Familie Dr. Norden Classic 48 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Warum hast du das nicht schon früher gesagt, Mutsch?« fragte Jannick rauh.
»Vielleicht dachte ich, ihr würdet selbst darauf kommen, daß kein Verdiener mehr da ist, aber ich bin fest entschlossen, zumindest meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ihr könnt dann eure Rente für euren Lebensunterhalt nehmen.«
»Wieviel ist das denn überhaupt?« fragte Bibiane.
Sie schauten sich gegenseitig betreten an und machten lange Gesichter, als sie hörten, wie niedrig diese war.
»Ich nehme an, ihr wollt jetzt nachdenken«, sagte Franziska. »Das wär’s für heute.«
»Du hast doch nicht wirklich vor, eine Stellung anzunehmen, Mami?« fragte Ruben kleinlaut.
»Sie will uns nur ärgern«, stieß Bibiane hervor.
Wenn sie das nicht gesagt hätte, wäre Franziska vielleicht doch wieder weich geworden, aber um Bibiane zur Vernunft zu bringen, nahm sie sich vor, streng zu bleiben.
»Müssen wir auch Miete zahlen?« fragte Jannick ironisch.
»Fünfzig Prozent des Hauses gehört euch, also solltet ihr auch zusammen fünfzig Prozent der anfallenden Kosten aufbringen, wenn wir das Haus behalten wollen.«
»Dann ziehe ich lieber aus, und du kannst einen zahlenden Untermieter nehmen. Oder gibt es etwa einen Mann, der sich bei uns einnisten will?« erregte sich Bibiane.
»Schlag einen anderen Ton an!« mahnte Jannick gereizt. »Mutsch hat recht, wir haben alles ihr überlassen, obgleich wir erwachsen sind.«
»Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe, Mami«, sagte Ruben.
»Schleimer«, zischte Bibiane.
Das hätte sie auch nicht sagen dürfen. »Dein Umgang macht sich schon bemerkbar«, warf ihr Ruben vor. »Dieser Alex ist doch der letzte Dreck. Du wirst schon sehen, was du davon hast.«
Darauf rauschte Bibiane hinaus, und nach zehn Minuten verließ sie das Haus und knallte die Tür hinter sich zu.
Franziska zuckte zusammen und sah Jannick hilflos an.
»Spätpubertäre Hysterie«, sagte er spöttisch.
»Sie bildet sich zuviel ein«, meinte Ruben.
»Ich will niemand vertreiben, aber es muß sich etwas ändern. So geht es nicht mehr weiter.«
»Du bräuchtest mal Tapetenwechsel, Mutsch«, sagte Jannick.
»Sag, was ich machen soll, Mami«, sagte Ruben bittend.
»Ich möchte nicht, daß du die Schule verläßt, aber es ist deine Entscheidung.«
»Darf ich mir jetzt das Fußballspiel ansehen?« fragte er.
Sie mußte fast lachen. »Das hast du doch noch nie gefragt? Wozu habt ihr eigene Fernseher?«
»Vielleicht sollten wir die verkaufen.«
»Du lieber Himmel, dafür kriegt man doch nichts mehr«, sagte Jannick. »Wir werden uns sowieso an den Stromkosten beteiligen.«
Na also, dachte Franziska, es scheint Wirkung zu haben. Aber sie wollte lieber noch abwarten, bevor sie sich eines Sieges freuen konnte.
*
Bibiane kam erst nach drei Uhr heim. Natürlich hatte Franziska auch in dieser Nacht nicht schlafen können. Sonst war sie aufgestanden und hatte gefragt, warum es so spät geworden sei, denn immerhin war das Mädchen ja erst neunzehn Jahre. Aber sie tat es nicht.
Bibiane bemühte sich nicht, leise zu sein. Es klirrte, und sie stolperte die Treppe hinauf.
Sie wird doch nicht getrunken oder gar Drogen genommen haben? fragte Franziska sich ängstlich.
Dann herrschte Ruhe.
Sie konnte trotzdem nicht einschlafen. Sie wußte, daß sie sich immer Gedanken machen würde, wenn es ihr nicht gelang, ihren Schatten zu überspringen.
Dann fiel ihr ein, daß Samstag war und sie eigentlich auch mal ausschlafen konnte, aber prompt war sie doch zur gewohnten Zeit munter. Sie dachte ein paar Minuten nach, dann faßte sie einen Entschluß, der ihr früher nicht im Traum eingefallen wäre.
Sie stand auf, ging ins Bad, duschte und machte etwas länger Morgentoilette als sonst. Sie legte sogar ein Make-up auf und Lippenstift.
Sie zog Jeans an, einen leichten blauen Pulli und eine Steppweste, die ihr Joe einmal aus England mitgebracht hatte. Sie hatte sie nicht mehr getragen, seit er tot war, wie auch andere Sachen, die er an ihr gemocht hatte. Jetzt war es so, als wolle sie sich beweisen, daß sie auch mit der schmerzhaften Erinnerung fertig werden konnte.
Sie nahm die Zeitung aus dem Kasten, bevor sie ihren Wagen aus der Garage holte. Dann erst fiel ihr auf, daß Bibianes Wagen nicht da war, aber sie verbot sich, sich darüber Gedanken zu machen.
Sie hatte sich entschlossen, an den Tegernsee zu fahren, sich dort einen ruhigen Platz zu suchen und die Stellenanzeigen zu studieren, ohne dabei gestört zu werden.
Trotz der frühen Stunde war doch schon viel Verkehr. Da der Himmel versprach, daß es ein schöner Tag werden würde, ahnte sie, daß auch am See viel Betrieb herrschte. Vielleicht war es besser, sich einen abgelegenen Platz im Vorgebirge zu suchen und zuerst ein deftiges Frühstück zu sich zu nehmen.
Gedacht, getan. Sie bog in eine Nebenstraße ein und fand schließlich einen Landgasthof, der einladend aussah.
Eine jüngere Frau im Dirndl kam auch gleich aus dem Haus.
»Guten Morgen«, sagte Franziska freundlich, »kann man bei Ihnen frühstücken?«
»Aber freilich, gnä’ Frau, herzlich willkommen im Huber-Himmel.«
Das klingt gut, richtig verheißungsvoll, dachte Franziska.
»Einen hübschen Namen haben Sie sich für Ihren Gasthof ausgesucht«, meinte sie gedankenvoll.
»Das hat sich so ergeben«, lächelte die Wirtin. »Mein Mann heißt Huber, und ich war eine geborene Himmel. Ein bißchen weit ab liegen wir ja, aber wer einmal bei uns war, kommt gern wieder.«
»Das glaube ich gern«, sagte Franziska. Als ihr das Frühstück gebracht wurde, war sie entschlossen, bestimmt wieder hierher zu fahren, vielleicht auch mal für ein paar Tage. Sie konnte später auch die hübschen Gästezimmer anschauen, und als sie die Kathi Huber fragte, ob sie einen ruhigen Platz für sie hätte in der Sonne, damit sie ungestört lesen könne, lachte Kathi wieder.
»Ruhig haben Sie es hier überall am Vormittag. Nur wenn mittags mehr Gäste kommen, wird es ein bißchen lauter.«