Sophienlust Classic 50 – Familienroman. Patricia Vandenberg
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Zum Abendessen holte Alexander von Schoenecker die neue Bewohnerin von Sophienlust persönlich mit dem Wagen nach Schoeneich, wo ein festlicher Tisch gedeckt war.
»Willkommen, liebe Angela.« Denise umarmte die Besucherin. »Wir sind glücklich, dass Sie nun bei uns sind und hoffentlich auch bleiben werden.«
»Wenn ich bleiben darf?«, stammelte Angela scheu.
»Das wissen Sie doch«, fiel Nick etwas vorlaut ein. »In Sophienlust darf jeder bleiben.«
»Er war zwar nicht um seine Meinung gefragt«, sagte Alexander mit Herzlichkeit, »aber Nick hat vollkommen recht. Sie sind nun in Sophienlust zu Hause, liebe Frau Angela.«
»Wenn es mir bessergeht, werde ich versuchen, mich nützlich zu machen«, versprach Angela mit zitternder Stimme.
»Zunächst werden wir das nicht erlauben«, wandte Denise energisch ein. »Und jetzt wollen wir erst einmal gemütlich essen. Ich habe Hunger.«
Auf dem Tisch brannten Kerzen in schönen alten Silberleuchtern.
»Zu Ehren von Bettinas Geburtstag«, verkündete Henrik, der stolz war, dass er an der festlichen Runde ebenfalls teilnehmen durfte.
Ein ruhiges Gespräch ergab sich erst dann, als Nick und Henrik sich verabschiedet hatten. Die Erwachsenen saßen nun vor dem flackernden Kaminfeuer, wo es richtig gemütlich war.
»Uns Landwirte hat der frühe Winter zwar in Bedrängnis gebracht, aber hier im Haus, am warmen Kamin, finde ich es ausgesprochen schön, wenn es draußen stürmt und schneit«, meinte Alexander. »Glauben Sie, dass Sie sich in Sophienlust einleben können, liebe Frau Angela?«
Zuversichtlich nickte die junge Frau.
»Bettina ist da. Ich fühle mich bereits heute, am ersten Abend, drüben ganz daheim. Nur sorge ich mich ein bisschen, ob meine Kleine auch ruhig schläft.«
»Darum kümmert sich Schwester Gretli oder eines der jungen Mädchen«, tröstete Denise.
»Wenn wir Sie nachher heimbringen, können Sie gern noch ein letztes Mal zu Bettina hineinschauen. Welche Mutter täte das nicht vor dem Schlafengehen?«
»Man ist wirklich zu Hause bei Ihnen.« Angela seufzte dankbar auf. »Ich habe mich vor diesem Tag gefürchtet. Im Krankenhaus in Zürich war zwischen mir und der Wirklichkeit immer so etwas wie eine Wand aus Glas. Der Entschluss, ins Leben zurückzukehren – in ein Leben ohne Klaus –, ist für mich nicht leicht gewesen.«
»Haben Sie Ihre Sachen gefunden?«, fragte Denise ablenkend.
»Ja, es war für mich recht wunderlich, alles bereits in den Schränken vorzufinden, in dem schönen Gästezimmer in Sophienlust.«
»Der Freund Ihres Mannes hat mehrere Koffer und Kisten geschickt. Einige stehen noch auf dem Speicher. Herr Denninger hat alles verpackt, was von persönlichem Wert für Sie ist. Die Wohnung hat er an ein ihm bekanntes Ehepaar vermietet, damit auf diese Weise wenigstens etwas Geld hereinkommt. Die beiden Aufträge, die Ihr Mann vor seinem Tod erhielt, hat er durchgeführt. Das Büro läuft noch immer unter dem Namen Ihres Mannes. Denn Herr Denninger fand, er sei nicht berechtigt, das ohne Ihr Einverständnis zu ändern. Dr. Brachmann, der uns juristisch betreut, hat sich mit Herrn Denninger in Verbindung gesetzt und festgestellt, dass sich Ihre Angelegenheiten bei ihm in den allerbesten Händen befinden.«
»Sie haben so vieles getan, wovon ich keine Ahnung hatte«, stellte Angela beschämt fest. »Ich habe bisher von Alf Denninger nur ein paar sehr allgemein gehaltene Briefe bekommen, in denen er jedesmal schrieb, ich möge mir keine Sorgen machen. Im letzten Brief erwähnte er sogar, dass unsere Schulden jetzt abgezahlt seien. Wieso, das erklärte er mir bisher nicht. Ist das auch wieder Ihnen zu verdanken?« Groß und fragend schaute Angela abwechselnd auf Alexander und Denise.
