am Kopf des Tisches ist immer für sie reserviert.
Dieses System des Verurteilens, des Ausschließens durchdringt alle Gesellschaftsschichten. Naomi Wolf sprach in Der Mythos Schönheit völlig zu Recht von der »Schönheitsarbeit« – Arbeit, Geld und Mühe, die Frauen investieren, um ihr Äußeres »instand zu halten« und ihr körperliches Selbst an das enge Stereotyp konventioneller Schönheitsstandards anzupassen; dies sei, so Wolf, eine neue »dritte Arbeitsschicht« neben der »zweiten Schicht«, die Frauen traditionell mit der Hausarbeit und der Kindererziehung ableisten.22 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Wolf, als sie Der Mythos Schönheit im Alter von neunundzwanzig Jahren veröffentlichte, Prügel von Männern und Frauen gleichermaßen bezog, weil sie nach konventionellem Maßstab schön war und ist.
Gleichzeitig bekommen wir zu hören, wir seien schwach und dumm, wenn wir uns darum kümmern. Die Teilhabe an der traditionellen Schönheitskultur sei gewissermaßen eine Kapitulation, eine fundamentale Unsicherheit in uns oder in anderen. Frauen, die mit Lippenstift und High Heels auf der Arbeit zu erscheinen haben – erst kürzlich wurde eine britische Gewerkschaftsinitiative gekippt, die es Arbeitgebern untersagen wollte, Frauen zum Tragen von Stilettos zu zwingen23 –, werden oft bestraft, wenn sie es nicht tun, aber nur selten ernst genommen, wenn sie es tun.
Es ist ein abgekartetes Spiel. Du kannst nicht gewinnen, weil niemand gewinnt. Wenn du keine Diät machst, dir nicht die Haare stylst, nicht dein letztes Geld in Kosmetik und modische Kleidung investierst, giltst du als unzulänglich, unprofessionell – aber wenn du das alles tust, bist du ein dummes Flittchen. Hier ist übrigens die Antwort auf die ermüdende Frage, ob eine Frau, die sich die Beine rasiert oder die Schamhaare entfernen lässt, eine Feministin sein kann: Natürlich kann sie. Das ist gar keine Frage, und wir sollten endlich aufhören, Artikel darüber zu schreiben.
Natürlich können wir uns die Beine rasieren, die Haare glätten, Stilettos tragen, mit rosa Glitter und Make-up spielen. Das meiste mache ich auch, wenn ich mich zum Mädelsabend mal richtig in Fummel schmeiße.24 Zweck des Feminismus ist es nicht, Frauen vorzuschreiben, was sie anziehen dürfen und was nicht. Umgekehrt ist nicht jede Kleiderwahl unproblematisch oder befördert gar eine sexuelle Revolution. Der Sturz des Patriarchats wird wahrscheinlich nicht davon abhängen, ob eine Frau einen Netztanga trägt oder sich die Achselhaare wachsen lässt, also bleibt locker. Trefft bewusste Entscheidungen, spielt mit Geschlechterrollen, tragt, was ihr tragen wollt. Feminismus ist mehr als der Klamottenstreit erwachsener Mädels, und es gibt wahrlich Wichtigeres.
Das Geschlecht prägt unsere Fantasien. Gute kleine Jungs sollen davon träumen, die Welt zu verändern, gute kleine Mädchen sollen davon träumen, sich zu verändern. Aus dem Märchen erfahren wir, dass Schönheit Schicksal ist, und wenn wir größer werden, bringt man uns bei, dass dieses Schicksal in unserer Hand liegt. Wenn wir klug konsumieren, damit wir schön und schick sind, können wir uns komplett verändern.
