Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny
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Diese Studie belegt in aller Deutlichkeit, was die meisten Frauen, die auch nur einen Funken persönlichen oder beruflichen Ehrgeiz in sich haben, instinktiv schon lange wissen: dass sich unser Erfolg im Leben und im Beruf umgekehrt proportional zur Anzahl der Zentimeter Fleisch auf unseren Knochen bemisst und dass ein normaler gesunder Körper in Machtpositionen nicht erwünscht ist. Auch nach einem Jahrhundert Feminismus dürfen nur wenige Frauen eine Machtposition in Unternehmen, Medien und Politik einnehmen – und dort sollen sie möglichst wenig physischen Raum beanspruchen. Wenn es einen Typ Frau gibt, den die Medien nicht leiden können, so ist es das politische Schwergewicht.
Das alles ist allerdings harmlos im Vergleich zu dem Horror, den die Gesellschaft für korpulente und dazu auch noch arme Frauen bereithält. In den westlichen Industriestaaten, in denen die Quantität der Nahrung weniger Probleme bereitet als die Qualität, ist Übergewicht oft sogar ein Symptom der Armut, und diese Fehlernährung hat den unverhohlenen Ekel der kulturellen Rechten vor Frauen der Arbeiterklasse, die zu viel Raum einnehmen, lediglich zementiert.
Vom Vorstandszimmer bis in die Gosse gilt: Das Bestreben der Frauen, den Body-Mass-Index so niedrig wie möglich zu halten, gründet auf der berechtigten Angst, dass wir bestraft werden, sobald wir den patriarchalen Raum betreten. Kein Wunder, dass so viele von uns hungern.
Wer verhindern will, dass Mädchen etwas erreichen, zwingt sie am besten dazu, alles zu erreichen. Während sich Feministinnen früher über die »zweite Schicht« beschwerten, die Frauen jenseits des Arbeitsplatzes mit Hausarbeit und Kindererziehung übernahmen, hat heute die Verpflichtung zur bedingungslosen Leistungsbereitschaft sämtliche Lebensbereiche infiziert: Wir müssen akademisch erfolgreich sein, gesellschaftlich gewandt, körperlich attraktiv, sexuell verführerisch, aber nicht zu »nuttig«, ehrgeizig, aber bitte nicht »penetrant«.
Eines der ersten Dinge, die Mädchen erfahren, ist ihre Machtlosigkeit. Ich meine damit die körperliche Machtlosigkeit: dass Jungs stärker und fitter sind und es auch immer sein werden, ob das nun stimmen mag oder nicht. Ein paar Monate vor den Olympischen Spielen stellte die Zeitschrift Grazia Trainingsübungen der Top-Leichtathleten vor – präsentiert von Models in Designermode, die aussahen, als seien sie kaum in der Lage, die Requisiten zu stemmen, die sie in der Hand hatten.30 Körperlich starke Frauen beeindrucken die Werbeleute nicht, daher befanden sich die Bilder der Athletinnen und Athleten ganz klein unten auf der Seite. Frauen sollen nicht aussehen, als könnten sie ihre Gegner in die Knie zwingen. Hauen dürfen wir höchstens ein Kissen, vorzugsweise in Dessous vor laufender Kamera, da bremst nicht einmal das Patriarchat, das Kissenschlachten durchaus zugetan ist.
Die Kämpfe, die junge Mädchen unter dem Spätkapitalismus ausfechten, sind die Kämpfe unseres Zeitalters, und es geht um Würde, Gender und Identität. Das junge Mädchen, dessen Unterwürfigkeit zu seinem Charme gehört, sollte doch besser wissen als jede andere, dass sie an ihrem Elend nur selbst schuld ist. Sie spürt, dass sie sich zu einer Ware macht, zu Fleisch, das in eine Kunststoffform gepresst wird, doch wenn ihre Seele rebelliert, schließt sie daraus, dass sie als Ware noch nicht gut genug ist, und so strengt sie sich noch mehr an, ihre peinlichen und unangenehmen Ecken und Kanten abzuschleifen.
Also arbeitet sie. Alle Mädchen arbeiten. Wir geben Geld aus, das wir nicht haben, um ein inneres Selbst zum Ausdruck zu bringen, das wir gern hätten, ein gutes und schönes Wesen, das es verdient, gerettet zu werden. Wir wissen alle, jeder arbeitende Mensch, der sich Filme ansieht, weiß es, dass unser wahres Selbst reich, hübsch und beliebt ist und wir nur die richtigen Kleider anziehen und uns bewähren müssen, um genau so zu werden. Erfüllung ist eine individuelle, keine strukturelle Angelegenheit, und vermittelt wird sie durch strenge Konformität, die uns natürlich am besten zu einem Individuum macht, genau wie alle anderen auch.