»Diesmal nicht«, erwiderte Denise lächelnd. »Wahrscheinlich wirft das Büro Ihres Mannes inzwischen allerlei ab.«
»Aber es ist nicht mehr Klaus, der dort arbeitet, sondern Alf Denninger«, wandte Angela ein.
»Die großen Aufträge, über die Ihr Mann so glücklich war, hätte Denninger allein keinesfalls erhalten. Er wird es schon richtig gemacht haben und es Ihnen auch zu gegebener Zeit erklären. Gewiss lag ihm daran, dass Sie sich wegen der Schulden nicht mehr den Kopf zerbrechen.«
»Nun ja – ich hatte eigentlich daran gedacht, unsere Möbel und das Silber zu veräußern, damit wir wenigstens einen Teil der Kredite abdecken können. Alfs Idee, die Wohnung zu vermieten, war sicherlich besser.«
»Hauptsache, Sie grübeln nicht, liebe Frau Angela. Ehe Sie nicht wieder voll leistungsfähig sind, darf Herr Denninger hier keinesfalls mit Abrechnungen und Papieren aufkreuzen. Glücklicherweise hat er dazu auch gar keine Zeit, weil die Bauvorhaben seine ständige Anwesenheit und Aufsicht erfordern.« Alexander rieb sich die Hände. »Er scheint für drei schuften zu können, dieser junge Mann.«
Nach und nach rundete sich für Angela das Bild. Sie erkannte, dass sie nicht nur den Schoeneckers, sondern auch dem Studienfreund ihres Mannes viel zu verdanken hatte.
»Werde ich das je gutmachen können?«, flüsterte sie überwältigt.
»Niemand erwartet das, liebe Angela.« Denise nahm ihre Hände. »Sie waren in großer Not. Wer die Möglichkeit hatte, war bereit, Ihnen zu helfen. Wie das Leben einmal weitergeht, weiß niemand. Bewahren Sie sich ein offenes Herz für die Schicksalsschläge, die anderen widerfahren. Es wird sich oft genug eine Gelegenheit ergeben, helfend einzugreifen. Dabei kommt es durchaus nicht darauf an, an wen Sie das weitergeben, was Sie selbst empfangen haben.«
»So könnte unsere hastige, materialistisch gesinnte Welt besser werden«, erwiderte Angela und schaute in das verglimmende Feuer.
Denise erinnerte sich, dass sie Henrik noch hatte gute Nacht sagen wollen.
»Die Zeit ist so schnell vergangen«, gestand sie erschrocken. »Es ist viel zu spät geworden.«
»Sicher schläft er längst«, mutmaßte Alexander.
»Da kennst du unseren Henrik schlecht. Bis gleich.« Leichtfüßig ging Denise davon. Mit zärtlichem Blick verfolgte sie ihr Mann.
»Sie ist eine wunderbare Frau!« Angela sprach das aus, was Alexander dachte.
Der Gutsherr stand auf und küsste der jungen Witwe die Hand. »Wir werden uns gut verstehen, Frau Angela. Sie haben mir gerade aus der Seele gesprochen.«
Wenig später kam Denise zurück. »Henrik las eine Abenteuergeschichte und hatte die Zeit vollkommen vergessen. Wahrscheinlich wäre er bis Mitternacht wach geblieben, obwohl er todmüde war.«
»Und Nick?«, fragte Angela.
»Der sitzt noch über seinen Schulbüchern. Leider hat er sich angewöhnt, fast jeden Nachmittag in Sophienlust zu verbringen, wo er sich mit den Kindern beschäftigt. Schulaufgaben werden erst nach dem Abendbrot erledigt, obwohl das nicht ganz in unserem Sinne ist«, berichtete Alexander. »Nick argumentiert, dass Sophienlust ihm gehöre und er sich schon jetzt ständig um alles kümmern müsse.« Alexander sprach so stolz von Nick, als wäre er tatsächlich sein eigener Sohn.