Karin Bucha Classic 45 – Liebesroman. Karin Bucha
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»Du redest Unsinn, Mutter«, fährt er sie grob an. »Dich haben die Ereignisse verwirrt. Es wird besser sein, man ruft dich nicht als Zeuge auf.«
»Das glaube ich auch, Franz.« Das klingt sanft und ohne jeden Vorwurf. Er angelt seine Mütze vom Stuhl und stülpt sie auf das struppige dunkelblonde Haar.
»Wiedersehen, Mutter«, sagt er flüchtig.
»Wiedersehen, Franz – und bitte, schick mir die Franzi«, hört er sie noch sagen. Mit einem Krach fliegt die Tür ins Schloß.
Maria Warburg lächelt vor sich hin. Peter! Wo mag er sein? Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen.
Ein Menschenleben gelebt, gearbeitet, Kinder zur Welt gebracht und sie mit aller Liebe erzogen.
Langsam zerrinnt dieses Leben unter ihren Händen. Sie spürt es – und sie sieht mit Demut dem Kommenden entgegen.
Trotz allem, wie es auch gewesen ist – das Leben ist gut!
*
Georg Reichert geht mit wuchtigen Schritten durch das Zimmer. Seine Blicke sind ärgerlich, die er auf Beate wirft.
»Da hast du ihn, deinen sauberen Peter. Auf und davon ist er. Einfach verschwunden. Warum ist er davongelaufen? Weil er sich schuldig fühlt –«
»Weil er sich nicht verteidigen kann, Vater«, wirft sie mit tonloser Stimme ein. Sie ist so unsagbar erschöpft, so müde und ohne jede Anteilnahme. Peter ist in Sicherheit. Das andere kümmert sie nicht.
»Liebst du ihn etwa immer noch?« fragt er barsch.
Ihre Augen erscheinen riesengroß in dem blassen Gesicht. Eine einzige große Bitte um Verständnis liegt darin. »Immer noch – fragst du?« Sie lächelt beinahe nachsichtig. »Ich werde Peter immer lieben, immer, Vater.«
Das ist das unumstößliche Bekenntnis eines liebenden Frauenherzens, und Reichert weiß genau, niemals wird Beate das tiefe Gefühl für Peter aus ihrem Herzen reißen.
»Ich bewundere nur die Haltung von Franz Warburg. Nicht einen Pfennig zahlt die Versicherung, da einwandfrei Brandstiftung erwiesen ist. Er läuft nicht kopflos davon, sondern beginnt neu aufzubauen, jedenfalls hat er mir das zu verstehen gegeben.«
»Das hatte ich auch nicht anders erwartet.« Beate sagt das unsagbar bitter. »Seine Frau hat doch genug Geld. Damit kann er tun und lassen, was er will.«
Sie geht auf ihn zu. Sie legt ihre Hände um seinen Hals und bittet mit zuckendem Mund. »Bitte, Vater, laß uns nicht mehr davon sprechen. Ich liebe Peter, ich werde ihn immer lieben. Ich weiß, seine Unschuld wird sich herausstellen. Hilf mir doch, daß Peter und ich glücklich sein können.«
Nur widerwillig löst er ihre Hände von seinem Hals. Er will nicht zugeben, daß er weich wie Wachs in ihren Händen ist, denn er liebt seine Einzige von Herzen.
»Soll ich dir deinen Peter herbeizaubern?« brummt er aufgebracht.
Schnell küßt sie ihn auf die Wange. »Nein, das kannst du nicht, Vater. Aber du sollst das Andenken an Peter nicht trüben. Um mehr bitte ich dich nicht.«
»Aber wenn nun einmal alles gegen Peter spricht? Zuerst der Diebstahl, dann der Brand. Peter war zuletzt im Schuppen. Die Kanister mit Benzin gehörten ihm.«
Beide Hände preßt Beate gegen die Schläfen, hinter denen es hämmert und pocht. Keine Minute hat sie in der Nacht die Augen geschlossen. Sie hat Peters Weg im Geiste verfolgt. Und nun versucht ausgerechnet der Vater, sie mürbe zu machen.