Wenn Schönheit zur Pflicht wird, ist sie kein Spaß, kein Spiel mehr. Wisst ihr noch, wie lustig das war, als wir uns verkleidet, Geschlechterrollen ausprobiert, stümperhafte Zöpfe geflochten und bei dem Versuch, uns zu schminken, den Lippenstift unserer Mutter halb aufgegessen haben? Und wisst ihr noch, wie Schluss war mit dem Spaß? Wie jedes Spiel macht auch das Spiel der Frauen keinen Spaß mehr, wenn man spielt, um zu gewinnen, zumal dann, wenn man gewinnen muss: gewinnen oder sich lächerlich machen, gewinnen oder unsichtbar werden, abgeblitzt und abgewimmelt. Als ich in der Klinik war, galten für junge Frauen langes Haar, hübsche Kleider, Make-up und ein Faible fürs Einkaufen als Kennzeichen für psychische Gesundheit. Die Stationsärzte, Psychiater mittleren Alters mit gemütlicher Wampe, waren sich in diesem Punkt völlig einig: Um gesund zu werden, mussten wir »unsere Weiblichkeit annehmen«. Jüngsten Theorien zufolge wollen die erkrankten jungen Frauen mittels ihrer Essstörung den Belastungen der modernen Weiblichkeit entfliehen.25 Anorexia nervosa, so die Logik, unterbricht den traumatischen Vorgang des Frauwerdens, denn wenn ein Mädchen aufhört zu essen, wenn es von 600 auf 400 auf 200 Kalorien pro Tag reduziert, setzt die Periode aus, Busen, Hüften und wabbeliger Speck verschwinden, und die Kranke kehrt zu einem künstlichen vorpubertären Zustand zurück, mitsamt den Stimmungsschwankungen, den musikalischen Spleens und dem überwältigenden Impuls, im Laden um die Ecke Haargummis zu klauen. Junge Frauen und eine zunehmende Zahl junger Männer verhielten sich so, heißt es, weil sie die Geschlechterrolle, in die sie gepresst werden, fürchten und hassen. Dass sie für ihre Angst und Wut verdammt gute Gründe haben könnten, darauf ist die psychiatrische Zunft noch nicht gekommen.
Spielboykott
Auf der Station für die Umerziehung böswilliger Nichtesserinnen war Sex-Talk nicht erlaubt. Fluchen war nicht erlaubt. Als zwei andere Mädchen und ich in der obligatorischen Kunsttherapie, in der wir unsere Gefühle ausdrücken sollten, riesige behaarte Schwänze, Mösen und vulgäre Sexszenen aufs Papier brachten, stellte man uns zur Rede, warum wir so stur seien und nicht nach Plan vorankämen. Wenn wir uns morgens zum Wiegen anstellten, flüsterten wir uns Möse und Fotze zu, immer lauter, um auszutesten, wann uns die Krankenschwestern den Mund verbieten würden. Wir hatten uns zu benehmen. Wir hatten brave Mädchen zu sein, wenn wir da je wieder rauskommen wollten.
Um diese Klinik durch den Haupteingang zu verlassen, und zwar nicht horizontal mit den Füßen voran, mussten wir uns an die Regeln halten. Wir mussten lächeln und aufessen. Wir mussten brave Mädchen sein. Ein braves Mädchen ist eins, das keine Hosen trägt, sich die Haare wachsen lässt, so bald wie möglich einen Freund findet und lernt, sich das Haar zu stylen und einen sauberen Kajalstrich zu ziehen. Ein braves Mädchen kauft verschiedene Kleider für verschiedene Anlässe, macht sich so zurecht, dass es die begehrlichen Blicke der Männer auf sich zieht, und lernt Manieren: den Kopf neigen und »Bitte« und »Danke« sagen und »Nein, für mich keinen Kuchen, ich habe diese Woche schon genug gesündigt«.
Das war die erwünschte Weiblichkeit, die heterosexuelle Weiblichkeit, Weiblichkeit als Kontrolle, als großes Entqueeren. Es war das ultimative Umstyling, und wir halfen uns gegenseitig, verkleideten einander wie überkandidelte Barbiepuppen, sogar ich – ich ganz besonders, denn ich hatte, als ich in die Klinik kam, kurze Haare und Hosen getragen und vom Mädchenküssen gefaselt, und hatte daher am meisten darüber zu lernen, was eine Frau eigentlich ist. Wir spielten das Spiel gemeinsam, vor allem, wenn eine von uns die Station verlassen durfte. Dann kleideten wir sie an, schminkten sie, polierten ihr die Nägel, machten ihr das Haar und schickten eine gesunde normale Frau hinaus in die Welt, nicht das verletzte empfindliche Wesen, das Monate zuvor zu Fuß oder im Rollstuhl mit nacktem Herzen auf die Station gekommen war.
Mach dich schön. Mach dich neu. Spiel das Frauenspiel, und spiel es besser als deine Freundinnen. Du bestehst nur aus Oberfläche, da machst du die Oberfläche am besten interessant, modern und frisch, denn darunter ist ja nur eine Frau mit ihren läppischen Problemen und ihren faden Gefühlen. Sogenannte Makeover-Shows,