KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL. Klaus Hübner

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KAISERSCHMARRN, RÖSCHTI UND ANDERE SCHMANKERL - Klaus Hübner

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Herbert Achternbusch, Urs Widmer, Günter Kunert und noch viele andere Schriftsteller – und jetzt auch Christoph Braendle. Er publizierte, pünktlich zum Beginn der globalen Finanzkrise, einen Roman, in dem es zentral um deren Ursachen geht und der konsequent auf das Sintflutszenario hinausläuft. Fast niemand beachtete ihn. Auch nachdem es in der Zeit eine fast euphorische Besprechung gab, geschah wenig. In einer »zeitlos schwebenden Prosa« verfasst, komme dieser jüngste literarische Weltuntergang direkt »charmant« daher, meinte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Gute Literatur offenbar, dieser Meermacher, aber bisher ohne größere Wirkung. Ob man Braendles außergewöhnliches, packendes und umwerfend geschriebenes Buch erst richtig entdecken und würdigen wird, wenn seine Prophezeiung eingetroffen sein wird? Aber wer sollte dann …?

      »In diesem Moment fielen die ersten Tropfen vom Himmel. Das große Regnen begann.« Ein recht normales Ehepaar mittleren Alters sitzt, nicht gerade vor Glück strahlend, in seinem Einfamilienhaus mit dem schönen Namen »Zur Augenweide«. Es muss doch noch etwas anderes im Leben geben als dieses Haus, diese Siedlung und vielleicht auch diese Ehe, sinniert Gustav. Wenn der anvisierte Südseeurlaub an Gerlindes blöder Flugangst scheitert und man die sagenhaften Korallenriffe niemals zu Gesicht bekommen wird, dann muss man seiner »Lust auf Meer« eben im von Aquarien vollgestellten Postwirt nachgehen. Nebenbei malt sich Gustav dort bei mehreren Schoppen im Detail aus, wie das Meer, das er noch nie gesehen hat und wahrscheinlich nie sehen wird, zu ihm nach Hause kommen könnte. »Was brauchen Sie die Südsee?«, fragt ihn ein Postwirtaquarist. »Für mich jedenfalls ist eine Woche Urlaub, wenn ich mich hier beim Postwirt eine Stunde lang zu den Fischen setze.« Das ist es doch: Erst einmal ein Aquarium, mit Zierfischen! Und schon nimmt die Sache ihren durchaus unerwarteten Lauf – Gustav wird, Schritt für Schritt, zum Meermacher: »Wenn ich Meer will, geb ich keine Ruhe, bis ich Meer habe, dachte Gustav.«

      Den Literaturkritiker Jens Jessen beeindruckte, mit welch beachtlichem künstlerischen Geschick und Können der Autor, dieser eher schlichten Ausgangsidee folgend, »das ganze Leichtfertigkeitspanorama unserer Wirtschaftsweise« entfaltet. Denn nun tritt Gustavs Schulfreund André auf, ein erfolgreicher Unternehmer und Projektrealisierer von heute (oder vielleicht doch schon von gestern?): »Alles sei möglich, sagte er, vor allem schaffe Gustavs Meer Reichtum in eine Gemeinde, die im Moment noch ganz und gar verschlafen sei.« Kurzum, André und seine Assistentin, die attraktive Frau Schneider, übernehmen die Sache, und was nun geschieht, macht alle braven Gedanken des naiven Gustavs »mit einem Schlag zunichte«. Denn André wollte schon immer »mehr haben«, und Gustavs Idee scheint ihm ganz im Trend der Zeit zu liegen: »Noch hätten viele nicht den Mut, ihre Abneigung gegen diesen allgemeinen Zwang zum Fremden laut zuzugeben, noch wagten viele nicht, etwas Vernünftigeres anzufangen mit der Zeit und zum Beispiel zu Hause zu bleiben.«

      Braendles spannende Geschichte kennt manchen Umweg und läuft doch, das erwähnte »Leichtfertigkeitspanorama« virtuos entfaltend, vollkommen folgerichtig ab. Die Vision vom Meer vor der Haustür wird gnadenlos umgesetzt, mit vielen fiesen Tricks einschließlich der sozusagen alltäglichen Brutalität, zu der ein der nackten Profitgier kaum Schranken setzendes Wirtschaftssystem eben in der Lage ist. »Mein Traum, dachte er, hat sich in einen Albtraum verwandelt.« Während es permanent weiterregnet, wird die Gemeinde Schritt für Schritt ruiniert, mit ihr das Gasthaus und dessen renitenter Wirt, der seinen Widerstand sogar mit dem Leben bezahlen muss. Doch das Ende aller ist nicht mehr weit. »Die apokalyptischen Reiter sind unterwegs«, fasst ein Postwirtgast die Lage zusammen. »Ich sage nur Hochmut, ich sage Hybris, ich sage Vermessenheit. Immer wollen wir mehr. Nie haben wir genug. Dafür kriegen wir jetzt unser Meer, aber es ist viel mehr Meer, als wir wollten.«

      Kein Weglaufen hilft mehr und auch nicht die Arche, die am Ende ausführlich ins literarische Spiel kommt – diese Katastrophe ist unwiderruflich die letzte. Gustav sieht in der Tat zum ersten Mal das Meer, das so ruhig und still zu sein scheint, »dass es wie gefroren wirkte«. Aber es ist kein irdisches Meer mehr, »weil über dem Wasser zwei Sonnen hingen«. Ob Franz Kafka sich den Meermacher vorgestellt hat, als er vom Buch als einer Axt für das gefrorene Meer in uns gesprochen hat? Wir wissen es nicht. Aber es wäre gut möglich.