»Laß das, Vater, bitte, laß das. Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht«, stöhnt sie und läßt sich in die Sofaecke sinken.
Wie er sie so sitzen sieht, die Augen geschlossen trotz der nervös zuckenden Lider, den Mund schmerzlich verzogen, keinen Tropfen Blut mehr im zarten Antlitz, da tut sie ihm unsagbar leid.
»Mädel, Beate!« Er beugt sich zu ihr hinab und küßt sie auf die Stirn. »Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Glaube weiterhin an deinen Peter.« Er schnauft einmal tüchtig, als müsse er sich die nächsten Worte abringen. »Ich verspreche dir, alles zu tun, um Peters Unschuld zu beweisen.«
Ihre Wimpern flattern. Die Lider heben sich. Sie lächelt dankbar.
»Ich danke dir, Vater, du bist doch der allerbeste –«
Dann sinkt ihr Kopf zur Seite. Sie sinkt in eine bodenlose Tiefe, die wohltuend ist und alle schmerzhaften Grübeleien auslöscht.
*
Wohlbehalten ist Peter Warburg in Hamburg angelangt. Er hat sich eingekleidet, hat alle Dinge eingekauft, die er für eine große Reise benötigt, und ein Ticket für einen Dampfer der Amerikalinie belegt.
Er lehnt, wie auch die anderen Passagiere, an der Reling, während das stolze Schiff am Schulauer Fährhaus vorübergleitet. Man hört den Lautsprecher, der dem Schiff »gute Fahrt« wünscht. Die Flagge wird hochgezogen, und die Nationalhymne erklingt. Das Schiff bedankt sich, indem es dreimal seine Sirene erklingen läßt.
Peter Warburg ist eine der interessantesten Erscheinungen an Bord. Er gilt als Vergnügungsreisender. Man ärgert sich nur, daß er sich von allen Abwechslungen, die an Bord geboten werden, fernhält.
Meist verläßt er abends seine Kabine. Stundenlang kann er über die im Mondschein glitzernde Wasserfläche starren und empor zum sternenklaren Himmel blicken.
Er wundert sich über die Worte der Mutter, die ihm jetzt wieder einfallen. Onkel Stephan, das schwarze Schaf in der Familie, hat viel für sie übrig gehabt?
Warum hat er nicht weitergeforscht? Sie hätte ihm vielleicht das Geheimnis lüften können, das mit Onkel Stephans Flucht aus der Heimat zusammenhängt?
Nun! Er wird sich an Ort und Stelle selbst ein Urteil bilden. Wenn aber dieser Onkel nichts von ihm wissen will?
Auch gut! Er kann arbeiten. Auf irgendeiner Farm wird er wohl Arbeit finden.
Am 15. August erreicht Peter Warburg Amerika und besteigt den Zug nach Nebraska.
*
Magda Reichert ist eine blonde, sanfte und mollige Frau. Sie liebt ihren Mann mit der ganzen Kraft ihres Herzens und heißt alles gut, was er sagt und tut.
Sie ist willig und fühlt sich ihm gegenüber ewig schuldbewußt. Sie weiß, daß er sich einen Erben gewünscht hat, und daß sie ihn schwer enttäuschte, als sie einer Tochter das Leben
gab.
Was sie aber still für sich trägt, ist die Gewißheit, daß sie niemals wieder ein Kind wird austragen können. Der alte Doktor Funke hat es ihr gleich nach Franziskas Geburt mitgeteilt, und sie hat ihn angefleht, unter gar keinen Umständen mit ihrem Mann darüber zu sprechen. Sie hat geweint und gefleht, und er hat ihr das Versprechen geben müssen, zu schweigen.
Auch auf dem Hof ihrer Eltern, deren einzige Tochter sie ist, fühlt sie sich nicht wohl. Mit dem Bruder und der Schwägerin versteht sie sich ganz