Einer der grausamsten Streiche, den man der Generation meiner Mutter spielte, war wohl die Mär, dass das Recht, jeden schlecht bezahlten Knochenjob zu übernehmen, den sonst Männer verrichten, die einzige und ultimative Errungenschaft der Frauenbewegung sei. Stimmt, in den meisten westlichen Ländern haben Frauen heute für eine Arbeit, die auch ein Mann tun kann, ein gesetzliches Anrecht auf gleiche Bezahlung, auch wenn sie den Job erst einmal bekommen müssen.
In der Praxis jedoch sind Frauen am oberen Ende der Ge-halts- und Beschäftigungsskala nicht gerade üppig vertreten. Überrepräsentiert sind wir dafür wie eh und je in schlecht bezahlten, unterbezahlten und unbezahlten Jobs, in Haushalts- und Pflegeberufen und anderen Tätigkeiten, die in Sachen Bezahlung und gesellschaftliches Ansehen in der sozialen Hierarchie weit unten angesiedelt sind, eben weil diese Arbeit traditionell von Frauen verrichtet wird. Mit dem Irrglauben, wir befänden uns am Zielpunkt des feministischen Fortschritts, muss dringend aufgeräumt werden, und zwar schnell.
Perfekte Mädchen
Die Gesellschaft weiß schon, dass junge Mädchen abgefuckt sind. Das gehört ja zu ihrem Charme. Sie sind nicht nur Objekte, sie sind erbärmlich, hoffnungslos überfordert mit den Schwierigkeiten des Erwachsenenlebens, mit der verwirrenden Vielfalt von Möglichkeiten, die die moderne Gesellschaft für sie parat hält, von chirurgischer Unterleibspolitur bis hin zum Dienstleistungsjob. Eine Frau ist in der kollektiven Wahrnehmung des Westens so etwas wie ein Kleinkind im Bonbonladen: dermaßen überfordert von der großen Auswahl, dass das undankbare Ding einen Tobsuchtsanfall bekommt und auf den Boden kotzt. Aus abgefuckten Mädchen werden unglückliche Frauen. Eine Studie nach der anderen weist nach, dass Frauen und Mädchen unglücklich sind wie eh und je, überarbeitet, erschöpft, tablettenabhängig; ihnen werden dreimal so viele Rezepte ausgestellt wie Männern.31 Von den Titelseiten der Promimagazine kreischt uns ein Chor erfolgreicher Frauen entgegen, die am Rande des psychischen und physischen Zusammenbruchs stehen. Dieser Star hungert, jene Schauspielerin hat Depressionen, eine dritte trinkt nachts bis zur Bewusstlosigkeit, bis ihr die Kinder weggenommen werden. Den Mächtigen gefällt dieser Mythos: Frauen haben jetzt Gleichheit und Chancen und so weiter, aber sie kriegen es nicht auf die Reihe. Vielleicht hätte man es ihnen von Anfang an nicht geben dürfen.
Erwachsenwerden ist schwer, leichter ist es, sich dem Aufwachsen zu entziehen und einfach nur ein Mädchen zu bleiben. Das will schließlich auch die Familie so. Sie will, dass wir hübsch und nett sind und nie Ärger machen. Das liegt nicht etwa daran, dass sie uns nicht mögen und uns kleinhalten wollen. Nein, sie wollen nur unser Bestes, und wer die Welt objektiv beobachtet, sieht doch, dass hässliche und lästige Mädchen eher Probleme bekommen, eher zu einem Problem werden, und niemand will doch, dass wir ein Problem sind. Unser Freund auch nicht. Er ist so aufgewachsen, dass er in einer Beziehung kein echtes menschliches Wesen erwartet, sondern eine Hilfskraft, eine Wasserträgerin, eine Fleisch gewordene Wichsfantasie. Unser Chef genauso. Er oder sie will, dass wir das Spiel mitspielen. Sei ein gutes Mädchen. Lächle, schau, dass die anderen sich wohlfühlen; finde dich mit schlechter Bezahlung, Überstunden, gelegentlichen Grapschereien auf dem Flur ab, buhle mit den anderen jungen Frauen darum, wer die hübscheste, die gefügigste, die fleißigste ist, das Mädchen, das alle lieben. Nimm dir aber nie vor, mehr zu sein als das.
Ein Mädchen zu sein, das Mädchen zu sein, ist einfach, wenn wir weiß und durchschnittlich hübsch sind. Da ist nichts weiter dabei. In diesem Fall müssen wir die unerwünschten Bestandteile unserer Persönlichkeit nicht einmal völlig ablegen, das Schlaue und Schwierige, das Lärmende und Wütende, das Maskuline, Selbstständige und Ehrgeizige. Wir brauchen sie nur ein wenig zu dämpfen, bis sie nicht mehr sind als ein Hintergrundrauschen und das männliche Ohr sie nicht mehr wahrnimmt, und schon bald hören wir sie selber nicht mehr. Wir fahren sie herunter, schlingen sie hinunter wie die Mahlzeiten, die wir nicht essen dürfen, denn das Mädchen muss schlank und zerbrechlich bleiben, wenn es schön und geliebt sein will. Und wir wollen doch schön und geliebt sein.