      Christoph Braendle: Der Meermacher. Roman. Weitra 2008: Verlag Bibliothek der Provinz. 230 S.

      Schweizer Original aus Wien. Christoph Braendle – Literat mit vielen Gesichtern

      Wahrscheinlich ist Christoph Braendle in Österreich bekannter als in der Schweiz. Im vergangenen Jahr hat er den Band Österreich ist schön, oder? Eingewandert aus der Schweiz herausgegeben, und seit einem Vierteljahrhundert wohnt er mitten in Wien, sofern er nicht in Marokko ist oder sonst wo auf der Welt – im Grunde nämlich ist er ein passionierter Weltenbummler, trotz oder mit Familie. Braendle hat als Journalist und Reporter gearbeitet, er hat skurrile Theaterstücke und glänzende Essays verfasst, und er hat eine beachtliche Menge von literarischen Büchern publiziert, unglücklicherweise in ganz unterschiedlichen Verlagen. Andererseits mag das auch seine innere Logik haben, denn keines seiner Bücher gleicht dem anderen. Gemeinsam ist ihnen der wache, neugierige Blick auf die Welt, die immer wieder verblüffende Originalität des jeweiligen Themas und der dafür gewählten literarischen Form und natürlich die hohe sprachliche Qualität, die ihren Autor, im Unterschied zu manch anderen Schriftstellern unserer Zeit, als ungewöhnlich vielseitigen und in zahlreichen Genres versierten Literaten erscheinen lassen. Man muss nicht alles von ihm kennen, um begeistert zu sein – seinen meisterlich erzählten Roman Der Meermacher aber schon, einen von der ersten bis zur letzten Seite packenden Text. Braendles Reportagen aus der Mitte der Welt sollte man ebenfalls lesen, und auch sein vorletztes Buch Das Wiener Dekameron, das Michael Pfister unlängst als »ein vergnügliches Buch voll charmant-perverser Betthupferl für Liebeslüsterne« charakterisiert hat. Die Liebe und die Lust – ein Themenkomplex, der diesen Autor stets begleitet hat und ihn nicht loslässt. Was auch sein jüngster Roman beweist.

      Onans Kirchen spielt im südlichen Afrika und ist damit auf jeden Fall ein Afrikaroman. Ein ungewöhnlicher, ziemlich schräger allerdings, immer wieder durchsetzt mit brillanten zivilisationskritischen Tiraden und voll von sprachwütenden Abrechnungen mit Rassismus und Kolonialismus. Ein politischer und ein philosophischer Roman ist Onans Kirchen also auch. Seinen Protagonisten Parsifal, einen sehr bald in die Wildnis flüchtenden vierzigjährigen Regionaldirektor eines europäischen Firmenkonsortiums, der auf eine von »ständigen Weibergeschichten« durchsetzte Karriere zurückblickt, hat die »Afrikanische Krankheit« erwischt: »Wenn man plötzlich nichts mehr werden will, sondern nur noch ist.« Die Arbeit kann er getrost seinem Assistenten Munashe überlassen: »Mein Telefon ist hübsch, aber es klingelt nicht.« Als er aber in einer alten Schweizer Zeitung ein Inserat entdeckt, in dem eine nicht mehr ganz junge Frau einen Mäzen sucht, »Kennwort Parsifal« – da klingelt es gewaltig, und zwar in seinem Innersten. Leider lebt das Objekt seiner Begierde in Wien und studiert dort angeblich Philosophie. Leider hat er sie noch nie gesehen, meint aber alles von ihr zu wissen. Bis zum recht überraschenden Ende in Richard Wagners Bayreuth bleibt sie unerreichbar und geheimnisvoll. Eine literarische Folge dieser vertrackten Konstellation ist die Ich-Form. Die Tagebuchnotizen, die wir lesen, kreisen um einen Mann, der mitten im dunklen Kontinent den Gespenstern seines virilen, durchaus auch beängstigenden Innenlebens begegnet. »Jedenfalls war ich, Parsifal, ein Wüstling, der Herr Hans oder Don Juan, welcher ganze Blumenwiesen leer zu pflücken verstand. Und ich wusste, ich wusste jedes Mal schon in der ersten Nacht, dass im Bett der Beginn der Trennung liegt.« Und jetzt? Ein einsamer Parsifal in Omombo, einem Ort, der so etwas wie das Gegenteil von Wien zu sein scheint. »So weit das Auge reicht: nirgends Spuren von Zivilisation. Nur dieses Endlose, das über den Horizont hinausreicht, bis dorthin, wo vielleicht keine Welt mehr ist.« Ein altes Radiogerät gibt es, einen Generator, Dynamit, vielleicht sogar Diamanten. Hauptsächlich aber Hitze, Dornbüsche, Steinhaufen, Ameisen und Termiten, auch Ziegen und ausgemergelte Kühe. »Omombo ist für den, der weiß, was Liebe ist.« Dem Fast-Nichts wird ein fulminantes Selbstgespräch entgegengesetzt – die trockene Natur wird durch feuchte Träume und wilde Fantasien belebt, und es entsteht ein erregendes Sprachkunstwerk,

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